Noch vor hundert Jahren waren der individuelle Lebensweg und der Platz in der Gesellschaft weitgehend durch das Geschlecht bestimmt. Frauen hatten in der ehelichen Gemeinschaft gleichsam den Innendienst zu versehen, Männer den Aussendienst. Auf dem Arbeitsmarkt sind seitdem in puncto Gleichstellung beachtliche Fortschritte erzielt worden, die sich nicht zuletzt in einer Verringerung des Lohngefälles zwischen Männern und Frauen manifestieren. Im Jahr 2022 lag die Differenz der Medianstundenlöhne bei 9,5 Prozent, gegenüber 21,5 Prozent im Jahr 1998.

Wie wir in einer neuen Publikation darlegen, lässt sich diese Angleichung unter anderem – wenn auch nicht ausschliesslich – auf die Berufswahl zurückführen. Typische Männer- und Frauenberufe gibt es zwar nach wie vor: 48 Prozent der Männer arbeiten in einem Beruf, in dem der Männeranteil 75 Prozent oder mehr beiträgt, während bei den Frauen 43 Prozent in einem typischen Frauenberuf tätig sind. Allerdings hat die Durchmischung in den letzten 25 Jahren stark zugenommen.

Dies lässt sich etwa anhand des Duncan-Segregationsindexes messen (Abbildung, 1). Dieser Index kann Werte zwischen 0 und 1 annehmen. Ein Wert von 0 bedeutet eine geschlechtsneutrale Verteilung, während 1 eine vollständige Geschlechtertrennung anzeigt. Zwischen 1995 und 2022 sank der Segregationsindex der Berufe in der Schweiz von 0,36 auf 0,25. Das bedeutet, 25 Prozent der Erwerbstätigen müssten den Beruf wechseln, um eine geschlechtsneutrale Verteilung zu erreichen.

Die Zunahme der Durchmischung ist hauptsächlich dem Strukturwandel geschuldet. Die Beschäftigung hat in den wenig segregierten Berufen – allen voran im Dienstleistungssektor – überproportional zugelegt. 75 Prozent der Indexveränderung lassen sich darauf zurückführen. Die Veränderung des Geschlechtermixes innerhalb der einzelnen Berufskategorien trug nur zu 25 Prozent bei.

Eine Ausnahme bilden die hochqualifizierten, akademischen Berufe. Hier haben Frauen ihre Präsenz in diesen traditionell von Männern dominierten Berufen stark ausgebaut. Heute sind etwa 275’000 Frauen in Berufen tätig, die einst als männlich galten. Das entspricht seit 1995 einer Verdreifachung. Die Zunahme war beispielsweise ausgeprägt bei Ärztinnen (+18’000), während die Zahl der Ärzte unverändert geblieben ist. So sehr, dass dieser Beruf heute nicht mehr als typisch männlich qualifiziert werden kann – im Gegenteil: Die Frauenquote beträgt rund 56 Prozent, gegenüber 24 Prozent im Jahr 1995.

Bildungsweg entscheidend

Wie Abbildung 2 zeigt, hat der Bildungsweg einen massgeblichen Einfluss auf die berufliche Segregation. Erwerbstätige mit Lehrabschlüssen weisen einen höheren Segregationsindex auf als solche mit Tertiärabschlüssen: Sie sind in Berufen tätig, die insgesamt einen Segregationsindex von 0,38 aufweisen. Der Grad der Segregation bei Absolventen mit Tertiärabschlüssen (Universitäten, PH und Fachhochschulen) liegt mittlerweile hingegen nur bei 0,08, und dies obschon die Studiengänge an sich oft eine starke geschlechtsspezifische Segregation ausweisen.

Auch Abschlüsse der höheren Berufsbildung zeigen niedrigere Segregationswerte als jene der Berufslehre – allerdings sind die Unterschiede hier weniger ausgeprägt. Vereinfacht ausgedrückt führen Tertiärabschlüsse zu einer Tätigkeit in weniger segregierten Berufen, während der Abschluss einer Berufslehre häufig in einen Beruf mündet, der als typisch männlich oder weiblich gilt. Diese Tendenzen haben sich in den letzten Jahrzehnten kaum verändert.

Berufsbilder und Lohndifferenzen

In der Studie wird auch der Effekt einer höheren Durchmischung auf die geschlechtsspezifischen Lohnunterschiede geschätzt. Insgesamt untermauern unsere Befunde die These, wonach eine stärkere Durchmischung der Geschlechter in verschiedenen Berufsfeldern dazu beitragen könnte, diese Unterschiede weiter zu verringern.

Der Effekt dürfte aber kleiner als gemeinhin angenommen sein. So wäre ein Segregationsindex von null (gleich viel Männer wie Frauen in allen Berufen) mit einem um 2,5 Prozentpunkte tieferen Lohngefälle verbunden. Dies bedeutet, dass mit den gegenwärtig beobachteten lohnbestimmenden Faktoren der durchschnittliche Stundenlohn der Frauen kumulativ um etwa 1 Franken höher läge, wenn in allen Berufen eine vollkommene Durchmischung herrschte. Zum Vergleich: Würden Frauen ebenso häufig wie Männer in Vollzeit arbeiten, läge das Gefälle bei den Stundenlöhnen gemäss unserer Analyse um weitere 2 Prozentpunkte tiefer.

Natürlich fiele eine Angleichung der Löhne deutlicher aus, wenn Frauen gezielt in Branchen stärker vertreten wären, die hohe Stundenlöhne ausweisen. Hierbei handelt es sich um die sogenannten «üblichen Verdächtigen»: ICT-Berufe, Ingenieurwesen und – in geringerem Masse – auch die Handwerksberufe. Doch entscheidender als die Berufswahl ist wohl eine Angleichung der Karriereverläufe zwischen den Geschlechtern. Solange Männer und Frauen unterschiedliche Karrierepfade einschlagen, ist eine vollständige Angleichung der Löhne unwahrscheinlich – und zwar unabhängig von der Berufswahl.

Weiterführende Informationen zum Thema finden Sie in der Publikation «Berufswahl: Die letzte Meile der Gleichstellung?»