Die Staatengemeinschaft setzt sich ehrgeizige Reduktionsziele zu den Treibhausgasemissionen. Welches sind die Kräfte einer wirkungsvollen Klimapolitik? Welche Rolle spielt Kohle, welche die Kernenergie? Patrick Dümmler spricht über einzelne Energieträger, unterschiedliche Interessen und skizziert eine Klimapolitik jenseits allgegenwärtiger behördlicher Interventionen.
Martin Meili: Am Klimagipfel in Glasgow im November 2021 wurde beschlossen, schrittweise aus der Stromproduktion durch Kohle auszusteigen, Subventionen für fossile Energien einzustellen sowie weltweit gemeinsame Regeln bei Messung und Meldung von Treibhausgasemissionen zu definieren. Für Letzteres machte sich insbesondere die Schweiz stark. Wie beurteilen Sie die Ergebnisse von Glasgow?
Patrick Dümmler: Die Ergebnisse sind zufriedenstellend. Bei der Kohle ist ein sofortiger Ausstieg unrealistisch. Länder wie China, Indien und andere wirtschaftliche Aufsteiger wie Vietnam oder Indonesien, aber auch Länder in Afrika und anderswo sind auf Kohle angewiesen. Kohle ist ökologisch schädlich, aber ökonomisch attraktiv. Der Bau von Kohlekraftwerken ist standardisiert. Die Reduktionszusagen in Glasgow von Ländern wie China scheinen mir realistisch. Eine spezielle Situation haben wir in Deutschland. Dort hätte man aus Klimagründen zuerst aus der Stromproduktion durch Kohle und nicht aus der Kernkraft aussteigen sollen.
Der Ökonom und Nobelpreisträger Jean Tirole sagt bezüglich Senkung von CO2-Emissionen, derzeit gebe es keine Wahl, die Welt müsse an der Kernenergie festhalten, sonst sei der Emissionsreduktionspfad illusorisch. Wie sehen Sie das?
Das sehe ich ähnlich. Allein mit Sonne, Wind und Wasser ist der globale Emissionsabsenkungspfad nicht aufrechtzuerhalten. Deshalb denke ich, dass die Kernkraft in der Klimadebatte ihren festen Platz haben muss. Insbesondere für die Elektrifizierung der Mobilität und bei der Wärme-Kälteerzeugung in Gebäuden braucht es mehr Strom. Zu den weiteren Ergebnissen von Glasgow: Ja, Subventionen für fossile Energien sollten rasch abgeschafft werden. Technisch gesprochen eine einfache Massnahme, aber politisch umstritten.
Regeln für den grenzüberschreitenden Emissionshandel
Weiter wurde in Glasgow vereinbart, robuste Regeln für den grenzüberschreitenden Emissionshandel zu schaffen. Sie sind für die Schweiz von hoher Bedeutung, ist sie doch eine Pionierin beim Abschluss bilateraler Klimaabkommen. Sie hat mit Ländern wie Peru und Ghana Klimakompensationsabkommen vereinbart. Es ist wichtig, dass die auf diese Weise eingesparten Emissionen der Schweiz gutgeschrieben werden, weil sie die Projekte bezahlt. Solche Vereinbarungen gehören zu den effizientesten Massnahmen zur Emissionsverminderung, weil mit hundert Franken Einsatz in Lateinamerika oder Afrika viel mehr Emissionen reduziert werden können als in der Schweiz, wo Reduktionsmassnahmen in der Regel teurer sind. Der Klimawandel ist ein globales Problem, deshalb sind internationale Vereinbarungen wichtig für die Reduktion der Treibhausgase.
Damit sich beim Klima bzw. bei der Reduktion von Emissionen etwas tut, müssen sich zuerst die grossen Emittenten bewegen, das hat einen Nachahmereffekt bei den kleinen. Die grossen Akteure sind die EU, die USA, Russland und China. China baut beim Energiemix zu rund 60 Prozent auf Kohle, Russland erstellt Nord Stream 2, und für den amerikanischen Präsidenten Joe Biden ist eine CO2-Bepreisung kein Thema. Lieber interveniert er am Erdölmarkt, um zu verhindern, dass die Benzinpreise nicht zu stark steigen. Sein Investitionsprogramm für Klima und Soziales wird mittlerweile selbst von Demokraten bekämpft. Da ist doch nichts zu erwarten?
Doch, denn gerade bei den USA beurteile ich das anders. Es ist zwar richtig, dass amerikanische Präsidenten mit Blick auf die Wähler darauf aus sind, die Benzinpreise nicht allzu stark ansteigen zu lassen. Deshalb intervenieren sie auf den Energiemärkten, indem sie beispielsweise Reserven freigeben. Dennoch befinden sich die USA auf dem Weg der Dekarbonisierung. Das hängt damit zusammen, dass sie bei der Stromproduktion vermehrt auf Gas statt wie früher auf Kohle setzen.
Der Trendsetter bei den grossen Emittenten ist aber die EU. Programme wie der Green Deal oder Fit for 55 enthalten Massnahmen, mit denen Emissionen durchaus signifikant vermindert werden können.
