Nicht einmal in einer Währungsunion wie dem Euroraum konvergieren die Preisniveaus. Vielmehr bleiben teilweise beträchtliche Unterschiede bestehen, wie ein Vergleich der Preisniveaus in Europa, der EU-27 und der Eurozone zeigt.
So weist Frankreich ein um rund 16% und Deutschland ein um knapp 8% höheres Preisniveau als Spanien auf. Ein Währungsraum gewährleistet demnach noch keine absolute Konvergenz der Preisniveaus. Und auch im Internetzeitalter werden Preisniveauunterschiede nicht ohne weiteres eingeebnet.
Je reicher ein Land, desto höher das Preisniveau
Ein Hauptgrund dafür liegt im sogenannten Balassa-Samuelson-Effekt, der besagt, dass reichere Länder (gemessen am BIP pro Kopf der Bevölkerung) bei nicht handelbaren Gütern und Dienstleistungen (bspw. Coiffeurdienstleistungen) in der Regel ein höheres Preisniveau haben als ärmere Länder.
Der absoluten Konvergenz der Preisniveaus stehen aber noch weitere Ursachen im Wege: unterschiedliche nationale Regulierungen mit entsprechenden Kostenfolgen, Transport- und Lagerkosten, bis hin zu mangelndem Wettbewerb auf den Produkte- und Gütermärkten. Zudem sind handelbare Güter oft nicht ohne weiteres grenzüberschreitend erhältlich. Dies, weil beispielsweise Parallelimporte nicht zulässig sind oder schlicht nicht stattfinden. Die Wirtschaftspolitik hat in den letzten Jahren einige Energie darauf verwendet, allfällige marktabschottende und preistreibende Effekte zu eliminieren, etwa durch die explizite Zulassung von Parallelimporten (mit Ausnahme von patentgeschützten Pharmagütern) oder durch die Etablierung des sogenannten Cassis-de-Dijon-Prinzips.
In den von Eurostat vorgenommenen Vergleichen der Preisniveaus zeigt sich, dass die Schweiz schon fast notorisch eines der teuersten Länder Europas ist. Im Jahr 2010 lag das Preisniveau 48% über dem Durchschnitt der EU-27. Die Ursachen und mögliche Massnahmen gegen die «Hochpreisinsel Schweiz» waren mehrfach schon Gegenstand offizieller Untersuchungen. Angesichts dieser grossen Unterschiede in den Preisniveaus scheint es umso unverständlicher und ärgerlicher, dass zusätzlich die jüngst doch beträchtlichen Wechselkursgewinne aufgrund der Höherbewertung des Schweizer Frankens nicht an die Endverbraucher weitergegeben wurden.
Potentiell geht es dabei um viel Geld. Nimmt man nämlich beispielsweise an, dass die Schweiz für die Einfuhren über rund 230 Mrd. Fr. wegen der Höherbewertung des Frankens etwa 10% weniger bezahlen könnte, würden die Endverbraucher gut 23 Mrd. bis 24 Mrd. Fr. an Kaufkraft oder pro Kopf der Bevölkerung rund 3000 Fr. jährlich gewinnen. Die zentrale Frage ist demnach, ob und wie allenfalls Währungsgewinne an die Endverbraucher weitergegeben werden. Ein Indiz zur Klärung dieser Frage liefert der Importpreisindex. Dieser ist zwar zwischen Juli 2008 und Mai 2009 um gut 11% gefallen, obschon gleichzeitig der nominale handelsgewichtete Wechselkursindex für den Franken nur um 5% gestiegen ist. Der Anstieg des nominalen und handelsgewichteten Wechselkursindexes um 17% seit Mai 2010 war dagegen von einer ausgeprägten Seitwärtsbewegung des Importpreisindexes begleitet.
Mithin hat der Importpreisindex auf die Höherbewertung des Frankens kaum reagiert. Dieses Bild wird durch mittlerweile zahlreiche anekdotische Evidenzen untermauert, wonach die beträchtliche Höherbewertung des Frankens gegenüber dem Euro und dem Dollar nicht via Preisnachlässe an die Endverbraucher weitergereicht wird.
