Seit Donnerstag, dem 5. September 2024, herrscht unter den Lobbyisten in Bern grosse Unruhe. Der Grund: die Sparvorschläge der Expertengruppe Gaillard. In einem detaillierten Bericht hat die Gruppe aufgelistet, wo der Bund den Rotstift ansetzen könnte – von Einsparungen hin zu kompletten Streichungen. Betroffen sind praktisch alle Politikbereiche. Das lässt bereits heute auf breiten politischen Widerstand schliessen. Das Thema dürfte die Gespräche in der Wandelhalle in der anbrechenden Session dominieren.

Angesichts des von verschiedenen Seiten identifizierten Sparpotenzials ist jedoch schon heute klar: Der Bund wird sparen können – und es gibt auch gute Gründe, weshalb er sparen soll. Doch der Politbetrieb in Bern funktioniert nach eigenen Regeln. In den vergangenen Monaten wurden etliche Vorschläge lanciert, um möglichst wenig oder gar nicht sparen zu müssen. Einige fordern, die Schuldenbremse auszusetzen und die Defizite durch eine höhere Verschuldung zu finanzieren. Andere plädieren für Steuererhöhungen. Doch wären dies tatsächlich die besseren Alternativen?

Erfolgsmodell Schuldenbremse

Seit der Einführung der Schuldenbremse im Jahr 2003 unterliegt die Finanzpolitik in Bern strengen Regeln: Die Bundesausgaben dürfen die um konjunkturelle Schwankungen bereinigten Einnahmen nicht übersteigen. Strukturelle Defizite, wie sie für die kommenden Jahre prognostiziert werden – ab 2025 fehlen dem Bund 2,5 Milliarden Franken, mittelfristig könnten es sogar 4 Milliarden Franken sein –, sind somit nicht zulässig.

Die Schuldenbremse schränkt die Möglichkeit zur Kreditaufnahme damit stark ein. Das hat dazu geführt, dass die Schuldenquote in der Vergangenheit gesunken ist. Der Schuldenstand würde ohne die Schuldenbremse heute bei über 400 Milliarden Franken liegen, statt bei den aktuellen 128 Milliarden. Er wäre also mehr als dreimal so hoch.

Die Schuldenbremse erlaubt in Ausnahmefällen wie beispielsweise der Corona-Pandemie temporär zusätzliche Ausgaben, die nicht unter die Beschränkung für ordentliche Ausgaben fallen. Vernachlässigte Armeeinvestitionen gehören indes nicht in die Kategorie «ausserordentlich» – auch der Ukraine-Krieg ändert daran nichts. Wer anderes behauptet, verkennt die politökonomische Realität: Das Parlament könnte sonst nach Belieben die Ausserordentlichkeit erklären.

Eine Aufweichung der Schuldenbremse würde aber nicht nur die Haushaltsdisziplin gefährden, sondern auch erhebliche Finanzierungskosten verursachen. Ohne die Schuldenbremse dürften die jährlichen Zinszahlungen des Bundes schätzungsweise über 4 Mrd. Fr. höher ausfallen als heute. Diese Summe entspricht den Kosten für den Bau von zwei neuen Autobahntunneln am Gotthard oder der Anschaffung von fast 24 F-35-Kampfflugzeugen – und das jedes Jahr aufs Neue.

Diese Beispiele verdeutlichen, welche Belastungen durch höhere Schulden entstehen könnten. Klar ist: Die Schweizer Schuldenbremse ist sehr streng. Aber damit schafft sie Anreize für Reformen und Strukturveränderungen und eröffnet gerade langfristig finanzielle Spielräume. Damit trägt sie dazu bei, die Steuerlast nachhaltig niedrig zu halten. Die Finanzkommission des Nationalrats hat daher im August folgerichtig alle Anträge auf eine Schwächung des Regelwerks entschieden abgelehnt.

Stetig steigende Ausgaben

Auch wenn die Schuldenbremse also durchaus ihre Wirkung gezeigt hat, so gilt dessen ungeachtet: Die Bundesausgaben sind seit Jahren kontinuierlich gestiegen, seit 2003 inflationsbereinigt um etwa 2 Prozent pro Jahr. Besonders stark war der Anstieg bei den Bildungsausgaben, die um fast 3 Prozent jährlich wuchsen, sowie bei den Sozialausgaben, die um knapp 4 Prozent pro Jahr zunahmen. Einsparungen gab es nur in wenigen Bereichen: Die Ausgaben für die Landwirtschaft sanken – von einem im internationalen Vergleich sehr hohen Niveau ausgehend – real um ein halbes Prozent.