Möglich, aber der Fehler ist doch, dass zwar der Emissionshandel ausgedehnt wird, gleichzeitig aber Behörden Tor und Tür geöffnet werden für Interventionen aller Art wie Mindeststandards für Gebäude, vorgezogener Renovationszwang für unbewohnte Gebäude, mehr Velowege und so weiter. Entweder CO2-Bepreisung oder eine Flut von Vorschriften, aber nicht beides. Hinzu kommt grüner Protektionismus. Es sollen neue Handelsschranken errichtet werden für Länder, die aus Sicht der EU zu wenig fürs Klima tun. Gerade für die Schweiz sind neue Handelsschranken fatal.
Eine konsequente Bepreisung von Treibhausgasen könnte die zahlreichen, teils komplexen Massnahmen in vielen Ländern ersetzen und damit der um sich greifenden marktverzerrenden Subventionitis einen Riegel schieben. Oft geht es bei diesen Instrumenten nicht ums Klima, sondern um wirtschaftliche Vorteile für bestimmte Branchen und ideologisch getriebene Interessengruppen, die dafür lobbyierten wie etwa die Veloverbände.
Klub der reduktionswilligen Länder
Anders sieht es bei den angesprochenen Importzöllen aus. Die Idee dahinter ist, exportierende Länder, die die Klimaziele von Paris nicht einhalten, mit den Zöllen dazu zu bewegen, eigene Klimamassnahmen zu ergreifen. So entsteht ein Klub der reduktionswilligen Länder. Die Idee des «Klimaklubs» stammt von William Nordhaus, wie der erwähnte Jean Tirole ebenfalls ein Nobelpreisträger in Ökonomie.
Da will man doch unliebsame Konkurrenz fernhalten. Die Swiss Steel Group begrüsst Klimazölle, weil sie sich so vor Mitbewerbern schützen kann. Magdalena Martullo-Blocher spricht von Protektionismus in grünem Mäntelchen.
Die Gefahr des Missbrauchs des Zolls als protektionistische Massnahme besteht. Nordhaus errechnete einen einheitlichen Zollsatz von zwei Prozent, der ausreichen würde, um bisher reduktionsunwillige Staaten zum Einlenken zu bewegen. Er schloss bewusst aus, dass verschieden hohe Zölle je nach Warenart oder Klimafreundlichkeit der Produktion angewandt werden. Ein einheitlicher Satz von zwei Prozent hat den Vorteil, dass sich keine Branche besserstellen kann, ausserdem ist er einfach zu erheben im Unterschied zu einem stark abgestuften System.
Zum Vergleich: Bei Verhandlungen über Handelsliberalisierungen geht es in der Regel um den Abbau von Importzöllen, die markant höher sind als die erwähnten zwei Prozent.
Beim Schweizer Ökonomen Reiner Eichenberger stossen die Ideen von William Nordhaus auf offene Ohren. Zudem fordert Eichenberger im Fall einer Etablierung einer Lenkungsabgabe auf Emissionen im Gegenzug eine Senkung traditioneller Steuern wie der Mehrwertsteuer. Was halten Sie davon?
Die Idee verdient durchaus Beachtung. Vor rund 25 Jahren gab es in der Schweiz eine Volksinitiative «Energie statt Arbeit besteuern», die den Umbau unseres Steuersystems anstrebte. Das Problem ist der Schwund des Steuersubstrats. Wenn aufgrund der beabsichtigten Lenkungswirkung der Verbrauch fossiler Energien abnimmt, schwindet auch das Steuersubstrat. Den Staat knapp zu halten, ist keine schlechte Strategie, aber wenn Klimaneutralität erreicht werden soll, tendieren die Steuereinahmen gegen null. Es müssen dann andere Arten der Finanzierung des Staates gefunden werden.
Gerhard Schwarz, der frühere Direktor von Avenir Suisse, ist ein anderer Liberaler, der sich mit Klimapolitik auseinandersetzt. Er betrachtet den Emissionshandel als ein valables Instrument zur Emissionsreduktion, aber ebenso eine Lenkungsabgabe – eine Lenkungsabgabe ohne Ausweitung der Staatsquote, wie er anfügt. Was bevorzugen Sie, Emissionshandel oder Lenkungsabgabe?
Das eine schliesst das andere nicht aus. Emissionshandel – vor allem wenn grenzüberschreitend – ist geeignet für grosse Emittenten wie energieintensive Industrieunternehmen. Treibhausgase werden dann dort effizient eingespart, wo dies zum entsprechenden Handelspreis möglich ist. Dort wo viele Akteure tätig sind, etwa bei der Mobilität oder im Gebäudebereich, ist eine CO2-Abgabe sinnvoller. Denn es wäre administrativ zu aufwendig, wenn sich jeder einzelne Emittent am Emissionshandel beteiligen müsste. Wichtig dabei ist, die CO2-Abgabe vollständig an die Bevölkerung zurückzuerstatten. So wird der Mechanismus der Abgabe spürbar und erhöht die Akzeptanz der CO2-Bepreisung. Die Rückerstattung sollte deshalb nicht in die Reduktion der Krankenkassenprämie fliessen, wie das derzeit in der Schweiz der Fall ist, denn die Rückerstattung geht in der jährlichen Prämienerhöhung unter. Besser wäre beispielsweise eine jährliche Auszahlung via Scheck.