Ersehnte Anpassung zum Jahresende?
Es wäre jedoch auch vermessen zu erwarten, dass aufgrund der Höherbewertung des Frankens gleich das allgemeine Preisniveau, also der Landesindex der Konsumentenpreise, in der Schweiz sinken sollte. Eine kürzlich publizierte Untersuchung des IMF zeigt, dass eine Höherbewertung des Frankens einen kaum spürbaren Einfluss auf den Konsumentenpreisindex hat. Hingegen reagieren die Importpreise auf eine Höherbewertung um 10% mit einem Rückgang um 30% bis fast 60% über eine Zeitspanne von etwa zwei bis sechs Quartalen.
Dass somit die deutliche Höherbewertung des Frankens über die vergangenen Monate noch nicht vollständig auf die Importpreise durchgeschlagen hat, liegt vor allem an der hohen Geschwindigkeit der Aufwertung. Es braucht also eine gewisse Zeit, bis die Preise von importierten Gütern fallen.
Dass die Weitergabe von Währungsgewinnen an die Endverbraucher eine Weile geht, wird am Fall IKEA deutlich. IKEA druckt einmal jährlich den Katalog in einer Auflage von 2,7 Mio. Exemplaren, und darin werden die Preise mittels eines Jahreswechselkurses berechnet. Eine starke Kursvolatilität kann demnach nicht mehr berücksichtigt werden. Selbstverständlich schliesst dies zeitlich begrenzte Rabattaktionen nicht aus. Der Fall illustriert aber, weshalb die Weitergabe von Währungsgewinnen in der Realität nicht sofort und unmittelbar geschieht.
Wer die Geduld nicht aufbringt, auf Rabatte und tiefere Preise von importierten Gütern aus dem Dollar- und Euroraum zu warten, dem sei der direkte Gang ins Ausland empfohlen. Für all jene, die die zusätzlichen Zollformalitäten nicht scheuen, ist dies heute dank Internet besonders leicht möglich.
Wo liegt die Schmerzgrenze für den Franken? – Der harte Franken (I)
Die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Unternehmen
Dass die starke Aufwertung des Frankens in den letzten Monaten viele Unternehmen mit Sorgen erfüllt hat, versteht sich von selbst. Es erstaunt deshalb auch nicht, dass zu diesem Zweck gerne der Begriff der «Schmerzgrenze» bemüht wird. Das war schon in früheren Aufwertungsphasen des Frankens so. Am 27. März 2002 konnte man im Zusammenhang mit dem vorhergegangen globalen Konjunktureinbruch in einer SDA-Meldung lesen:«Für diverse Branchen der Exportwirtschaft liegt die Schmerzgrenze des Euro-Wechselkurses bei Fr. 1.50.» In der Folge schwächte sich der Franken zwischen 2004 und 2007 übermässig ab, und es kam bis zum Ausbruch der Finanzmarktkrise 2008 zu einer fast stürmischen Exportentwicklung. Am 13. Februar 2010 wurde ein prominenter Branchenvertreter in der NZZ wie folgt zitiert: «Sinkt der Euro während mehrerer Wochen unter Fr. 1.40, dann tut es weh.» Auch nach dieser Aussage zeigten die Exporte allen Unkenrufen zum Trotz in den Folgemonaten kaum Ermüdungserscheinungen, obwohl der Margendruck ohne Zweifel zugenommen hat. Diese Beispiele machen zweierlei deutlich: Einerseits sind Aussagen über die «Schmerzgrenze» nicht einfach für bare Münze zu nehmen. Es sind wohl vielmehr Alarmrufe an die Nationalbank und die Politik, die mehr auf subjektiven Eindrücken als auf harten, überprüfbaren Fakten basieren. Anderseits wäre es eine Illusion, zu glauben, die Wechselkursabhängigkeit der Exportwirtschaft liesse sich trotz der Heterogenität der Branchen und Unternehmen mit einem einzigen Frankenkurs-Niveau ausdrücken. Was bieten sich aber sonst für «harte» Fakten an, um die Lage seriös zu analysieren? Im Vordergrund stehen – neben den herkömmlichen Konjunkturstatistiken – zwei Konzepte: Erstens, die Kaufkraftparitäten, die zwischen nominalen und realen Wechselkursen unterscheiden und bei Aussagen über die «Schmerzgrenze» gerne übersehen werden. Zweitens, die Indikatoren zur preislichen Wettbewerbsfähigkeit. Sie stehen im Zentrum dieses Beitrags.
