Das globale Revival der Industriepolitik hat eine lebhafte Debatte über deren Wirkung entfacht. Sowohl Befürworter wie Kritiker bedienen sich dabei anekdotischer Evidenz, um ihre Argumente zu unterstreichen. Den Kritikern dienen etwa die (west-) europäischen Erfahrungen in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg als abschreckendes Beispiel. Besonders die Verstaatlichung beträchtlicher Teile des zweiten Sektors und vieler Netzindustrien wie Strom, Gas, Post, Telekom oder Eisenbahn verkamen zu Fehlschlägen.
Befürworter der Industriepolitik lassen diese wenig ermutigenden Erfahrungen hingegen selten als Beleg für die Ineffektivität staatlicher Investitionslenkung gelten. Gerne verweisen sie im Gegenzug auf den Wachstumserfolg ostasiatischer Länder. Der in Japan, Südkorea, Taiwan oder Singapur beobachtbare wirtschaftliche Aufholprozess soll massgeblich auf einer staatlich gelenkten, auf Schwerpunkttechnologien abzielenden Industriepolitik beruhen.
Regelmässig werden auch die Wachstumserfolge Chinas dessen Industriepolitik angerechnet. Mit einer Kombination aus zentraler Planung, Marktkräften, Sonderwirtschaftszonen und Technologieimporten hat China den Sprung zu einer führenden Wirtschaftsnation geschafft. Inzwischen gilt das Land der Mitte sogar die einzige industrielle Supermacht. Industriepolitik nimmt dabei eine zentrale Rolle ein. Doch ob sie auch langfristig funktioniert, ist weniger klar.
Unterstützte Firmen sind nicht produktiver
Gerade bei den jüngsten staatlichen Interventionen bestehen Zweifel, ob sie den Chinesen zusätzlichen Wohlstand bringen. Während die staatliche Förderung China bei Solarzellen, Batterien oder Elektroautos zur Technologieführerschaft verholfen hat, wird die Wirkung der vor knapp zehn Jahren ausgerufenen «Made in China 2025»-Strategie vermutlich überschätzt. Es zeigt sich zwar, dass die geförderten Unternehmen höhere Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) aufweisen. Allerdings lassen sich keine zusätzlichen Patentierungen oder Produktivitätssteigerungen nachweisen.
Eine Erklärung dafür könnte sein, dass Subventionen nicht den innovativsten Unternehmen zugutekommen, sondern das Überleben ineffizienter staatsnaher Unternehmen ermöglichen. Dies verhindert einen Bereinigungsprozess in den geförderten Branchen, der Wissen und Ressourcen für produktivere Zwecke freigeben würde. Das kann die geförderten Branchen weniger wettbewerbsfähig machen. Infolgedessen sind die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen von Subventionen auf die Produktivität möglicherweise negativ.
Zu einem ähnlichen Schluss kam eine Studie, welche die Auswirkungen staatlicher Subventionen an börsenkotierte chinesische Firmen zwischen 2007 und 2018 untersuchte. Die Zuwendungen für diese Unternehmen nahmen in diesem Zeitraum um das Siebenfache zu – von 4 Mrd. auf 29 Mrd. US-Dollar. Die Produktivität dieser Unternehmen scheint dadurch kaum gestiegen zu sein.
Vielmehr deutet die Untersuchung darauf hin, dass direkte Subventionen erstens eher an weniger produktive Unternehmen flossen. Zweitens stellen die Autoren einen negativen Zusammenhang zwischen dem Erhalt staatlicher Subventionen und dem anschliessenden Produktivitätswachstum der Unternehmen fest. Selbst Subventionen, die zur Förderung von F&E oder der Modernisierung von Industrieanlagen gewährt wurden, haben das spätere Produktivitätswachstum der Unternehmen nicht beeinflusst.
Die Förderung nationaler Champions ist kein Selbstläufer
Dass die chinesische Industriepolitik kein durchschlagender Erfolg ist, zeigt auch das prominente Beispiel des staatlichen Flugzeugherstellers Comac. Das Bemühen, Comac nach dem Vorbild von Airbus zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten in der Luftverkehrsindustrie aufzubauen, hat bisher nicht gefruchtet. Bis dato hat der chinesische Staat Comac mit rund 70 Mrd. Dollar unterstützt. Trotz dieser Investitionen hat sich die Einführung des Passagierflugzeugs C919 aufgrund regulatorischer und technologischer Hürden um mehr als fünf Jahre verzögert. Zudem wurde die C919 aufgrund von Sicherheitsbedenken bisher von keiner grösseren Luftfahrtbehörde ausserhalb Chinas zugelassen.
Die chinesische Industriepolitik zeigt, dass staatliche Ressourcensteuerung dank massivem Einsatz öffentlicher Gelder zwar das Wachstum anvisierter Branchen fördern kann. Diese Subventionen gehen aber mit Ineffizienzen und Überkapazitäten einher und sind kein Garant für industriellen Fortschritt und technologische Überlegenheit. Chinas Wohlstand und industrielle Bedeutung dürfte daher weniger das Resultat der seit den 2000er Jahren intensivierten staatlichen Eingriffe sein als vielmehr der chinesischen Wirtschaftspolitik der 1980er und 1990er Jahre.
Mittels Marktöffnung, der Zulassung ausländischer Investitionen und der Gewährung grösserer Freiheiten für den Privatsektor gelang es damals, die Rahmenbedingungen für weite Bereiche der Wirtschaft zu verbessern. Subventionen waren zwar allgegenwärtig, aber sie hatten nicht den heutigen zielgerichteten Charakter von Industriepolitik. In dieser Zeit nahm denn auch Chinas beeindruckender wirtschaftlicher Aufstieg seinen Anfang.
Wer im Westen heute Industriepolitik propagiert, um mit China mithalten zu können, sollte sich diese längerfristige Entwicklung vor Augen führen. Künftig dürften Fehlschläge der chinesischen Industriepolitik stärker zum Vorschein kommen – und zwar in dem Mass, in dem die Vorteile der wirtschaftlichen Liberalisierung des späten 20. Jahrhunderts sowie der demografischen Dividende abnehmen. Wirtschaftspolitische Vorbilder fürs 21. Jahrhundert sehen anders aus.
Weiterführende Informationen zum Thema finden Sie in der Studie «Zeit für Industriepolitik?».