Oder via Steuerrechnung. Dort wäre der Betrag ebenfalls sichtbar.
Ja, genau.
Aber in der Schweiz verliert die Idee der Pro-Kopf-Rückerstattung derzeit an Boden. Beim geplanten neuen CO2-Gesetz soll noch weniger als bisher zurückerstattet werden, dafür sollen Branchenprogramme aufgeblasen werden, das mündet faktisch in neuen Steuern, also weit entfernt von Staatsquotenneutralität.
Ja, das widerspricht sämtlichen Absichten einer liberalen Klimapolitik. Es werden neue «Kässeli» für politisch bevorzugte Branchen geschaffen. Liberale klimapolitische Massnahmen zeichnen sich durch vier Kriterien aus: Sie sind effektiv, effizient, erhöhen die Kostenwahrheit und wahren die Technologieneutralität. Dies bedeutet beispielsweise, dass eine Erdölheizung nicht verboten werden sollte. Wer mit Erdöl heizt, soll eine CO2-Abgabe bezahlen, so wie das heute der Fall ist. Gerade mit einem steigenden Abgabesatz entsteht ein hoher Anreiz, sich für ein anderes System als eine Ölheizung zu entscheiden.
Wenig effektive Klimamassnahmen
Ein Beispiel für eine nicht effektive Klimamassnahme in der Schweiz sind die Emissionsvorschriften für Neuwagen. Dabei wird nicht berücksichtigt, wie viel das Auto unterwegs ist – es zählt nur der CO2-Ausstoss pro Kilometer. Ein Kleinwagen mit einem geringen Ausstoss pro Kilometer, aber einer Fahrleistung von 20’000 km pro Jahr schneidet gemäss dieser Klimamassnahme besser ab als ein Sportwagen mit einem hohen Kilometerausstoss, der aber letztlich nur 2000 km pro Jahr gefahren wird. Das ist absurd. Mit einer CO2-Abgabe auf Treibstoff würde direkt der Verbrauch besteuert. Mit dem CO2-Gesetz, das 2021 an der Urne abgelehnt wurde, wäre eine solche Abgabe eingeführt worden. Im Gegensatz zu anderen Massnahmen des Paketes wäre dies eine sinnvolle Neuerung gewesen.
Aus liberaler Sicht negativ zu bewerten war die beabsichtigte Schaffung eines Klimafonds. Dabei würde der Staat die Kriterien bestimmen für die Vergabe der Gelder. Dies schafft politische Einflussmöglichkeiten und mindert die Effizienz und Effektivität der Klimamassnahmen.
Hinter den Förderprogrammen stehen stets Wirtschaftsinteressen. Swisscleantech beispielweise fordert bei Renovationen eine Erneuerungsrate von 3 Prozent. Da hätten wir in der Schweiz fast nur noch Baulärm.
Klimapolitik wird oft genutzt, um der eigenen Branche genügend Aufträge zu sichern.
Jene, die nicht auf Förderprogramme setzen, befinden sich in Unterzahl. Martin Killias, Präsident Schweizer Heimatschutz, schrieb kürzlich, besonders absurd sei es, wenn man den Ersatz von Altbauten durch energetisch optimierte Neubauten fördere. Bis der Energieverschleiss eines Betonbaus kompensiert sei, könne man ein altes Gemäuer jahrzehntelang ohne Verdämmung heizen. Die grösste Energiesünde sei Abbrechen und Neubauen. Der deutsche Ökonom Rüdiger Hossiep äussert sich ähnlich. Elektroautos seien keine Heilsbringer. Die grösste Umweltbelastung entstehe nicht beim Fahren, sondern in der Produktion und bei der Entsorgung der Autos. Am besten, man fahre seinen Benziner, so lange es gehe. Wie sehen Sie das?
Die Herren Killias und Hossiep liegen nicht daneben. Es gilt, stets die gesamte Ökobilanz zu betrachten, über den ganzen Lebenszyklus von Produkten hinweg, nicht nur den Betrieb. So werden im Rahmen der Steigerung der Energieeffizienz oft noch funktionsfähige Produkte durch neue ersetzt, die ihrerseits zwar weniger Energie im Betrieb verbrauchen, aber Ressourcen für ihre Herstellung benötigten. Auf dem Papier sieht das gut aus – der Energiebedarf im Betrieb hat abgenommen, aber in einer Gesamtbetrachtung ist die Ökobilanz nicht selten negativ.
Dieses Interview ist in der Januarausgabe 2022 der Zeitschrift «Wohnwirtschaft» des Hauseigentümerverbandes HEV Aargau erschienen.
Am Donnerstag 17.3.2022 hält Patrick Dümmler im Rahmen der Vortragsserie «Energie und Umwelt» des Hauseigentümerverbandes Aargau ein Referat mit dem Titel «Liberale Klimapolitik» im Kultur- und Kongresshaus Aarau.