Urs Meister aus Schindellegi ist Ökonom und hat unter anderem als Berater bei der Departementsreform im Kanton Schwyz mitgearbeitet. Aktuell ist er Projektleiter bei Avenir Suisse für Themen des Service public wie Energie, Medien und Gesundheit.
Frieda Suter: Als Projektleiter bei Avenir Suisse gehören Sie zu den Vordenkern der Nation. Was hat sie bewogen, diese Stelle anzutreten?
Urs Meister: Als Volkswirt mit Interesse an gesamtwirtschaftlichen Themen reizt mich die Auseinandersetzung mit übergeordneten Themen. Der Job bei Avenir Suisse ist eine einmalige Gelegenheit, sich mit grossen Zusammenhängen auseinanderzusetzen.
Mit welchen Themen befassen Sie sich hauptsächlich?
Primär befasse ich mich als Projektleiter mit Fragen des Service public. Konkret in den Bereichen Energie, Telekommunikation, Medien und Gesundheit. Energiefragen machten bislang den grössten Teil meiner Arbeit aus.
Bleiben wir beim Thema Energie. Braucht die Schweiz neue Atomkraftwerke?
Auf absehbare Zeit gibt es im europäischen Strommarkt zu viel Energie. Deshalb ist sie so günstig. Unter diesen Umständen ist es weder nötig noch sinnvoll, neue Kraftwerke zu bauen – weder aus technischer noch ökonomischer Sicht. Die bestehenden Anlagen sollten dennoch bis ans Ende ihrer technischen Lebensdauer genutzt werden. Viel kritischer beim Thema Energiewende sind die ausufernden Subventionen für erneuerbare Energien, inklusive der Wasserkraft.
Subventionen geben doch alternativen Energieformen eine Chance. Ist das kein Vorteil?
Subventionen wie die Kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) lassen sich nicht mit den Anforderungen eines offenen Marktes kombinieren. Es fehlt der internationale Bezug, wodurch Fehlinvestitionen und falsche Produktionsanreize entstehen. Kurz: Das Angebot deckt sich nicht mit den Bedürfnissen der Nachfrage – das macht die Energiestrategie teuer.
Steigende Strompreise werden schon lange vorausgesagt.
Die Politik agiert, als ob ein Versorgungsengpass vor der Haustür stünde. Dem ist aber nicht so. Die Preise sind so tief, weil es so viel Strom gibt. Subventionen schaffen weder Versorgungssicherheit noch reduzieren sie den Ausstoss von Treibhausgasen, sondern fördern einfach unrentable Produktion.
Aber jedes Land muss doch in erster Linie für sich schauen. Gilt das für die Schweiz nicht?
Nein. Weder bei fossilen Energien wie Öl und Gas noch beim Strom ist die Schweiz unabhängig. Und das muss sie auch nicht sein, denn das wäre viel zu teuer. Je mehr wir ignorieren, was welt- und europaweit auf dem Energiemarkt passiert, umso weniger effizient ist eine auf die Schweiz beschränkte Energiestrategie. Gerade in einem kleinen Land wie der Schweiz sollte die Politik nicht auf bestimmte Technologien setzen, sondern marktnahe Rahmenbedingungen schaffen. Schliesslich wissen wir heute nicht, was uns in fünf Jahren am meisten nützt.
Sie haben Ende Januar eine Publikation veröffentlicht, die sich mit dem tiefen Erdölpreis befasst, der einige Nachteile des starken Frankens kompensieren könnte. Wie sehen Sie die Ausgangslage?
Die Schweiz deckt mit importiertem Erdöl immer noch mehr als die Hälfte des Energiebedarfs. Sinkende Ölpreise stimulieren daher die Konjunktur. Und das über verschiedene Kanäle. Tiefere Energieausgaben wirken sich positiv auf den Inlandkonsum aus. Sie senken aber auch die Produktionskosten vor allem bei Industrieunternehmen. Und schliesslich haben die tieferen Ölpreise positive Effekte auf die weltweite Konjunktur, was den Exporten hilft. Bisher hat man in der Regel berechnet, wie steigende Ölpreise die Wirtschaftsleistung dämpfen. Nun stehen wir vor umgekehrten Zeichen.
Zu welchem Schluss kommen Sie?
Der starke Schweizerfranken trübt zwar die Schweizer Konjunkturaussichten. Umgekehrt sind positive Effekte vom tiefen Ölpreis zu erwarten. Gemäss einer vereinfachten Schätzung könnte dieser das Wachstum des realen Bruttoinlandprodukts um etwa 0,4 bis 0,8 Prozentpunkte erhöhen.
Und wo liegt das Problem?
Entscheidend ist, ob der Ölpreis tatsächlich über längere Zeit auf dem tiefen Niveau verharrt.
Sie haben vor wenigen Monaten auch eine Arbeit über Medienförderung veröffentlicht. Was läuft in diesem Bereich falsch?
