Im letzten Jahr war der Strom knapp – und die Preise am Strommarkt schnellten in die Höhe. Steigende Preise signalisieren eine Knappheit – etwa in Stunden mit hoher Nachfrage und geringer Produktion aus Erneuerbaren sowie während Krisen wie der Gasverknappung infolge des Ukraine-Krieges. Die meisten Verbraucher in der Schweiz haben jedoch kaum einen Anreiz, auf diese Preissignale zu reagieren, da sie von ihrem Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVU) zu einem im Vorjahr festgelegten Preis versorgt werden. Falls freiwillige Einsparungen nicht ausreichen, um Engpässe zu überbrücken, bleibt im Notfall also nur die Abschaltung durch das EVU.
Das aktuelle Marktdesign unterdrückt somit sowohl den Anreiz für Lastverschiebungen (von teuren in weniger teure Stunden) als auch den Anreiz für freiwillige Lastsenkungen (bei durchgehend hohen Preisen während Krisen). Das heutige System ist daher wenig geeignet, den Übergang zu einer nachhaltigen Energieversorgung mit Erneuerbaren zu unterstützen.
Verbesserung der Preisanreize durch Profilverträge
Im Folgenden werden drei Überlegungen skizziert, wie sich das Marktdesign verbessern liesse. Erstens gilt es, die Preisanreize zu verstärken. Dies kann erreicht werden, indem die EVU ihrer Kundschaft anstelle von Fixpreisverträgen einen Profilvertrag anbieten. In diesem Modell kauft die Kundschaft zu einem Fixpreis (z. B. dem langfristigen Durchschnittspreis) ein definiertes Lastprofil (=gekauftes Profil) ein, das ihrem Verbrauchsprofil entspricht (vgl. Abbildung). Für ihren Mehrkonsum (im Vergleich zum gekauften Profil) bezahlt sie, und für ihren Minderverbrauch erhält sie eine Erstattung in Höhe des Spotpreises. Der bezahlte Durchschnittspreis ist sehr nahe am Fixpreis, sofern das Lastprofil der Verbraucher dem von ihnen eingekauften Profil entspricht und dieses während Hochpreisstunden nicht systematisch übersteigt. Profilverträge schützen die Verbraucher daher – ähnlich wie Fixpreise – vor plötzlich steigenden Preisen.
Wirkungsweise des Profilvertrags
Gleichzeitig haben Verbraucher mit einem Profilvertrag aber denselben Anreiz für kurzfristige Lastverschiebung und mittelfristige Lastsenkung, wie wenn sie zu Grosshandelspreisen beliefert werden (vgl. Tabelle). Verglichen mit den heutigen Fixpreisverträgen können Verbraucher, die ihre Last einschränken oder diese von teuren in günstigere Stunden verschieben, gerade während Mangellagen bedeutende Einsparungen erzielen. Sie müssen dafür kein wesentlich höheres Preisrisiko in Kauf nehmen. Gleichzeitig profitieren auch die EVU: Das von ihnen abzusichernde Lastprofil ist bereits im Voraus bekannt und lässt sich somit deutlich einfacher auf Forward-Märkten absichern («hedgen»). Profilverträge sind einer Belieferung zu Fixpreisen oder Grosshandelspreisen im Hinblick auf die daraus entstehenden Anreize überlegen.
Preisrisiken und Anreizwirkung verschiedener Verträge für Verbraucher
Eine massgeschneiderte, individuelle Versorgungssicherheit
Die zweite Überlegung beruht auf folgendem Fakt: Der subjektive Wert einer unterbrechungsfreien Stromversorgung aus dem Netz variiert stark – sowohl zwischen Kundengruppen (z. B. Haushalte kontra Spitäler) als auch unter den Lastentypen (z. B. Computer versus Wärmepumpe). Darauf sollte Rücksicht genommen werden. Im Fall einer Mangellage erlaubt heute die Bewirtschaftungsverordnung des Bundes, pauschale Verbote bestimmter Endgeräte, einheitliche Kontingentierungssätze für Grossverbraucher und – als Letztmassnahme – rollierende Abschaltungen verschiedener Teilnetzgebiete zu erlassen.