Noch deutlicher wird die Dynamik, wenn man die Ausgaben pro Kopf betrachtet: Der Bund gibt heute pro Einwohner jährlich rund 9100 Franken aus, was ein Drittel mehr ist als bei Einführung der Schuldenbremse im Jahr 2003 – real entspricht dies einem Anstieg von 20 Prozent. Die Sozialausgaben pro Kopf sind inflationsbereinigt fast um ein Drittel gestiegen, und die Gesundheitsausgaben haben sich verdoppelt. Im Vergleich dazu sind die Pro-Kopf-Ausgaben für die Landesverteidigung stabil geblieben. Anders als oft behauptet, hat die Schuldenbremse also nicht zu drastischen Einschnitten bei der Armee geführt – die Kürzungen im Militärbudget erfolgten bereits in den 1990er Jahren.

Auch die Investitionen wurden durch die Schuldenbremse nicht beeinträchtigt. Im Gegenteil: Zukunftsorientierte Projekte, wie etwa die Verkehrsinfrastruktur, wurden nicht nur aufrechterhalten, sondern sogar forciert. Diese Investitionen zeigen, dass trotz strenger Schuldenbegrenzung genügend Spielraum für wichtige Zukunftsprojekte bleibt.

Die Steuerlast nimmt zu

Dass die Ausgaben trotz Schuldenbremse weiter wuchsen, war nur möglich, weil die Steuereinnahmen gestiegen sind. Sowohl die fiskalische Belastung für Haushalte als auch für die Unternehmen hat sich erhöht:

Haushalte: In der Schweiz, wo höhere Einkommen progressiv besteuert werden, führt jeder Anstieg der Reallöhne dazu, dass überproportional mehr Steuern gezahlt werden müssen. Mit steigender Produktivität «rutscht» also die Gesellschaft als Ganze in höhere Progressionsstufen – ein Phänomen, das als «warme Progression» bezeichnet wird. Avenir Suisse hat berechnet, dass der Reallohnanstieg in der Schweiz zwischen 2010 und 2020 durchschnittlich 8,4 Prozent betrug, während die Steuerlast für natürliche Personen im gleichen Zeitraum um 16,1 Prozent gestiegen ist.

Unternehmen: Auch die Einnahmen des Bundes aus der Gewinnsteuer haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Während Unternehmen 1990 noch etwa halb so viel an Bundessteuern zahlten wie private Haushalte, übersteigen ihre Zahlungen heute die der Privaten. Für das Jahr 2024 wird erwartet, dass der Bund rund 15 Milliarden Franken an direkten Steuern von Unternehmen einziehen wird. Das ist unter anderem ein Ergebnis einer erfolgreichen kantonalen Steuerpolitik, insbesondere in einigen Kantonen – ein Vorteil, der bald schwinden könnte, da seit Januar 2024 in der Schweiz die globale Mindeststeuer für Grosskonzerne gilt und damit die Steuerlast für einige Unternehmen deutlich zunehmen wird.

Die Steuerbelastung ist jüngst also bereits gestiegen, und mit der Umsetzung der OECD-Steuerreform wird die fiskalische Last weiter zunehmen. Angesichts dessen sind Steuererhöhungen – selbst temporäre – schwer zu rechtfertigen.

Fokus auf Einsparungen

Wie diese Ausführungen zeigen, tun die Parlamentarierinnen und Parlamentariern gut daran, den Wehklagen der Lobbyisten zu widerstehen. Denn der einfache Ausweg – mehr Schulden oder höhere Steuern – ist nur in der kurzen Frist einfach. Langfristig bringt er mehr Probleme als Lösungen. Daher sollen den interessengeleiteten Widerständen zum Trotz Einsparungen in möglichst vielen Bereichen erzielt werden. Der Bericht der Expertengruppe zeigt, dass dies machbar ist.

Die kommenden Wochen und Monate werden entscheidend sein, um den künftigen Kurs der Schweizer Finanzpolitik festzulegen. Einsparungen sind vor dem Hintergrund der jüngeren Ausgabenentwicklung angebracht. Dafür braucht es bei der Politik Mut und staatspolitische Grösse, um auch bei der eigenen Klientel anzusetzen. Nur so können negative Auswirkungen auf künftige Generationen vermieden werden – denn sowohl mehr Schulden als auch höhere Steuern hinterlassen ihre Spuren. Die Frage lautet also nicht, ob gespart werden muss, sondern wo und wie.

Mehr zum Sparpotenzial finden Sie in unserer Sommerserie zu den Bundesfinanzen.