Der Aufschwung im Ausland geht an der Schweiz nicht vorbei
Ein beliebtes und häufig verwendetes Mass für die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes oder einer Branche ist die Wechselkurselastizität. Dabei wird von der Tatsache ausgegangen, dass sich die Exportentwicklung eines Landes grundsätzlich durch die Wirtschaftsaktivität im Ausland und die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Unternehmen erklären lässt. Letztere gibt die relative Preis- bzw. Kostenentwicklung in der Schweiz im Vergleich zu einem gewichteten Durchschnitt der schweizerischen Absatzländer wieder. Eine Reihe von empirischen Studien zeigt, dass die langfristige Elastizität der schweizerischen Exporte gegenüber der Wirtschaftsaktivität im Ausland bei rund 2% liegt, d.h. die schweizerischen Ausfuhren nehmen bei deren Anstieg überproportional zu. Darin spiegeln sich nicht zuletzt der im Rahmen der Globalisierung zu beobachtende rasante Anstieg der weltweiten Handelsaktivitäten und die gute Integration der schweizerischen Unternehmen in die internationale Arbeitsteilung. Etwas schwieriger ist es, den Einfluss der preislichen Wettbewerbsfähigkeit zu erfassen. Je nach Modellspezifikation (Indikatoren auf Basis Konsumenten-, Produzentenpreise oder Lohnstückkosten), Aggregationsstufe (Gesamtwirtschaft bzw. Branchen) und Schätzzeitraum ergeben sich unterschiedliche Ergebnisse, wie jüngst wieder eine Untersuchung der KOF der ETH Zürich gezeigt hat. Die geschätzten Elastizitäten für die Gesamtexporte liegen zwischen -0,2% und -0,6 %. Auf Branchen- und Länderebene ist die Schwankungsbreite grösser.
Ein guter Branchenmix für den Weltmarkt
Trotz dieser Unsicherheit über die Bedeutung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit deutet vieles darauf hin, dass die Schweizer Ausfuhren sowohl im Zeitverlauf als auch im Vergleich mit anderen Volkswirtschaften insgesamt etwas resistenter gegen nominale und reale Wechselkursschwankungen geworden sind. Allerdings haben sich auch die Unterschiede zwischen den einzelnen Branchen tendenziell vergrössert. So bewältigt die chemisch-pharmazeutische Industrie Aufwertungsschocks leichter als Teile der Maschinen-, Metall- und Elektroindustrie, die Textilindustrie oder der Tourismus. Fügt man dieses Puzzle zu einem Gesamtbild zusammen, so kann man wohl sagen, dass die Schweizer Wirtschaft mit den zahlreichen F&E-intensiven, hochwertigen Gütern einen guten Branchenmix im Weltmarkt aufweist und die Vorteile des internationalen Vorleistungsbezugs positiv zu nutzen weiss. Weil die Elastizität der ausländischen Nachfrage gut fünfmal stärker wirkt als jene des Wechselkurses, konnte sie auch bis zuletzt von der guten Konjunktur in den wichtigen Exportländern profitieren.
