Das vergangene Abstimmungswochenende war seltsam. Ausländische Beobachter, die das Parteiensystem der Schweiz ungefähr kennen, aber nicht bis ins Detail mit den Abstimmungsvorlagen und den vorangegangenen Diskussionen dazu vertraut sind, dürften sich verwundert die Augen reiben, wenn sie hören, welches politische Lager sich über welches Abstimmungsergebnis freute.
Weitere Klimasubventionen – zur Freude von fast allen
Am meisten Aufmerksamkeit hatte die Abstimmung zum Klima- und Innovationsgesetz (kurz: Klimaschutzgesetz) – auch wenn die Stimmbeteiligung mit 42,5% am letzten Sonntag generell eher niedrig war. Dieses war der indirekte Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative und wäre – hätte die SVP nicht das Referendum ergriffen (soweit, so normal) – ohne Volksabstimmung in Kraft getreten. Viel steht im Gesetz eigentlich nicht. Die Klimaneutralität zum Jahr 2050 wird in der Verfassung festgeschrieben (ein eher symbolischer Akt), ebenso Zwischenziele auf dem Weg dahin (dito).
Als einzige konkrete Massnahmen werden zwei weitere Subventionstöpfe geschaffen: Zusätzlich zum bisherigen Gebäudeprogramm werden der Ersatz von Öl- oder Gasheizungen mit Holzheizungen oder Wärmepumpen und die Gebäudeisolation mit 200 Millionen Franken pro Jahr aus allgemeinen Steuergeldern subventioniert. Ebenso erhalten Industrie- und Gewerbebetriebe, die innovative klimaschonende Technologien einsetzen, insgesamt 200 Millionen Franken pro Jahr.
Die beiden Instrumente schaffen keinerlei Kostenwahrheit, sie sind nicht technologieneutral, haben eine beschränkte Effizienz (für das bisherige Gebäudeprogramm wurden Subventionen von 207 Fr. pro vermiedene Tonne CO2 fällig) und sie werden kaum einen massgeblichen Beitrag zur Erreichung von Netto-null leisten. Kurz: ein ganz klares Nein für alle mit liberalem Gewissen.
Doch Klimaschutz ist unterdessen derart en vogue, dass auf dem politischen Parkett nicht mehr der Inhalt, sondern die Message zählt. Darum hatten auch alle Mitte-Parteien inkl. FDP, sowie Economiesuisse, Swissmem und zahlreiche weitere wirtschaftsnahe Verbände die Ja-Parole gefasst. Dagegen gesträubt hat sich einzig die SVP (und einige kantonale Gewerbeverbände) – wenn auch aus dem falschen Grund; denn sie würden wohl auch jede konsequente Bepreisung von Treibhausgasemissionen ablehnen, obwohl diese der liberalere, fairere und effizientere Weg zur Erreichung von Klimazielen wäre.
Eine Mindeststeuer für Grosskonzerne – begrüsst von den Bürgerlichen
Zur Vorlage über die sogenannte OECD-Mindeststeuer, mit der kleinen Ländern im internationalen Steuerwettbewerb die Flügel gestutzt werden, leisteten weder FDP noch SVP Gegenwehr. Die grössten bürgerlichen Parteien des Landes empfahlen ein Ja zur Verfassungsänderung, obwohl gerade die SVP sich in anderen Fällen meist vehement gegen Harmonisierungen wehrt – besonders wenn internationale Organisationen solche fordern. Dabei gäbe es angesichts der bemerkenswerten Wandlung der OECD in den letzten Jahren gute Argumente: Einst ein Hort der Verfechter effizienter Steuerpolitik ist die Organisation zur Wegbereiterin einer kartellähnlichen Steuerordnung im Dienst der Hochsteuerländer geworden.
Offensichtlich wertete aber das gesamte bürgerliche Lager Rechtssicherheit für die Schweiz höher als die staatspolitischen Grundprinzipien des Steuerwettbewerbs und der Subsidiarität. Das ist nicht per se falsch. Eine pragmatische Haltung einzunehmen, ist an dieser Stelle wohl nützlich. Unternehmen schätzen den Standort Schweiz nicht nur wegen der (auch künftig) moderaten Steuerbelastung. Indem die Schweiz die Mindeststeuer umsetzt, kann sie zudem ihr Image als vermeintliche Steueroase entkräften und verhindert, dass sie wie beim Bankgeheimnis international blossgestellt wird.
