ChatGPT, ein auf maschinellem Lernen beruhendes Sprachmodell, bewegt zurzeit die Gemüter. Das Programm liefert im Handumdrehen Antworten, Gedichte oder Programmiercodes. Es steht für eine neue Art von Hard- und Software, die den Menschen nicht nur bei einfachen Arbeiten ersetzen, sondern vermehrt auch komplexe Tätigkeiten wie das Schreiben eines stilistisch hochwertigen Textes (den vorliegenden ausgenommen) übernehmen können. Beispiellos wird uns vor Augen geführt, welch zentrale Rolle künstliche Intelligenz in unserem Alltag künftig spielen wird.
Digitale Disruption macht derweil vielen Angst. Pessimistische Zeitgenossen befürchten einschneidende gesellschaftliche Umwälzungen, die staatlicher Interventionen bedürfen. In der Steuerpolitik wirft die wachsende Bedeutung digitaler Technologien die Frage auf, ob das existierende System der Unternehmensbesteuerung der heutigen Zeit gewachsen sei. Oder ob der Staat mit neuen Steuern auch im Steuerrecht einen Wandel vollziehen müsste.
Produktive Maschinen werden bereits besteuert
Eine Idee, die in Form einer «Robotersteuer» vor einigen Jahren hochgehandelt wurde, betrifft die Besteuerung produktiver Maschinen. Die Überlegung dahinter: Weil angeblich immer mehr «Roboter» menschliche Arbeit ersetzen, sollten wir ihre Leistung besteuern – um Steuereinnahmen und Jobs zu sichern. Es lohnt sich, die Argumente dagegen in Erinnerung zu rufen. Jede Abgabe, die menschliche Arbeit wettbewerbsfähig halten soll, indem sie die durch Automatisierung erzielte Wertschöpfung besteuert, ist aus mindestens vier Gründen untauglich.
Erstens handelt es sich um ein Rezept dafür, uns ärmer zu machen: Eine Steuer, die die Entscheidungen von Unternehmen hinsichtlich der eingesetzten Technologie beeinflusst, wirkt stark verzerrend. Ausgerechnet auf produktive Anlagen erhoben, würde sie Investitionen verteuern und Unternehmen dazu bewegen, nicht auf die effektivste, sondern auf die am wenigsten besteuerte Technologie zu setzen. Die Kapitalbildung und als Folge davon das Wirtschaftswachstum würden begrenzt. Besonders in einem Land, in dem Arbeitskräfte seit jeher knapp sind, wäre das eine denkbar schlechte Strategie.
Mit grösseren Schwierigkeiten ist zweitens die Beantwortung der Frage behaftet, was aus steuerlicher Sicht als produktive Maschine gilt. Die sich daraus ergebenden Abgrenzungsprobleme wären mannigfaltig. Der Gesetzgeber stände zwecks Einnahmensicherung vor der kaum bewältigbaren Herausforderung, das Steuerrecht kontinuierlich an die neuesten, sprich produktivsten Formen des technischen Fortschritts anzupassen.
Drittens sind neue Abgabeformen zwar schnell ausgeheckt, der Inzidenz – also wer eine Steuer tatsächlich berappt – wird hingegen keine Beachtung geschenkt. Doch genauso wie die Hundesteuer von den Hundebesitzern (und nicht den Hunden) entrichtet wird, bittet eine «Robotersteuer» deren Eigentümer – und aufgrund tieferer Produktivitätsgewinne auch Arbeitnehmende und Konsumenten – zur Kasse.
Am Umstand, dass eine solche Abgabe die Kapitalerträge zusätzlich belasten würde, lässt sich viertens erkennen, dass die durch die Automatisierung erzielte Wertschöpfung bereits heute als Kapitaleinkommen besteuert wird. Das Steuersystem ist folglich gut für eine Zukunft gerüstet, in der es zu einer verstärkten Substitution von Arbeit durch Kapital kommt und Wertschöpfung vermehrt ohne menschliches Zutun erzielt wird.
Auf Digitalsteuern verzichten
Von produktivitätssteigernden Industrierobotern ist es nur ein kurzer Weg zu Tech-Firmen wie Google, Amazon oder Airbnb, deren Geschäftsmodelle vollständig auf digitaler Technologie basieren. Für die Steuerbehörden ist dieser Weg weit oder gar unzugänglich. Roboter werden in der Produktion (und zunehmend im Servicebereich) eingesetzt. Wo produziert wird, besteht eine physische Unternehmenspräsenz, die der Staat besteuern kann. Digitale Geschäftsmodelle basieren hingegen auf «immateriellen Werten» (Daten, Algorithmen etc.). Kunden lassen sich global bedienen, ohne über eine physische Präsenz – und damit ohne steuerliche Anknüpfungspunkte – vor Ort zu verfügen.
Dennoch ist von sektorspezifischen Instrumenten wie umsatzbasierten «Digitalsteuern» klar abzusehen: Die «Digital Economy» ist allgegenwärtig und nicht klar abgrenzbar. Eine rein «analoge» Wirtschaft gibt es nicht. So sammeln und nutzen auch Automobilhersteller grossflächig Daten ihrer Kunden. Die oft angeprangerte steuerliche Gewinnverschiebung (z.B. durch Verrechnungspreise) ist ebenso wenig auf die Digitalwirtschaft begrenzt. Zudem werden auch traditionelle Güter exportiert, ohne dass die betroffenen Unternehmen im Absatzland physisch präsent sind und daraus ein Besteuerungsrecht anfällt.
Reform globaler Spielregeln
International sind seitens der OECD und der G20 indes Bestrebungen im Gange, die Unternehmensbesteuerung grundlegend zu reformieren: Besteuerungsrechte sollen stärker in die Absatzländer verlagert werden – also dorthin, wo sich Konsumenten und Nutzer befinden. Die Idee dahinter: Bei Digitalplattformen wie Facebook tragen auch die Nutzer durch ihre Daten zur Wertschöpfung bei. Diese Begründung ist umstritten. Vielmehr dürfte die Wertschöpfung vor allem dort stattfinden, wo das geistige Eigentum, die Programmierer und Entwickler der Netzwerke sitzen. Dessen ungeachtet verfügen die Staaten mit der Umsatz- bzw. Mehrwertsteuer bereits heute über ein Instrument zur lokalen Konsumbesteuerung. Unternehmenssteuern sind überdies auch als «Gegenleistung» für staatliche Leistungen zu betrachten – die wiederum eine physische Präsenz bedingen.
Auf dem internationalen Parkett dominieren fiskalische Anliegen: Steuerreformen werden primär durch die wachsende Verhandlungsmacht der Marktländer vorangetrieben. Klar ist: Die Schweiz kann sich den globalen Spielregeln nicht entziehen. Als Exportland und Sitz zahlreicher internationaler Konzerne kann sie indes kein fiskalisches Interesse an einem überarbeiteten Steuerrecht haben. Es gilt deshalb abzuwarten und die Rahmenbedingungen hierzulande attraktiv zu halten. Das bedingt, selbst keine innovationshemmenden Steuerexperimente zu wagen. Es ist in unser aller Interesse, dass die Unternehmen möglichst viel Technologie nutzen, um fortlaufend produktiver zu werden und international wettbewerbsfähig zu bleiben. Darauf beruht unser Wohlstand. Übrigens: Dem würde auch ChatGPT zustimmen – fragen Sie den Chatbot einmal ungeniert.
Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel der Autoren im «IHKfacts», dem Wirtschaftsmagazin der Industrie- und Handelskammer St.Gallen-Appenzell.