Die Stromproduktion deutscher Kohlekraftwerke boomt in diesem Jahr trotz Energiewende. Das ist jedoch nicht das Resultat des Ausstiegs aus der Kernenergie. Gründe dafür sind vielmehr die europäische Wirtschaftsflaute, wachsende Stromexporte, weniger Wind sowie die mangelnde Flexibilität vieler Kohlekraftwerke.
Die Erzeugung deutscher Kohlekraftwerke nahm im ersten Halbjahr 2013 gegenüber dem Vorjahr um 6 Terawattstunden (TWh) zu – das entspricht fast einem Fünftel der schweizerischen Halbjahresproduktion. Diese Zunahme ist keineswegs das Resultat des deutschen Atomausstiegs. Schliesslich waren im ersten Halbjahr 2013 nicht weniger Kernkraftwerke am Netz als im Vorjahr. Ganz im Gegenteil stieg auch deren Produktion leicht an. Warum aber erlebt die Kohle eine derartige Renaissance, obschon die erneuerbaren Energien in Deutschland ausgebaut werden?
Die Gründe sind vielfältig und hängen miteinander zusammen: Paradoxerweise profitieren Kohlekraftwerke von der schwachen Konjunktur in Europa. Durch den Rückgang der industriellen Produktion in den meisten europäischen Staaten nahmen Energieverbrauch und CO2-Emissionen ab. Auf dem Markt für CO2-Zertifikate – der das Herzstück der europäischen Klimapolitik sein sollte – bildete sich ein Überangebot. Der Preis für den Ausstoss einer Tonne CO2 liegt unter 4,5 € – 2005 waren es noch etwa 30 €. Die tiefen Zertifikatspreise entfalten dadurch keine relevante lenkende Wirkung, denn sie beeinflussen die – für den Kraftwerkseinsatz entscheidenden – variablen Kosten fossiler Kraftwerke nur geringfügig.
Kohle verdrängt Gas – in den USA ist es umgekehrt
Von den tiefen Zertifikatspreisen können nicht alle fossilen Energien gleich profitieren. Vorteile resultieren vor allem für die CO2-intensive Braunkohle, gefolgt von der Steinkohle. Im ersten Halbjahr 2013 nahm die Erzeugung beider Technologien in Deutschland zu (vgl. Abbildung).
Umgekehrt verhält es sich bei den Gaskraftwerken. Da ihr CO2-Ausstoss relativ gering ist, verlieren sie bei tiefen Zertifikatspreisen ihren Vorteil gegenüber den Kohlekraftwerken. Es ist sogar so, dass die günstigen Kohlekraftwerke sowie die wachsende Produktion der erneuerbaren Energien wie Wind und Photovoltaik – die vernachlässigbare Betriebskosten aufweisen – die Gaskraftwerke aus dem Markt drängen. Im ersten Halbjahr 2013 sank die Produktion der Gaskraftwerke gegenüber dem Vorjahr um 4,6 TWh auf knapp 22 TWh. Sogar das Windkraft-Angebot war höher, obschon auch diese Energiequelle aufgrund des schwachen Windes um 2,4 TWh auf 22,4 TWh abnahm. Auch dieser Einbruch dürfte in erster Linie durch Kohle kompensiert worden sein.
Ein ganz anderer Trend zeichnet sich übrigens in den USA ab. Dort lässt der Boom bei der unkonventionellen Förderung die Erdgaspreise derart stark fallen, dass die variablen Kosten von Gaskraftwerken unter jenen der Kohlekraftwerke liegen. Nun drängen die günstigen Gas- die teureren Kohlekraftwerke aus dem Markt – was wiederum die CO2-Emissionen der USA fallen lässt. Wegen der geringeren Nachfrage in den USA sinken auch die weltweiten Steinkohlepreise, was wiederum Kraftwerke in Deutschland begünstig. Umgekehrt können deutsche Gaskraftwerke bisher nur beschränkt vom Boom beim unkonventionellen Gas profitieren, da die Erdgaspreise – jedenfalls bisher – grössere regionale Differenzen aufweisen und in Europa deutlich höher sind als in den USA.
Die günstigen Kohlekraftwerke verdrängen jedoch nicht nur deutsche Gaskraftwerke aus dem Markt. Schliesslich kann der Strom auch exportiert werden. Im ersten Halbjahr 2013 stiegen die deutschen Nettoexporte auf 15,6 TWh – im ersten Halbjahr 2012 waren es noch 8,8 TWh. Die wachsenden Exporte dürften in erster Linie in jene Länder gehen, die ihrerseits über einen relativ teuren Kraftwerkspark verfügen. Dazu gehören beispielsweise die Niederlande, wo rund zwei Drittel der Stromproduktion aus Gaskraftwerken stammt.
Mangelnde Flexibilität der Kohlekraftwerke
Ein weiterer Grund für die hohe Produktion der Kohlekraftwerke ist ihre mangelnde technische Flexibilität. Lange Startzeiten, geringe Laständerungsgeschwindigkeiten und eine hohe Mindestlast machen vor allem Braunkohlekraftwerke träge. Sie passen ihre Produktion nur beschränkt den Verhältnissen im Strommarkt an. Kurzzeitige Abschaltungen werden oft ganz vermieden, weil das Wiederanfahren viel Zeit benötigt, während derer ein Wirkungsgradverlust resultiert. Häufig werden die Kraftwerke auch dann betrieben, wenn der Marktpreis unter die variablen Erzeugungskosten fällt. Gaskraftwerke hingegen können eher einem unrentablen Einsatz ausweichen. Aufgrund höherer technischer Flexibilität und kürzerer Startzeiten kann ihr Betrieb enger an den Marktverhältnissen ausgerichtet werden. Bei sehr tiefen Preisen werden sie gar nicht oder nur mit geringer Leistung betrieben.
Mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien dürften sich kurze Perioden mit besonders tiefen Preisen am Strommarkt häufen. Eine Studie des deutschen Fraunhofer-Instituts für solare Energiesysteme zeigt, dass im ersten Halbjahr 2013 im deutschen Spotmarkt (Day-Ahead) die Anzahl Stunden mit sehr tiefen oder gar negativen Preisen (Preise kleiner oder gleich 10 € /MWh) von etwa 50 auf knapp 200 zunahm. Die Studie analysiert gleichzeitig die Auslastung verschiedener Kraftwerkstechnologien während diesen Tiefpreisphasen. Interessante Resultate liefert ein Vergleich der Kraftwerksleistung während Extremsituationen mit negativen Preisen – wenn ein Überangebot herrscht: Gas- und Steinkohlekraftwerke reduzierten ihre Erzeugung während diesen Stunden auf unter 10% der gesamten installierten Leistung (entweder durch den flexiblen Betrieb oder Abschaltung). Trotz negativem Deckungsbeitrag produzierte dagegen der Braunkohlekraftwerkpark mit 42% seiner Maximalleistung weiter. Immerhin zeichnet sich eine gewisse Flexibilisierung ab – im ersten Halbjahr 2012 waren es noch mehr als 50%.