Mit einem Gini-Koeffizienten der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter von 0,34 ist die Schweiz nach Südkorea das Land mit der gleichmässigsten Einkommensverteilung der OECD – der Durchschnitt liegt bei 0,41 (ein höherer Gini-Index weist auf eine stärkere Konzentration der Einkommen hin). Seit Jahrzehnten sind die Einkommen in der Schweiz im internationalen Vergleich nicht nur sehr hoch, sondern auch relativ homogen verteilt, bevor der Staat umverteilend eingreift. In den letzten 80 Jahren ist sowohl der Anteil der reichsten 1%, als auch der reichsten 10% am Gesamteinkommen äussert stabil geblieben.
Die gleichmässige Einkommensverteilung führt unmittelbar zu einem geringeren Umverteilungsbedarf als in anderen Ländern. Anders gesagt: Weil die Einkommensunterschiede vor Steuern geringer als anderswo sind, muss das Steuer- und Transfersystem den oberen Mittelstand und die Oberschicht weniger stark belasten, um die gewünschte Verteilung zu erreichen.
Gesamtbelastung nach Einkommensklassen
In der Tat ist die Progression des Steuersystems in der Schweiz nicht sehr ausgeprägt. Wie in der ersten Spalte der Tabelle dargestellt, schöpfen Staat und Sozialversicherungen 43,6% des Haushaltsbruttoeinkommens ab, die eine Hälfte in Form von Steuern, die andere in Form von Sozialversicherungsbeiträgen. Die direkten Steuern (Einkommens- und Vermögenssteuer) machen 11,1% des Bruttoeinkommens aus, die indirekten Steuern (MWST und weitere Gütersteuern) 5,1%.
Betrachtet man die Gesamtbelastung der verschiedenen Einkommensklassen, wird die eher geringe Progression des Steuersystems sofort ersichtlich. Im untersten Fünftel beträgt die Belastung 36,8%, im obersten Fünftel 48%. Dazwischen verläuft die Belastung eher proportional als progressiv.
Die flache Progression ist keineswegs als Schwäche unseres Steuersystems zu werten. Ganz im Gegenteil: Dank der gleichmässigen Einkommensverteilung ist der Schweizer Staatshaushalt in der Lage, seine Einnahmen zu decken, ohne auf eine starke Progression mit all ihren negativen Anreizwirkungen – etwa das verringerte Arbeitsangebot – zurückgreifen zu müssen.
Der liberale Arbeitsmarkt trägt massgeblich zur Gleichverteilung der Löhne- und Einkommen bei. Länder mit einem überregulierten Arbeitsmarkt und einer hohen Arbeitslosenquote produzieren mehr Ungleichheit, weil Armut oder Präkariat vor allem bei den Erwerbslosen konzentriert sind. Die Schweiz tickt anders – dies zeigt sich nicht zuletzt in einer «vernünftigen» Progression des Steuersystems.
Mehr zu diesem Thema erfahren Sie in der Avenir-Suisse-Publikation «Zwischen Last und Leistung. Ein Steuerkompass für die Schweiz».