Der Kanton Zürich – der «Wirtschaftsmotor der Schweiz» – kommt für über 20% der Schweizer Wirtschaftsleistung auf. Der bevölkerungsreichste Kanton beheimatet nicht nur mehr als 1,5 Mio. Menschen, sondern stellt auch jeden fünften Arbeitsplatz im Land. Im nationalen Finanzausgleich, der «den Zusammenhalt des Landes» stützen soll, ist Zürich mit 500 Mio. Fr. der grösste Nettozahler und kommt für 37% der Einzahlungen aller Geberkantone auf. Der Zürcher Finanzsektor ist mit den global tätigen Versicherungen und Banken prägend für das gesamte Bild der Schweiz im Ausland. Nicht nur in der Schweizer Bundesverfassung, sondern wohl auch im eigenen Selbstverständnis, steht der Kanton zuvorderst.
Doch das Zürcher Selbstbewusstsein verliert zunehmend an Grundlage. Zwar ist Zürich nach wie vor attraktiv – nur holen andere Kantone bezüglich Standortattraktivität zusehends auf. Interessant ist vor allem die Zusammensetzung der Zu- und Abwanderung: Wohlhabendere Bevölkerungsschichten verlassen den Kanton, während die Zuzüger im Durchschnitt rund halb so vermögend sind. Im untersuchten Zeitraum der Studie von Brühlhart und Schmidheiny sind netto somit innert vier Jahren rund 5 Mrd. Fr. an Vermögen mit dem Wegzug natürlicher Personen abgewandert. Weitere Untersuchungen zeigen ein ähnlich negatives Bild bei den juristischen Personen. In der interkantonalen Verschiebung von Unternehmenssitzen verzeichnet der Kanton Zürich 2021 die grösste Netto-Abwanderung – mehr als alle anderen Kantone zusammen. Die meisten dieser einstigen Zürcher Firmen wandern in den attraktiveren Kanton Zug oder in die Kantone Schwyz und Aargau ab.
Insgesamt erscheint in der Nettobetrachtung der Kanton Wallis für einen Standortwechsel am attraktivsten. Auch den Kantonen Thurgau und Appenzell-Ausserrhoden gelingt es überdurchschnittlich, Unternehmen anzuziehen. Vergleicht man diese Wanderungsbewegungen mit den kantonalen Gewinnsteuersätzen, kommt das Institut CRIF – mit Ausnahme des Kantons Wallis – zum klaren Schluss: Die attraktivsten Umzugsziele verfügen über die tiefsten Gewinnsteuersätze.
Das schlechte Abschneiden des Kantons Zürich kommt somit nicht von ungefähr. Vergleicht man die Einkommenssteuersätze zwischen den Kantonen, so findet man im Kanton Zürich den sechsthöchsten, bei den Gewinnsteuersätzen gar den zweithöchsten der Schweiz. Die Rahmenbedingungen sind heute für Vermögende und viele Unternehmen in anderen Kantonen – zumindest steuerlich – wesentlich attraktiver als im Kanton Zürich. Die Bewegungen sind gemessen am Gesamtbestand der ansässigen Unternehmen zwar relativ geringfügig, die Aussage über den Trend gibt jedoch Anlass zur Sorge. Umso mehr, wenn man bedenkt, dass der Kanton Zürich bei der Anzahl Neugründungen ebenfalls unterdurchschnittlich abschneidet.
Einen weiteren Hinweis darauf, dass die Rahmenbedingungen im Kanton Zürich optimiert werden sollten, liefert das Kostenumfeld, das unter anderem das Lohnniveau, die Energiepreise, aber auch Patentboxen oder Steuersätze enthält. Im vorliegenden Kontext sind insbesondere letztere relevant. Wie eine Studie der UBS aufzeigt, findet sich der Kanton Zürich bezüglich Kostenumfeld auf dem zweitletzten Platz – knapp vor dem Kanton Bern und weit hinter dem drittletztplatzierten Kanton Genf. Grösster unmittelbarer Hebel für die Verbesserung des Kostenumfelds wäre eine Anpassung des Steuerfusses.
Das Kantonsparlament hat bereits die richtige Richtung identifiziert und ein Schrittchen getan. Eine Steuerfusssenkung von einem Prozent wurde umgesetzt. Ebenso erkennt der Zürcher Regierungsrat die Zeichen der Zeit und plant 2024 eine weitere Steuersenkung von zwei Prozent. Ob dies genügt, um die Standortattraktivität wesentlich zu verbessern, ist zu bezweifeln. Unter den derzeitigen Mehrheitsverhältnissen im Kantonsrat ist jedoch kaum mehr zu erwarten.
Mit Schlurfen kommt der Zürcher Löwe indes nicht weit. In den letzten fünf Jahren wäre ein Vielfaches der heute diskutierten Steuersenkungen möglich gewesen. Doch dies wäre nur der erste Schritt, um den Standort Zürich wieder attraktiver zu machen. Natürlich verbleiben dem Kanton nach wie vor viele Stärken. Trotzdem sollten die Menetekel nicht ignoriert werden. Eine spürbare Steuersenkung ist neben liberalen, marktnahen Reformen unumgänglich. Ein hungriger Löwe weiss, wann es zum grossen Sprung anzusetzen gilt. – Jetzt!
Weiterführende Informationen finden Sie in der Studie Der Löwe im «Sleep Mode».