Die Herausforderungen für unsere Staatsbetriebe sind vielfältig, und sie nehmen zu. Insbesondere die konjunkturelle Entwicklung sowie neue Gewohnheiten im den Bereichen Konsum und Mobilität wirken sich auf die Nachfrage nach ihren Produkten und Dienstleistungen aus.
Aber auch die fortschreitende Digitalisierung fordert die Staatsunternehmen heraus: Sie lässt die angestammten Tätigkeitsbereiche vieler Service-public-Anbieter kontinuierlich schrumpfen. So ist es nicht erstaunlich, dass sich Betriebe wie die Swisscom, die SBB oder die Schweizerische Post mit rückläufigen Einnahmen und schrumpfenden Betriebsergebnissen konfrontiert sehen. Gerade die Corona-Pandemie hat die beschriebenen Tendenzen noch einmal deutlich beschleunigt.
Was tun in einer solchen Situation? Grundsätzlich sind aus betriebswirtschaftlicher Sicht drei Reaktionen denkbar:
- Reduktion von Betriebskosten und nicht kostendeckender Leistungen
- Preiserhöhungen für nicht kostendeckende Leistungen
- Wachstum durch Expansion im In- und Ausland
Die Schweizerische Post kann als Paradebeispiel eines Betriebs herangezogen werden, der versucht, alle drei Massnahmen gleichzeitig umzusetzen. Schon seit längerem sind etwa Sparprogramme bei der Post zum Alltag geworden. Sie werden oft mit klingenden Namen wie Victoria, Evolve oder Vivaldi versehen und umfassen Massnahmen wie die Zusammenlegung von Abteilungen, die Reduzierung von Büroflächen oder die Schliessung von Poststellen.
Ist der politische Wille zum Sparen tatsächlich vorhanden?
Allzu radikal kann der Rotstift aber natürlich nicht angesetzt werden. Denn unsere Staatsbetriebe sollen ja nicht nur preisgünstige und qualitativ hochstehende Produkte bereitstellen, sondern gleichzeitig ein Vorbild im Bereich der sozialen Verantwortung abgeben. Sobald anrüchig wird, dass bei der Post aufgrund von Sparmassnahmen eine Stelle abgebaut werden könnte, ist der mediale Aufschrei der Gewerkschaften so voraussehbar wie das Amen in der Kirche.
Auch über eine Anpassung der Leistungen der Grundversorgung wird gegenwärtig diskutiert. Während die meisten europäischen Länder schon längst auf die rückläufigen Entwicklungen im Postmarkt reagiert und die Grundversorgung auf das in einer digitalen Welt Notwendige beschränkt haben, leistet sich die Schweiz weiterhin einen postalischen Service public, als wären Internet und E-Mail noch nicht erfunden worden.
Anfangs 2021 hat der Bundesrat eine unabhängige Expertengruppe eingesetzt, die Vorschläge zur Weiterentwicklung der postalischen Grundversorgung erarbeiten soll. Man darf gespannt sein, ob diese Expertengruppe (welcher prima vista keine ausgewiesenen Postspezialisten angehören) den Mut aufbringen wird, wegweisende Vorschläge zu lancieren. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, müssten solche Vorschläge dann auch von der Politik aufgenommen und umgesetzt werden. Klar ist hierbei, dass man sich in der Schweiz mit der Forderung nach einem Abbau des Service public – auch wenn dieser von kaum jemandem mehr in Anspruch genommen wird – keine Meriten erwerben kann.
Preiserhöhung – der Schuss könnte nach hinten losgehen
Die zweite Möglichkeit, um die Finanzen ins Lot zu bringen, sind Preiserhöhungen für nicht kostendeckende Leistungen. In diesem Zusammenhang plante die Post per Anfang 2022 die Preise für A-Post-Briefe um 20 Rappen, diejenigen für B-Post-Briefe um 10 Rappen zu erhöhen. Es handelt sich dabei um die erste Preisanpassung seit 18 Jahren. Aber so einfach geht das natürlich nicht: Sobald in der Schweiz ein Staatsunternehmen die Preise korrigieren will, ist die Preisüberwachung zur Stelle. In diesem Fall inszenierte sie sich medienträchtig als Schutzherrin der KMU und setzte eine Begrenzung der Preisaufschläge auf 10 Rappen für A-Post-Briefe und 5 Rappen für B-Post-Briefe durch. Als Konsequenz hiervon muss die Post nun 5-Rappen-Ergänzungsbriefmarken drucken – eine Briefmarke, deren Frankaturwert geringer ist als ihre Produktionskosten.