Prognosen bleiben schwierig
Obwohl diese empirischen Arbeiten über die preisliche Wettbewerbsfähigkeit wichtige Einsichten vermitteln, können sie nicht einfach als Gradmesser für die Zukunft genommen werden, da sie immer auf ex-post Daten basieren. Die Frage, wie es weiter geht, lässt sich deshalb auch mit Wechselkurselastizitäten nicht ein für allemal beantworten. So weiss man nicht zum Voraus, wie die Unternehmen auf Wechselkursschocks reagieren. Bleibt die Widerstandskraft der Exportwirtschaft erhalten? Wird die Anpassung bei einer andauernden Frankenstärke linear ablaufen oder kippt die Lage brüsk und bringt viele Unternehmen und Branchen in Schwierigkeiten? Die Lage ist auch für die Nationalbank schwierig, wie das im Februar 2011 publizierte Diskussionspapier «Der harte Franken» bereits gezeigt hat. Rudolf Walser (17. Juli 2011)
Den richtigen Frankenkurs gibt es nicht – Der harte Franken (II)
Die Krux mit den Kaufkraftparitäten
Die «Härte» einer Währung wird in aller Regel an ihrer Kaufkraftparität gemessen. Deshalb stösst dieses Mass in der Wirtschaft und an den Finanzmärkten auf breites Interesse. Kaufkraftparitäten geben an, wie viele Einheiten inländischer Währung erforderlich sind, um den gleichen repräsentativen Warenkorb zu erwerben, den man für eine Einheit ausländischer Währung erhalten könnte. In einer perfekten und idealen Welt passt sich der Wechselkurs so an, dass diese Bedingung zwischen zwei Währungsräumen jederzeit erfüllt ist, d.h. der Warenkorb gleich hohe Geldbeträge kostet. Dieser Wechselkurs wird als kaufkraftparitätischer Wechselkurs bezeichnet.
Keine Idealwelt
Leider weicht die reale Welt in mancher Beziehung von diesem Idealzustand ab. So gibt es Handelsschranken (Zölle, Transport- und Transaktionskosten), Steuern, Subventionen, nicht handelbare Dienstleistungen usw., was im Endeffekt dazu führt, dass Kaufkraftparität kaum je gegeben ist. Vor allem kurzfristig kann der Wechselkurs erheblich von der Kaufkraftparität abweichen. Dies hängt damit zusammen, dass monetäre Störungen schnell zu Wechselkursveränderungen führen können, während sich das Preisniveau nur langsam anpasst. Langfristig sollte der Wechselkurs jedoch um die Kaufkraftparität, die im Zeitablauf variiert, schwanken.
Unterschiedliche Modelle
Für den Franken gilt, dass er gegenüber den Leitwährungen Dollar, Euro und Pfund einen langfristigen Aufwärtstrend aufweist. Dabei fällt auf, dass die Schätzungen bezüglich der Abweichung des Frankens von seiner Kaufkraftparität bzw. von seinem langfristigen Gleichgewichtskurs recht unterschiedlich sind. So kommt auf der einen Seite die Bank Vontobel in ihrem Investment Guide vom Mai 2011 auf der Basis der unterschiedlichen Entwicklung der Produzentenpreise zum Ergebnis, «dass der Franken entgegen der allgemeinen Wahrnehmung zum Euro kaum überbewertet ist und weitgehend den fundamentalen Gegebenheiten entspricht.» Der Dollar wird kurzfristig als etwas zu billig eingestuft, weshalb mit Gegenbewegungen zu rechnen sei. Auf der anderen Seite steht die Bank Sarasin. Gemäss ihren Berechnungen liegt der faire Wert des Frankens bei einem Eurokurs von 1.40 und einem Dollarkurs von 1.14. Die Credit Suisse nimmt eine mittlere Position ein. Sie verwendet allerdings einen anderen Ansatz und bestimmt die Kaufkraftparität unter Einbezug wichtiger Fundamentaldaten (relative Preise, Produktivität, Zinsen, Aussenhandelszahlen). Laut der Grossbank wäre der Franken mit einem Euro-Kurs von 1.36 fair bewertet, unter Fr. 1.31 für den Euro gilt er als überbewertet, unter Fr. 1.27 gar als deutlich überbewertet. Diese Beispiele zeigen zweierlei. Erstens hängt die Berechnung von Kaufkraftparitäten entscheidend von der gewählten Methode und der Untersuchungsperiode ab. Zweitens ist es eine Illusion, zu meinen, es existiere ein «richtiger» Wechselkurs; je nach Modell errechnen sich offenbar mehrere «richtige» Werte. Dies ist sowohl für die Unternehmen als auch für die Geldpolitik von Bedeutung. Kaufkraftparitäten sind für Unternehmen bestenfalls langfristig eine Orientierungshilfe bei der Beurteilung von Wechselkursen. Ein blindes Vertrauen darauf, dass der Franken sich automatisch zur wie immer berechneten Kaufkraftparität bewegen wird, wäre deshalb gefährlich. Avenir Suisse hat im Diskussionspapier «Der harte Franken» vom Februar 2011 betont, dass immer mit Abweichungen von rund 10% in beide Richtungen der Parität zu rechnen sei. Am besten fahren Unternehmen ohne Zweifel dann, wenn es ihnen gelingt, Kosten und Umsatz nach Währungsräumen im Gleichgewicht zu halten (natürliches Hedging). Wenn jedoch die Deckungsungleichheit (mismatch) von Umsatz und Kosten nach Währungsräumen gross ist, kann es für einzelne Marktteilnehmer bei einer starken Frankenaufwertung, wie wir sie in jüngster Zeit erlebt haben, existenzbedrohend werden.