Es gibt Parallelen zur Energie. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass Medieninhalte über ganz bestimmte Technologien zu den Konsumenten gelangen und fördert entsprechend Fernsehen, Radio und Zeitungen. Onlinemedien werden ausgeklammert, obschon sie faktisch zum wichtigsten Kanal geworden sind, gerade bei den Jüngeren. Vor allem aber können die Mediengattungen nicht mehr so klar voneinander unterschieden werden. Zeitungen, TV und Radio werden vermehrt online konsumiert. Dadurch verändert sich der Charakter des Marktes grundlegend – man spricht von Medienkonvergenz. Die bestehende Medienförderung ignoriert dies und subventioniert einseitig das klassische Medienangebot, wodurch vor allem ältere Konsumenten profitieren.
Würden Sie die Förderung neu aufgleisen oder gleich abschaffen?
Durch die Medienkonvergenz nimmt die Intensität des Wettbewerbs zu. Schweizer Medienanbieter werden zweifellos unter zusätzlichen Druck geraten, sodass eine weitere Konsolidierung in der Branche zu erwarten ist. Vielfalt und Inhalte mit schweizerischem Bezug werden in der Gesellschaft aber nach wie vor als wichtig und nötig erachtet. Will die Politik an einer Medienförderung festhalten, dann sollte diese so gestaltet werden, dass sie lediglich Inhalte fördert und nicht einzelne Technologien bevorzugt. Durch technische Neutralität werden wettbewerbsverzerrende Effekte zwischen den Medien sowie Umverteilung zwischen Altersgruppen vermieden.
Sollen für die neue Medienförderung die Billaggebühren abgeschafft werden?
Das Gebührensystem ist nicht mehr zeitgemäss. Vor 30 Jahren zahlten TV- und Radiobesitzer in erster Linie für die Sendungen des öffentlich finanzierten Anbieters – andere Kanäle liessen sich ja kaum empfangen. Heute ist die Auswahl an Sendern ungleich grösser, ausserdem lassen sich die SRG-Angebote online auch ohne klassisches TV- und Radiogerät empfangen. Daneben steigen im heutigen System die Gebühreneinnahmen der SRG automatisch mit der wachsenden Bevölkerung – dafür aber gibt es keine Notwendigkeit. Überlegenswert wäre es, die Medienförderung aus allgemeinen staatlichen Mitteln zu finanzieren, wie das in angelsächsischen Ländern üblich ist. Der Vorteil läge darin, dass dies ein Budgetposten wie jeder andere wäre.
Wird ausgewogene Information künftig mehr oder weniger kosten als heute?
Ausgewogen ist ein relativer Begriff. Die Wahrnehmung richtet sich in der Regel nach der eigenen politischen Position. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Information günstiger wird. Online sind die Kosten der Verbreitung tiefer, ausserdem ist der Wettbewerb zwischen Anbietern grösser. Vorstellbar sind sogar negative Nutzerpreise. Das heisst, Nutzer erhalten etwas für ihren Medienkonsum. Sie «zahlen» dafür mit der Preisgabe von Informationen über ihr Verhalten.
Wie viel Vielfalt braucht es im Medienbereich?
Das kann man nicht absolut festlegen. Die Tendenz geht dahin, dass die Vielfalt in den einzelnen Ländern abnimmt, dass aber internationale Medienangebote wie Netflix wichtiger werden.
Hat damit die Lokalzeitung ausgedient?
Nicht unbedingt. Lokale Plattformen bleiben wichtig, sowohl für Konsumenten als auch für Inserenten. Ein noch konsequenterer Fokus auf das Lokale wird aber nötig sein, um dem schärferen Wettbewerb auszuweichen.
Zu einem anderen Thema. Wie viel bestimmen wir in der Schweiz in Zukunft selber, und wo sagen andere, wo es langgeht?
Wir werden auch in Zukunft vieles selber bestimmen, und zwar vor allem dort, wo es uns unmittelbar betrifft. Beispiele sind lokale und regionale Infrastruktur, Wohnen, Gesundheit oder Altersvorsorge. Aber dort, wo es um internationale Märkte geht, sind die Einflussmöglichkeiten gering, sie nehmen tendenziell sogar ab. Allerdings betreffen uns diese internationalen Regeln im direkten Alltag meist weniger als etwa der Bau eines Schulhauses oder Altersheims in der Gemeinde.
Bei Avenir Suisse denken Sie über die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft nach. Wie stellen Sie sich die ideale Schweiz in 20 Jahren vor?
Wir haben mit Avenir zwar das Wort Zukunft im Namen, allerdings sind wir keine Zukunftsforscher, sondern Ökonomen. Prognosen über 20 Jahre sind meistens falsch, oder zufällig richtig.
Dieses Interview erschien im «Höfner Volksblatt» vom 04. März 2015. Mit freundlicher Genehmigung des Höfner Volksblatts.