Wer ist der Mittelstand, um den sich alle sorgen? Die plastischste Definition lieferte an einer von Avenir Suisse organisierten Podiumsdiskussion in St. Gallen über die Probleme des Mittelstandes in der Schweiz Alt-Bundesrat Christoph Blocher: «Die, die zu viel verdienen, als dass der Staat für sie sorgt, aber zu wenig, als dass sie nach Monaco zügeln könnten». Statistisch umfasst der Mittelstand rund 60% der Schweizer Bevölkerung, mit einer Einkommensspannbreite von 45 000 Fr. bis 100 000 Fr. für Einpersonenhaushalte und von 94 000 Fr. bis 209 000 Fr. für eine vierköpfige Familie. Höhere Einkommen zählen zur Ober-, tiefere zur Unterschicht.
Parteien von links bis rechts wollen dem Mittelstand den Rücken stärken, wenn auch mit unterschiedlichen Mitteln, wie die Diskussionsrunde zeigte, an der neben Christoph Blocher (SVP, ZH) noch Hans Altherr (FDP, AR), Ständerat und Unternehmer, Paul Rechsteiner (SP, SG), Ständerat und Gewerkschaftspräsident, sowie Gerhard Schwarz, Direktor von Avenir Suisse, teilnahmen. Die Rezepte reichen von mehr Umverteilung und dem Ausbau des Service Public über rigide Eingriffe in den Arbeitsmarkt (Abzocker-, Mindestlohn-, und 1:12-Initiative) bis zur Reduktion, Vereinfachung und Glättung von Steuern und Abgaben und Kosteneinsparungen bei der öffentlichen Hand.
Das Einkommens-U(nbehagen)
Grundlage der Diskussion bildete die vielbeachtete Avenir-Suisse-Studie «Der strapazierte Mittelstand»: Dem Schweizer Mittelstand gehe es im internationalen Vergleich zwar sehr gut, doch sei eine Polarisierung bei den Löhnen auszumachen, erklärte Patrik Schellenbauer in seinem Eröffnungsreferat. Gerade die mittleren Einkommen, darunter viele Angestellte mit Berufslehrabschluss, spürten den Konkurrenzdruck durch die Einwanderer und den Rationalisierungsdruck durch den technologischen Fortschritt. Zwar seien auch die mittleren Löhne seit der Jahrtausendwende real gestiegen, aber weniger stark als die der Hoch- und Tiefqualifizierten, was zu einer U-förmigen Entwicklung der Einkommenskurve und einem relativen Statusverlust des Mittelstandes geführt habe. Hinzu komme, dass der Staat vielen ihre Ambitionen, den gestiegenen Lohndruck durch einen grösseren Arbeitseinsatz wettzumachen, durch die starke Grenzsteuerbelastung von bis zu 100% des Zweiteinkommens zunichtemache. Patrik Schellenbauer zeigte auf, dass der obere Mittelstand durch die staatliche Umverteilung praktisch ausgelöscht wird. Geholfen werden könnte dem Mittelstand durch eine möglichst geringe Belastung des Faktors Arbeit mit Steuern und Abgaben. Auch brauche es mehr Kostenwahrheit im Service Public.
Weder Mindest- noch Maximallöhne
Nicht immer reicht eine Berufslehre aus, um sich seine Position im Mittelstand zu sichern. Working Poor gebe es leider in jeder Gesellschaft, die bürgerlich-liberalen Podiumsteilnehmer waren sich jedoch einig, dass Mindestlöhne, wie das Paul Rechsteiner will, das falsche Mittel seien. Für Hans Altherr sind Gesamtarbeitsverträge die bessere Lösung, um Arbeitnehmer einer bestimmten Branche besser zu stellen. Mindestlöhne würden die Attraktivität und die Anziehungskraft der Schweiz für ausländische Arbeitnehmer weiter erhöhen und zu mehr Arbeitslosigkeit führen, warnte Christoph Blocher. Auch würden viele Jobs wegrationalisiert, für die die Arbeitgeber nicht bereit wären, den staatlich festgelegten Mindestlohn zu bezahlen. Ausserdem nehme ein einheitlicher Mindestlohn in keiner Weise Rücksicht auf die zum Teil grossen Unterschiede zwischen Branchen in Sachen Wettbewerbsfähigkeit und zwischen Regionen hinsichtlich der Lebenshaltungskosten.
Ob Mindestlohn oder 1:12-Initiative: Politik müsse für die Masse, nicht für wenige Ausreisser gemacht werden, warnte Gerhard Schwarz. Es dürfe doch nicht sein, dass wegen einigen überrissenen Managergehältern oder ungenügend bezahlten Kleiderverkäuferinnen das erprobte Erfolgsmodell der Schweiz, der liberale Arbeitsmarkt, aufs Spiel gesetzt werde. Gerhard Schwarz widersprach Gewerkschaftspräsident Paul Rechsteiner in einem wesentlichen Punkt: die Einkommensschere habe sich in der Schweiz seit den 1970er Jahren kaum geöffnet.
Lasst den Mittelstand in Ruhe
Ob der Wahlslogan «Wählt mich, ich lasse euch dafür in Ruhe» die beste Mittelstandspolitik versprechen würde, wollte Moderator Philipp Landmark, Chefredaktor des «St.Galler Tagblatt», zum Abschluss der Diskussionsrunde von den Teilnehmern wissen. Die Crux aller politischen Massnahmen zugunsten des Mittelstandes liege gemäss der Studie von Avenir Suisse nämlich darin, dass es immer der Mittelstand selber sei, der diese Massnahmen mit höheren Steuern oder Abgaben finanzieren müsse – sei es die Förderung von Wohneigentum, die Ausweitung der Kinderbetreuung oder der Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Die Oberschicht bezahle zwar auch, ergänzte Christoph Blocher, aber sie treffe es weniger und sie sei auch mobiler. Die Steuerausfälle, die durch den Wegzug der Reichen entstünden, etwa bei der Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer, wären beträchtlich und müssten wiederum vom Mittelstand berappt werden. Weil Umverteilung wenig bringe, aber viel koste, so das Fazit von Gerhard Schwarz, sei – etwas zugespitzt – keine Mittelstandspolitik vermutlich die beste Mittelstandspolitik.