Kein Wechselkursziel für die Nationalbank
Geldpolitisch fällt ins Gewicht, dass bei der vor allem von linker Seite geforderten Verfolgung eines Wechselkursziels die klare Orientierung fehlt. An welchem der oben erwähnten Wechselkurse sollte sich die Nationalbank ausrichten? Die Frage lässt sich nicht schlüssig beantworten. Es versteht sich deshalb, dass die Nationalbank selbst keine Schätzungen von Kaufkraftparitäten veröffentlicht. Die Krux mit den Kaufkraftparitäten ist sicher ein Grund, der neben anderen wichtigen Fakten, die in einem späteren Beitrag behandelt werden, gegen die Ausrichtung der Geldpolitik an einem Wechselkursziel spricht. Rudolf Walser (24. Juli 2011)
Devisenspekulation ist nicht schädlich– Der harte Franken (III)
Der harte Franken (III): Interventionismus hilft nicht weiter
Von verschiedenster Seite wird die «Devisenspekulation» an den Finanzmärkten dieser Tage verurteilt und als Ursache des in die Höhe schnellenden Frankenkurses bezeichnet. Unter anderem heisst es, die beiden schweizerischen Grossbanken sollten die ihrer Grösse und Bedeutung im internationalen Devisenhandel entsprechende volkswirtschaftliche Verantwortung wahrnehmen und auf Spekulationen auf den Franken verzichten. Von der Schweizerischen Nationalbank (SNB) und vom Bundesrat wird verlangt, sie sollten mit Hilfe der Waffe «Kommunikation» die Spekulanten verunsichern oder mit Instrumenten wie Negativzinsen auf ausländischen Frankenguthaben, Sonderzinsen für die Exportindustrie oder einem Verbot für die Finanzintermediäre, ausländische Gelder in Schweizer Wertpapieren anzulegen, regulierend eingreifen. Sogar eine Anbindung des Frankens an den Euro wird da und dort vorgeschlagen.
Spekulation nicht Ursache der Frankenstärke
Während populistische Kreise eine Eindämmung der «Devisenspekulation» fordern, wehren sich die Banken gegen den Vorwurf, sie zettelten eine Verschwörung gegen eine bestimmte Währung an. Darum stellt sich die Frage, was überhaupt unter «Devisenspekulation» zu verstehen ist. Am Beispiel der derzeitigen Aufwertungstendenz des Frankens bedeutet Devisenspekulation vereinfacht, dass Banken, Anleger und Investoren Franken kaufen in der Erwartung, der Kurs werde weiter steigen und die Währung lasse sich später mit Gewinn wieder verkaufen. Wenn die Banken die Situation so einschätzen und zum Beispiel dem Euro angesichts der Schuldenkrise misstrauen, wäre es geradezu unverantwortlich, wenn sie ihren Kunden von Investitionen in den Franken abrieten oder ihre entsprechenden Wünsche ignorierten. Vielmehr sind sie geradezu verpflichtet, ihren Kunden Anlageempfehlungen zu geben, von denen sie selbst überzeugt sind und die im Einklang mit der Risikoneigung der Anleger stehen. Wenn etwa griechische Staatsanleihen mit einer grossen Ausfallwahrscheinlichkeit nicht dem Risikoprofil eines Kunden entsprechen, sollte er auch nicht zu einer solchen Anlage verleitet oder gar gezwungen werden. Würde es den hiesigen Banken mittels Regulierungen zum «Schutze» des Frankens verunmöglicht, erfolgsversprechende Strategien anzubieten, wäre die Gefahr gross, dass Kunden und Gelder ins Ausland abwanderten. Die «Devisenspekulation» und die anschwellenden Kapitalströme in den