Trotzdem: Mit welchem Enthusiasmus wirtschaftsnahe Verbände und Parteien das Abstimmungsergebnis begrüssten, darf schon verblüffen. Immerhin hat der Souverän einer Steuerharmonisierung zugestimmt, die in Zukunft (und im Zweifel) wohl nur eine Richtung kennt: noch weiter nach oben. Kommt hinzu, dass die Zustimmung zum Projekt nicht nur in den USA, wo die Mehrheitsverhältnisse im Kongress eine Umsetzung verhindern, fraglich ist. Der Vorwurf, die Schweiz habe bei der Mindeststeuer etwas gar voreilig gehandelt, lässt sich jedenfalls nicht vollends entkräften.
Überhaupt lief die Diskussion schon seit Monaten gar nicht mehr entlang der Frage, ob man eine solche Mindeststeuer akzeptiert, sondern bloss, wie die kolportierten Mehreinnahmen zwischen den Staatsebenen verteilt werden sollten. Der Fokus auf einen Nebenschauplatz verleitete die SP absurderweise dazu, die Einführung einer Mindeststeuer abzulehnen und bescherte ihr eine seltene Niederlage im Steuerdossier. Damit leistete von allen Parteien ausgerechnet die Linke Widerstand gegen eine Steuererhöhung.
Eine Elternzeit – zum Ärger von links
Liberale Kreise frohlockten aber nicht nur auf nationaler Ebene über ungewohnte Abstimmungserfolge. Im Kanton Genf befand der Souverän am vergangenen Sonntag über eine 24-wöchige Elternzeit – es war dies die dritte Initiative zu einem sozialpolitischen Kernanliegen der Linken auf kantonaler Ebene. Im Vergleich zu den Abstimmungen in Zürich und Bern fand jene in Genf allerdings vor umgekehrten Vorzeichen statt: In Genf sprachen sich alle linken Kräfte dagegen aus. SP, Grünen und den Gewerkschaften ging die Initiative der Grünliberalen schlicht nicht weit genug. Die bürgerlichen Parteien mit Ausnahme der SVP unterstützten das Vorhaben.
Das wuchtige Ja zum Vaterschaftsurlaub im September 2020 – in Genf und auch in der Waadt lag die Zustimmung bei über 80% – hatte das linke Lager davon überzeugt, dass künftig viel weitergehende familienpolitische Forderungen mehrheitsfähig sein würden. Doch ein Vorstoss im Parlament, der ähnlich wie in Bern und Zürich nicht weniger als 18 Wochen Urlaub pro Elternteil gefordert hatte, schaffte es nicht aus dem Entwurfsstadium hinaus. Stattdessen lancierten die Grünliberalen ihre Initiative und überzeugten mit bürgerlicher Unterstützung knapp 58% des Genfer Stimmvolks.
Nun wird Genf in Sachen Elternzeit vermutlich als Pionierkanton in die Geschichte eingehen. Die Sozialdemokraten und ihre Verbündeten dürften zumindest so tun, als wäre es ihnen egal. Sie lehnen das Genfer Modell ab, weil für sie nur eine paritätisch ausgestaltete Lösung – eine, die dem Vater eine gleich lange Auszeit «auferlegt» wie der Mutter – eine echte Elternzeit ist. Den Bürgerlichen kann es recht sein: Ihnen sind weitere Erfolge sicher, sollte die Linke weiterhin eine derart dogmatische Gleichstellungspolitik verfolgen.
Mit Blick auf andere Kantone sollten dabei zwei Punkte nicht vergessen gehen. Erstens wäre für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf den Eltern mit einer flexibel aufteilbaren Elternzeit mehr geholfen. Zweitens sind andere Massnahmen wie die Einführung der Individualbesteuerung wesentlich vielversprechender, um eine egalitärere Rollenteilung zu erreichen.