Die Aufmerksamkeit der internationalen Medien liegt noch auf den fragwürdigen Dekreten und beunruhigenden Amtshandlungen, die Donald Trump in den ersten Wochen seiner Präsidentschaft erlassen hat. Im Hintergrund arbeiten aber die Republikaner weiterhin emsig an einer grossen Reform der Unternehmensbesteuerung. Diese sieht die Abschaffung der gewöhnlichen Gewinnsteuer zugunsten einer sogenannten Cashflow-Steuer vor; einer Steuer also, die bloss die Differenz zwischen Ausgaben und Einnahmen besteuert.
Was nach nicht viel klingt, stellt in Wirklichkeit einen grundlegenden Paradigmenwechsel dar (vgl. «Wegweisende Steuerreform in den USA»), der Konsequenzen für den Unternehmensstandort Schweiz hätte. Um dies zu verstehen, müssen an dieser Stelle gleich zwei obskure Begriffe aus der Steuerwelt erwähnt werden: das «Territorialprinzip» und das «Bestimmungslandsprinzip».
Erträge im Ausland
Neu wäre die Unternehmenssteuer nach dem Territorialprinzip ausgerichtet, d.h. der US-Fiskus würde die ausländischen Erträge von amerikanischen Unternehmen künftig weitgehend ignorieren. Damit würden sich die USA vom international unüblichen Anspruch verabschieden, das Welteinkommen ihrer Unternehmen besteuern zu wollen. Weil die US-Unternehmenssteuer einen hohen statutarischen Steuersatz von 35% kennt, neigen Firmen dazu, diese Erträge möglichst lange ausserhalb der Landesgrenzen zu «parken», um deren Besteuerung zu verzögern.
Der Übergang zu einem reinen Territorialprinzip würde allerdings Anreize schaffen, noch mehr Erträge im Ausland anfallen zu lassen. Mit diesem Problem kämpfen freilich nicht nur die USA. Die Fähigkeit multinationaler Unternehmen, die Besteuerung gewisser Erträge an der Quelle zu minimieren, indem sie beispielsweise die Errichtung von Betriebsstätten in Hochsteuerländern meiden und aus steuergünstigen Standorten operieren (Irland, Niederlande, Schweiz), stellt auch einen der Beweggründe der «Base Erosion and Profit Shifting»-Initiative (BEPS) der OECD dar.
Doch im Unterschied zu BEPS schlagen die US-Republikaner keine Anpassung der Spielregeln vor, die seit bald hundert Jahren das internationale Steuerrecht geprägt haben, sondern deren radikale Umkrempelung. Denn mit der Anwendung des von der Mehrwertsteuer her bekannten Bestimmungslandsprinzips auf die Unternehmenssteuer betreten sie steuerrechtliches Neuland.
Auswirkungen auf die Schweiz
Dabei würden nur Einnahmen und Ausgaben, die in den USA getätigt werden, der Steuerbasis der Körperschaftssteuer angerechnet. Ausgaben für Importe liessen sich nicht mehr abziehen, dafür wären Einnahmen aus Exporten steuerfrei. Entscheidend für den Fiskus wäre also das Bestimmungsland der Waren und Dienstleistungen (USA oder Ausland), nicht ihr Ursprung.
Diese Änderung hätte durchaus Auswirkungen für die Schweiz. Ein einfaches Beispiel hilft dies zu verdeutlichen: Wenn die Schweizer Tochter einer US-Firma Waren verkauft, die sie von der Konzernzentrale in den USA bezogen hat, werden die generierten Erträge sowohl in der Schweiz als auch in den USA besteuert. Wie viel Steuern im einen oder anderen Land anfallen, hängt davon ab, zu welchem internen Preis die Ware der Tochter verrechnet wird (man spricht von «Transferpreis»). Liegt der Transferpreis tief, fallen weniger steuerbare Erträge in den USA und höhere Gewinne in der Schweiz an. Weil die Gewinnsteuer für privilegiert besteuerte Unternehmen derzeit in der Schweiz deutlich tiefer liegt, besteht ein klarer Anreiz, den Transferpreis möglichst tief zu halten.
Mit dem Bestimmungslandprinzip müssten Transferpreise aus US-Sicht nicht mehr überprüft werden. Für amerikanische Multis entfiele zudem der steuerliche Anreiz, einen wesentlichen Teil der gewinnträchtigen Aktivitäten im Ausland abzuwickeln. Nun hätten US-Unternehmen gar den Anreiz, hohe Transferpreise festzulegen, weil Erträge aus Exporten nur Gewinnsteuern im Ausland auslösen würden. Alleine mit tiefen Gewinnsteuern könnte die Schweiz diese Aktivitäten nicht mehr anlocken.
Überhöhte Erwartungen
Indessen bezweifeln einige Experten die Machbarkeit und den Nutzen einer derart grundlegenden Reform. Sie halten die Schätzungen, wonach die neue Steuer zusätzliche Einnahmen von 100 Mrd. Dollar in die Kassen des US-Treasury einspülen würde, für überhöht (heute generiert die Unternehmenssteuer rund 350 Mrd. Dollar). Ein Systemübergang wäre äusserst anspruchsvoll, käme der WTO in die Quere und würde wahrscheinlich neue Optimierungsmöglichkeiten bieten.
Wie auch immer: Für die Schweiz wären die finanzpolitischen Konsequenzen einer graduellen Abwanderung beträchtlich. Genaue Daten dazu bestehen nicht, doch es ist anzunehmen, dass ein wesentlicher Anteil der rund 40 Mrd. Fr. an Gewinnen, die jährlich in der Schweiz privilegiert besteuert werden, auf Aktivitäten von US-Unternehmen zurückzuführen ist. Damit wären Steuereinnahmen in Milliardenhöhe gefährdet.
Ein bisher wesentlicher Standortvorteil der Schweiz – die moderate Gewinnbesteuerung für mobile Erträge – würde zumindest aus amerikanischer Perspektive an Bedeutung verlieren. Dafür würden Nachteile wie die hohen Lebenskosten, die komplizierte Anbindung an den europäischen Binnenmarkt oder die Schwierigkeit, Personal aus Drittstaaten zu rekrutieren, stärker ins Gewicht fallen. Eine unerwartete Konsequenz von Trumps Wahl könnte somit die Erhöhung des Reformdruckes in der Schweiz sein.
Dieser Beitrag ist am 21. Februar 2017 auf der Website von «Finanz und Wirtschaft» erschienen.