Franken sind also nichts anderes als das Spiegelbild von Fehlentwicklungen in weiten Teilen der Welt und der relativ starken und soliden Position der Schweiz. Diese Funktion des sicheren Hafens hängt einerseits mit der Krise der Eurozone und den massiven, tendenziell inflationären Geldspritzen der US-Zentralbank sowie anderseits mit dem strukturell hohen Handels- und Leistungsbilanzüberschuss, den geordneten Staatsfinanzen und dem soliden Wirtschaftswachstum der Schweiz zusammen. Der Vorwurf, Banken würden strategisch gegen oder für eine Währung Politik betreiben, ist auch deswegen nicht haltbar, weil gemäss der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) ein Grossteil des Devisengeschäfts heute ohnehin automatisch über das «algorithmic trading» abläuft. Kauf- und Verkaufsaufträge werden aufgrund vordefinierter «triggers» (Schwellenwerte) der Wechselkurse und Zinsen automatisch und elektronisch abgewickelt.
Frankenmarkt ist längst internationalisiert
Die Empörung über die «böse Spekulation» hat wohl nicht zuletzt damit zu tun, dass längst nur noch ein kleiner Teil des Handels mit Franken auf den Handel von Gütern und Dienstleistungen zurückzuführen ist. Gemäss der BIZ war der Frankenumsatz im Kassageschäft im April 2010 mit rund zwei Billionen Franken mehr als vierzig Mal grösser als das Schweizerische Bruttoinlandprodukt (BIP) oder das Aussenhandelsvolumen. Bezieht man die anderen Devisenmarktinstrumente – wie Devisentermingeschäfte, Devisenswaps und -optionen, Währungsoptionen sowie Zinsswaps und –optionen – ein, kommt man sogar auf einen Frankenumsatz, der rund 175 Mal grösser ist als das BIP oder das Aussenhandelsvolumen. Ein wesentlicher Teil davon ist auf langfristig ausgerichtete Diversifizierungsbemühungen grosser internationaler Investoren zurückzuführen. Nur ein zunehmend schrumpfender Teil dieses gesamten Frankenhandels (einschliesslich aller Devisenmarktinstrumente) wird direkt auf dem Finanzplatz Schweiz abgewickelt, nämlich nur noch rund ein Viertel oder rund 80 Milliarden Franken pro Tag. In dieser Zahl enthalten sind auch die Frankentransaktionen der in der Schweiz tätigen ausländischen Banken. Mehr als die Hälfte der Umsätze mit Franken, rund 200 Milliarden, wird auf den britischen und amerikanischen Finanzplätzen getätigt. Bei unilateralen Regulierungen in der Schweiz gegen Devisenspekulationen würden die Marktanteile ausländischer Finanzplätze ohne Zweifel weiter steigen.
Absage an den Interventionismus
Dazu kommt, dass es nicht möglich ist, wasserdichte Abwehrmassnahmen zu implementieren. Daran zu glauben hiesse, die Innovationskraft der Finanzindustrie zu unterschätzen. Aufgrund der negativen Erfahrungen mit Abwehrmassnahmen aller Art sollte auf den Einsatz von Instrumenten, wie zum Beispiel eines «Gentleman‘s Agreements», das die grossen Schweizer Banken und die Auslandbanken in der Schweiz anhält, nicht auf eine Aufwertung des Frankens zu spekulieren, verzichtet werden. Wie im Diskussionspapier «Der harte Franken» gezeigt wird, konnten solche Interventionen bereits in den 1970er Jahren die Aufwertungstendenzen nicht stoppen. Wieso sollten diese Massnahmen heute erfolgreicher sein? (Martin Wermelinger, 2. August 2011)