Lange war in Theorie und Praxis ein ökonomisches Grundprinzip unbestritten: Dank Freihandel können sich Länder auf das spezialisieren, was sie gut können. Davon profitieren alle Beteiligten. Auch die USA standen traditionell hinter diesem Ansatz und gehörten zu den offensten Volkswirtschaften der Welt. Ihre Zölle sind niedrig, im Schnitt liegen sie (noch) bei 2,2%. Die Schweiz ist im Schnitt sogar noch ein bisschen offener, weil sie die Industriezölle abgeschafft hat, und die EU kommt auf 2,7%.

Diese niedrigen Handelsschranken könnten jedoch bald der Vergangenheit angehören. Der amerikanische Präsident Donald Trump glaubt nämlich nicht an das Versprechen offener Märkte und hat am Mittwoch sämtliche Länder mit Strafzöllen überzogen.

Die Preisfrage lautet, wie man auf Trumps Ankündigung reagieren sollte. Und hier bietet die Spieltheorie einen Gedankenanstoss. Diese untersucht, wie Menschen Entscheidungen treffen, wenn das Ergebnis auch von den Entscheidungen anderer abhängt. Genau mit einem solch strategischen Entscheidungsspiel haben wir es im Handel zwischen Nationen zu tun.

In der Theorie bewährt sich eine simple Strategie

Aus der Spieltheorie weiss man: Wer nicht mehr kooperiert – also in diesem Fall aus dem regelbasierten Handelssystem aussteigt und plötzlich Strafzölle erhebt –, riskiert eine Situation, in der es nur Verlierer gibt.

Der Spieltheoretiker Robert Axelrod hat Situationen analysiert, bei denen sich die Partner immer wieder begegnen (für Spieltheorie-Fans: ein iteriertes Gefangenendilemma). Für sein Buch «Die Evolution der Kooperation» hat er Fachpersonen aus diversen Disziplinen befragt, welche Strategie dafür optimal wäre. Am besten schnitt nicht eine komplizierte Strategie ab, sondern ein simples Tit-for-Tat: Kooperiere beim ersten Mal. Danach tu, was der andere vorher getan hat. Oder wie es im Alten Testament heisst: «Wie Du mir, so ich Dir.»

Die Idee hinter der Strategie lautet: Wenn ich weiss, dass der andere dasselbe macht wie ich, fördert die erstmalige Kooperation spätere Kooperationen. Denn wenn ich abweiche und Zölle erhebe, muss ich mit Gegenzöllen rechnen («Wie Du mir, so ich Dir») und ein Handelskrieg entbrennt. Da das beide wissen, startet man vorzugsweise mit Kooperation, die dann ewig anhält.

Vintage chessboard with a globe in the center, surrounded by chess pieces. (Adobe Stock)

Eine «grosszügige» Tit-for-Tat-Strategie ermöglicht es, Gegenmassnahmen zu ergreifen, ohne die Tür zur Kooperation zu schliessen. (Adobe Stock)

In der Praxis zahlt sich Augenmass aus

Axelrod zeigte aber auch: Dieses «reine» Tit-for-Tat ist für die reale Welt zu grobschlächtig. Es kann nämlich immer passieren, dass das Gegenüber «Fehler» macht, zuweilen «irrational» agiert und von der Kooperation abweicht – wir sind ja nur Menschen und keine Computer. Bei der Anwendung einer strikten Tit-for-Tat-Strategie wäre in diesem Fall das Resultat alles andere als ideal. Im Bereich der Aussenwirtschaft würde ein immerwährender Handelskrieg drohen. Man muss die Strategie deshalb verfeinern.

Eine «grosszügige» Tit-for-Tat-Strategie schneidet im realen Leben besser ab: Zeige gewisse Gegenmassnahmen, aber gib der Kooperation immer wieder eine Chance – selbst nach einem Regelbruch des Partners. Dann kann er sein «Versehen» korrigieren.

Axelrods «Evolution der Kooperation» legt somit folgendes Verhalten nahe: Eskalation mag kurzfristig für die grossen Handelspartner der USA zwar attraktiv erscheinen, aber es ist nicht optimal. Nachhaltige Stärke entsteht eher aus berechenbarer Reziprozität und strategischer Vergebung.

Was das für die neue Zollsituation bedeutet

Erste Reaktionen von Vertretern der EU deuten darauf, dass diesen Axelrods Lehren durchaus bewusst sind. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte etwa: «Let’s move from confrontation to negotiation – Lass uns von der Konfrontation zur Verhandlung übergehen.» Zugleich hat die EU Gegenmassnahmen im Petto.

Und was bedeutet das alles für die Schweiz? Eine kleine offene Volkswirtschaft sollte sich keine Illusionen machen: Wir haben keinen Hebel wie die EU mit ihren 450 Mio. Konsumentinnen und Konsumenten. Offenheit bleibt unser Trumpf, davon sollten wir uns auch durch Trump nicht beirren lassen.

Gewiss, man kann den USA gegenüber die Faust im Sack machen. Besser aber ist es, die Hand auszustrecken. Die Schweiz sollte die gegenwärtige Irritation über Trumps Zoll-Schocker nutzen, um bestehende Handelspartnerschaften zu vertiefen und neue zu initiieren. So wartet das Abkommen der Efta mit dem Mercosur (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay) immer noch auf einen Abschluss. Ein solcher wäre nicht nur ein willkommenes Signal gegen den eskalierenden globalen Handelskrieg, sondern hätte handfeste Vorteile für die nun gebeutelten US-Handelspartner – denn Freihandel ist und bleibt für alle Beteiligten ein Gewinn.