Die saisonbereinigte Arbeitslosenquote im Euroraum ist im Februar 2012 erneut gestiegen. Innert Jahresfrist nahm sie von 10,0% auf 10,8% zu und markiert nun den höchsten Stand seit 1997. Angesichts der Schwere der Schulden- und Eurokrise mag dies eher als Randnotiz erscheinen, die absoluten Zahlen verdeutlichen aber die Dramatik dieser Entwicklung. In nur 12 Monaten ist die Zahl der Arbeitslosen um weitere 1,5 Millionen auf 17,1 Millionen Menschen gestiegen, in der EU-27 sind 24,6 Millionen Menschen ohne Job.
Die kurzfristigen ökonomischen Kosten der Unterauslastung von Produktionspotenzial sind immens und dürften überschlagsweise knapp eine Billion Euro pro Jahr betragen. Hinzu kommen langfristige Kosten: In modernen Volkswirtschaften veralten einmal erworbene Fähigkeiten und Wissen schnell, und auch die Demotivation und Stigmatisierung der Betroffenen dürfen nicht unterschätzt werden. Hohe Arbeitslosigkeit ist deshalb nur schwer und in einem langwierigen Prozess abbaubar. Noch gar nicht erwähnt sind das menschliche Leid und die sozialen Langzeitfolgen für die Gesellschaft.
Wachsende Bandbreite
Es ist keine Übertreibung, diese Situation als eigentliche europäische Beschäftigungskrise zu brandmarken. Am aktuellen Rand sind die konjunkturellen Folgen der Schulden- und Währungskrise sicherlich der Hauptgrund für die dramatische Entwicklung. Allerdings geht schnell vergessen, dass Massenarbeitslosigkeit in Europa kein neues Phänomen ist. Schon in den neunziger Jahren waren die Arbeitslosenquoten in vielen Ländern inakzeptabel hoch. So wurden 1997 in Europa ähnliche Werte registriert wie heute.
Trotzdem ist die aktuelle Beschäftigungskrise nur partiell mit den Verhältnissen in den neunziger Jahren vergleichbar. Auffallend ist der deutlich divergierende Verlauf der Arbeitslosenquoten innerhalb der Eurozone in den letzten fünf Jahren. Im Jahr 2000 betrug die Bandbreite der in der Grafik dargestellten Länder rund 8% und schmolz bis 2007 weiter auf gut 5%. Die Quoten liegen heute fast 20% auseinander. Während sie in Spanien, Griechenland, Portugal und Italien drastisch gestiegen sind, ist die Arbeitslosigkeit in Deutschland seit 7 Jahren rückläufig. Österreich und die Niederlande hatten schon immer unterdurchschnittliche Erwerbslosenquoten. Frankreich nimmt eine Mittelstellung ein, allerdings mit steigender Tendenz.
Erodierte Wettbewerbsfähigkeit des Südens
In dieser Entwicklung spiegelt sich das gleiche chronische Manko der Eurozone, das letztlich auch der Schuldenkrise zugrundeliegt: das Auseinanderdriften der Wettbewerbsfähigkeit zwischen Nord- und Südeuropa. Seit dem Jahr 2000 wuchsen die Löhne in Deutschland im Verhältnis zur Entwicklung der Produktivität klar unterdurchschnittlich. Dank rückläufigen Lohnstückkosten und sinkendem realen Wechselkurs konnte das Land seine Wettbewerbsposition massiv verbessern und stieg zum neuen «Exportweltmeister» auf.
Der Süden des Kontinents musste hingegen die schleichende Aushöhlung seiner Wettbewerbsfähigkeit hinnehmen. Es ist kein Zufall, dass man seinen Espresso in der Voreurozeit mit einer Banknote bezahlte, die drei Nullen nach der Eins aufwies. Denn bis zur Euroeinführung war es nachgerade das Geschäftsmodell Italiens, den darbenden Exporten mittels regelmässiger Abwertungen auf die Sprünge zu helfen. Den Preis dafür bezahlte das Land mit nachfolgender Inflation und hohen Zinsen. Unter der gemeinsamen Währung ist die Dauer-Abwertung aus Verlegenheit nicht mehr möglich. Oder anders gesagt: für Südeuropa ist der Euro auch auf gedrücktem Kursniveau zu stark. Umgekehrt wäre die hoch kompetitive Position Deutschlands durch ein Erstarken der D-Mark teilweise korrigiert worden.
Wertschöpfung und Jobs wandern nach Norden
Die Gemeinschaftswährung führt so zu einer massiven Verschiebung von Wertschöpfung in Richtung Norden. Während die daraus entstehenden Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen in die Schuldenkrise führten, hat die Verschiebung der Produktion einschneidende Konsequenzen für die Arbeitsmärkte. Das deutsche «Beschäftigungswunder» ist zu einem erheblichen Teil die Konsequenz der gemeinsamen Währung. Die Einrichtung einer ständigen «Transfer-Union» könnte zwar die Symptome etwas lindern, aus der Welt schaffen lässt sich die unangenehme Tatsache jedoch nicht.
Grundsätzlich könnte die Spannung auch durch Migration von Arbeitskräften abgebaut werden. Tatsächlich geschieht dies auch schon in Ansätzen, denn seit einem Jahr weist Deutschland gegenüber der restlichen Eurozone eine positive Wanderungsbilanz auf. Und in Portugal sind Deutschkurse am Boomen. Es ist jedoch schwer vorstellbar, dass das ganze Ausmass der Verwerfungen über die Mobilität der Menschen aufgefangen werden kann. Dazu sind die kulturellen und sprachlichen Barrieren zu hoch und sowohl die Ziel- als auch die Geberländer wären mit Wanderungsbewegungen in den «nötigen» Grössenordnungen bei weitem überfordert.
Die einzige wirksame Remedur ist die Verbesserung der Lohnstückkosten im Süden, entweder durch höheres Produktivitätswachstum oder mittels sinkender Löhne und damit «interner» Abwertung. Ersteres ist ein Generationenprojekt, letzteres ist – wie das Beispiel Italiens zeigt – äusserst schwierig, denn es ist seit langem bekannt, dass sich Nominallöhne kaum drücken lassen. Für beide Strategien ist eine Deregulierung der verkrusteten Strukturen auf den nationalen Arbeitsmärkten unabdingbar.