Unabhängig von der Frage, um wieviel die Preise der Post erhöht werden dürfen, ist festzuhalten, dass Preiserhöhungen nicht zwingend die gewünschte Wirkung entfalten. So stiegen die Briefpreise in Europa in der zweiten Hälfte der 2010er Jahre nominal um knapp 60%. Gleichzeitig fiel der Rückgang der Briefmenge in den meisten europäischen Ländern aber massiv höher aus als in der Schweiz, wo keine Preisanpassungen vorgenommen wurden. Falls eine Erhöhung der Briefpreise die E-Substitution befeuert und zu einem überproportionalen Mengenrückgang führt, wird damit die finanzielle Situation der Post nicht gestärkt, sondern geschwächt.
Die Hunter-Strategie der Post löst ungute Erinnerungen aus
Bleibt noch die dritte Möglichkeit: die Expansion. In der Strategie der Post für die Jahre 2021 bis 2024 wird in diesem Zusammenhang tatsächlich festgehalten, dass mit Zukäufen und Partnerschaften in Logistik und Kommunikation das Angebot gestärkt und erweitert werden soll, um so neue Erträge zu erschliessen. Die Schweizerische Post ist schon fleissig dabei, ihre Strategie in die Praxis umzusetzen und hat bereits verschiedene Unternehmen übernommen, unter anderem Klara Business (Buchhaltungssoftware), Livesystems (digitale Werbung), Tresorit (sicherer Datenaustausch in der Cloud), Swiss Sign Group (E-ID) sowie die Einkaufs-App «Bring».
Die Hunter-Strategie der Post lässt ungute Erinnerungen an die Swissair aufkommen, die in den 1990er Jahren ihre Probleme mit Beteiligungen an insgesamt 14 Airlines lösen wollte. Der Rest ist Geschichte: Die Swissair musste 2001 Konkurs anmelden – sie hatte mit ihrer fehlgeschlagenen Strategie einen Schuldenberg von 15 Mrd. Fr. angehäuft.
Nicht viel erfolgreicher war die Akquisitionsstrategie der Swisscom, die in den 1990er und 2000er Jahren mit verschiedenen gescheiterten Engagements im Ausland auf sich aufmerksam machte. So etwa mit dem Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung an der deutschen Debitel für 4,3 Mrd. Franken. Bereits 2004 verkaufte die Swisscom ihre Anteile wieder, mit einem Verlust von 3,3 Mrd. Franken. Ob ein altehrwürdiges Staatsunternehmen wie die Schweizerische Post tatsächlich auf Expansion setzen soll, um seine Finanzen zu sanieren, darf somit bezweifelt werden. Immerhin handelt es sich bei den eingesetzten Mitteln nicht um privates Risikokapital, sondern um Volksvermögen. Ein allfälliger Misserfolg ist – direkt oder indirekt – vom Steuerzahler zu tragen.
Hinzu kommt die Frage, ob eine solche Hunter-Strategie gesetzlich überhaupt erlaubt ist. So braucht es doch eine sehr kreative Auslegung des Postgesetzes, um bei der angestrebten und bereits erfolgten Expansion in den digitalen Raum einen Bezug zum traditionellen Kerngeschäft herzustellen. Letztlich ist die Expansionsstrategie der Post aber vor allem aus ordnungspolitischer Sicht höchst fragwürdig: Die Ausdehnung der Geschäftstätigkeit von Staatsbetrieben in private Märkte droht regelmässig mit erheblichen Marktverzerrungen einherzugehen. Es erstaunt dann auch nicht, dass in der Privatwirtschaft keine Freude über die neue staatliche Konkurrenz aufkommt und in der Politik von wirtschaftsfreundlichen Kreisen gesetzliche Regeln gefordert werden, um Wettbewerbsverzerrungen zwischen privaten und staatsnahen Unternehmen zu verhindern.
Reformen nicht aufschieben
Viele Service-public-Angebote, gerade im postalischen Bereich, stammen aus der vordigitalen Zeit und werden von der Bevölkerung immer weniger nachgefragt. Die sich daraus ergebenden finanziellen Probleme für die Service-public-Anbieter einfach zu ignorieren, stellt jedoch keine Lösung dar: Den Kopf in den Sand zu stecken und darauf zu spekulieren, dass unsere Service-public-Anbieter die finanziellen Löcher mittels Expansion in private Märkte stopfen können, ist nicht nur ordnungspolitisch höchst fragwürdig, sondern – wie die Geschichte verschiedentlich gezeigt hat – verantwortungslos. Letztlich führt auch in der Schweiz kein Weg an der unbequemen Debatte vorbei, wie viel Service public wir uns in Zukunft leisten wollen und wer diesen bezahlen soll.