Es gibt aber Möglichkeiten, die Abschaltungen viel individueller zu steuern, nämlich mit der Installation intelligenter Stromzähler sowie der Anbindung von Ladestationen und anderen Endgeräten an die Rundsteuerung (bzw. das Internet of Things). Im Fall einer Mangellage ist es effizient, wenn die Kundschaft selbst entscheiden kann, welchen Grad der Versorgungssicherheit sie für ihren Verbrauch als Ganzes oder für bestimmte Endgeräte benötigt. Ähnlich wie beim Abschluss einer Versicherung eine maximale Deckungssumme im Schadensfall gewählt wird, könnten die Verbraucher bei Vertragsabschluss festlegen, bis zu welchem maximalen Preisniveau sie ihre Gesamtnachfrage oder Teile ihrer Nachfrage – zum Beispiel für bestimmte Endgeräte – aufrechterhalten und dafür einen entsprechend tieferen Preis bezahlen wollen im Vergleich zu einer (beinahe) 100-Prozent-Versorgung.
EVU könnten bereits heute derartige Verträge anbieten. Sie haben dazu jedoch kaum einen Anreiz, da sie den Verbrauch von Lasten in kritischen Versorgungssituationen auch ohne Entschädigung einschränken dürfen. In Zukunft sollten solche Einschränkungen auf Ausnahmesituationen wie höhere Gewalt (z. B. Sabotage) beschränkt werden. In allen übrigen Situationen sollten Kundeninnen und Kunden von ihren EVU eine Kompensation erhalten. Dadurch erhielten die EVU einen Anreiz, bei ihrer Kundschaft weniger wertvolle Lasten im Voraus zu identifizieren, diese über günstigere Verträge abzusichern und im Bedarfsfall abschalten zu können.
Automatisierte Laststeuerung gemäss Präferenzen
Dritte Überlegung, um das Marktdesign zu verbessern: Es sollte den Verbrauchern möglichst einfach gemacht werden, auf den Strompreis zu reagieren. Am effizientesten wäre es, Lastverschiebungen und -senkungen innerhalb der von den Kunden voreingestellten Parameter zu automatisieren. So könnten Verbraucher das gewünschte Versorgungsniveau für einzelne Endgeräte festlegen. Die Gerätesteuerung berechnet daraus die jeweils tolerierbare Abweichung und steuert das Gerät automatisch: Sie drosselt die Versorgung oder schaltet das Gerät gar ab, wenn bestimmte Preisschwellen überschritten werden. Für die Kundschaft wäre dies deutlich komfortabler als eine andauernde Überwachung der Strompreise und die manuelle Abschaltung einzelner Geräte bei steigenden Preisen.
Je nach Präferenz des Kunden kann die Laststeuerung dabei durch unterschiedliche Arten erfolgen: durch den Kunden selber (bzw. sein Home-Automation-System), durch ein mit der Laststeuerung aller Geräte beauftragtes EVU oder durch mehrere mit der Laststeuerung bestimmter Geräte beauftragte Versorger. Letztere könnten die Geräte deutlich effizienter steuern, da sie über detaillierte Kenntnisse herstellerspezifischer technischer Parameter verfügen. Damit minimiert sich auch das Risiko von Schäden an den gesteuerten Geräten. Denkbar wäre, dass Gerätehersteller in Zukunft auch gleich ein Nutzungsabonnement verkaufen, welches das vom Kunden gewählte Niveau der Versorgung mit Energie, die optimierte Steuerung und den Service des Geräts beinhaltet. Voraussetzung einer individuellen Laststeuerung ist aber nicht nur eine massiv verbesserte Datenlage, sondern auch eine weiter gehende Marktöffnung, die den Endkunden erlaubt, für die wichtigsten flexiblen Lasten einen unabhängigen Stromlieferanten auf dem freien Markt zu wählen.
Stromsystem wird resilienter und verlässlicher
Die Kombination von Preisanreizen, individuellen Versorgungsniveaus und automatisierter Laststeuerung in Abhängigkeit von den Strompreisen hat einen gewichtigen Vorteil: Versorgungslücken bei Mangellagen können jederzeit über eine Drosselung der am wenigsten wertvollen Lasten geschlossen werden. Ein administriertes Lastabwurfverfahren, also eine kontrollierte Stromabschaltung als letzte mögliche Massnahme, würde bei angebotsseitigen Mangellagen kaum mehr notwendig sein. Die Kosten im Fall einer Mangellage würden sinken, und das Stromsystem würde resilienter und damit verlässlicher werden.
Dieser Beitrag von Christian Winzer und Patrick Dümmler ist am 19. Juni 2023 in der Zeitschrift «Die Volkswirtschaft» erschienen.