Die Aufhebung des Euro-Mindestkurses zum Franken durch die Schweizerische Nationalbank (SNB) am 15. Januar dieses Jahres war für die Exportwirtschaft und den durch Importe konkurrenzierten Binnensektor ein Schock – und das nicht zum ersten Mal. Die Zusammenhänge zwischen Aussenhandel, Konjunktur und Wechselkurs haben die Schweiz seit dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Festkurssystems 1973 immer wieder beschäftigt. Als kleine, offene Volkswirtschaft stand sie häufig vor der Frage, ob sie die Stabilisierung der Konjunktur über die Inflation oder über den Wechselkurs steuern sollte. Zwischenzeitliche Überraschungen für die Wirtschaftteilnehmer waren inbegriffen; zum Beispiel Anfang der 1980er-Jahre, als die SNB von einem Wechselkursziel gegenüber der D-Mark von «deutlich über 80» auf ein Geldmengenziel überging. Oder im Frühjahr 1992, als sie plötzlich in grossem Umfang Franken kaufte, um eine übermässige Abwertung als Folge der Turbulenzen im Europäischen Währungssystem zu verhindern. Eine weitere grosse Interventionsphase folgte ab März 2009, wobei nicht immer klar war, ob sie auf eine Frankenabwertung zielte oder ein «Quantitative Easing» bezweckte. Diese eher unrühmliche geldpolitische Phase führte schliesslich zur Einführung des Euro-Mindestkurses am 6. September 2011 .
Einige Lehren aus der Geschichte
Wie lassen sich die in dieser Zeit gewonnenen Erfahrungen zusammenfassen?
- Aufwertungen drosseln das Wirtschaftswachstum: Jede bisherige markante Aufwertung des Frankens, die die Löhne in der Schweiz gegenüber dem Ausland z.T. schlagartig um 10% bis 20% verteuerte, hat Wachstumsspuren hinterlassen. Bei den Exporten galt lange Zeit die Faustregel, dass eine nominale Aufwertung um 10% kurz- bis mittelfristig die Ausfuhren um 2% bis 5% drückt. Doch Wechselkurs-Elastizitäten sind je nach Zeitperiode, Land oder Branche sehr unterschiedlich. Während etwa der Tourismus und grosse Teile der Maschinen-, Metall- und Elektroindustrie sensibel auf Wechselkursschwankungen reagieren, trifft dies für technologisch hochwertige Güter (z.B. Pharma) und Luxusuhren weniger zu. Die Grafik zeigt deshalb, dass der Zusammenhang zwischen realem Wechselkursindex und Leistungsbilanzüberschuss nicht besonders eng ist. Bedeutender sind dagegen die sogenannten «Exportelastizitäten», d.h. die Reaktion der Schweizer Exporte auf das Wachstum in den Absatzmärkten. Diese lagen bisher im Bereich zwischen 0,8 – 2,3, was darauf hinweist, dass die Schweizer Ausfuhren je nach Absatzgebiet oft überproportional an der ausländischen Wirtschaftsdynamik partizipieren können.
- Internationale Kapitalflüsse prägen den Wechselkurs stärker als der Aussenhandel: Flexible Wechselkurse bieten einige Vorteile. Neben der geldpolitischen Unabhängigkeit stellen sie nach der Theorie auch sicher, dass sich die Auswirkungen einer schlechten Geld-und Fiskalpolitik nicht auf andere Länder übertragen, weil schlechte Wirtschaftspolitik durch Kapitalabflüsse gleichsam sanktioniert wird. Beim heutigen Volumen der internationalen Kapitalflüsse stellt dieser Mechanismus vor allem kleine, offene Länder mit einem starken Finanzzentrum wie die Schweiz vor grosse Probleme. Er führt dazu, das der Franken auch längere Zeit vom Gleichgewichtskurs nach Kaufkraftparitäten oder einem anderweitig bestimmten «fairen» Wechselkurs abweichen kann. Die globale Liquiditätsschwemme schränkt den Freiheitsgrad der SNB ein, und deren Unabhängigkeit wird wohl überschätzt.
- Mit weiteren «Schocks» muss gerechnet werden: Die Aufhebung des Mindestkurses kann kaum als dauerhafter Grundsatzentscheid für flexible Wechselkurse gedeutet werden. Es ist nicht auszuschliessen, dass die SNB in Notsituationen wieder eingreifen muss, sollte der Wechselkurs über längere Zeit auf einem nicht tragbaren Niveau verharren. Natürlich wäre es aus volkswirtschaftlicher Perspektive ideal, wenn die SNB bei freiem Kapitalverkehr und minimaler Wechselkursvolatilität auch noch eine autonome Geldpolitik betreiben könnte. Leider eröffnet sich aber zwischen diesen Zielen ein fundamentales makroökonomisches Trilemma, da jeweils nur zwei simultan realisierbar sind. In einem global vernetzten Finanzsystem ist die Schweiz dem Auf und Ab der internationalen Kapitalströme ausgesetzt. Unter den heutigen Bedingungen ist das Trilemma zu einem eigentlichen Dilemma zwischen freiem Kapitalverkehr und geldpolitischer Unabhängigkeit geworden, und die Wahl des Wechselkursregimes erfolgt jeweils situativ.
- Die genauen Folgen sind selten klar: Nach jedem Aufwertungsschock sind die Kassandras rasch zur Stelle. So auch diesmal, als bereits am 18. Januar von der «existenziellen Gefährdung jedes fünften Industriebetriebs» (Tagesanzeiger), der Desindustriealisierung des Standorts Schweiz und dem Absturz des Tourismus gewarnt wurde. Dies unbesehen der Tatsache, dass volkswirtschaftliche Übertragungseffekte kaum je sofort in allen Zusammenhängen ersichtlich sind. Hinzu kommt, dass die Schweiz heute viel stärker in die internationale Wertschöpfungskette eingebunden ist als früher, was einen gewissen Schutz verleiht. Bei allem Verständnis für die unmittelbar betroffenen Unternehmen wäre etwas mehr wirtschaftspolitische Gelassenheit oft von Vorteil.
- Der Schweizer Wirtschaft geht es relativ gut: Die Erfahrung der letzten 40 Jahre lehrt, dass die Wirtschaft Währungsschocks stets besser verkraftete als erwartet. Die Exportunternehmen legten dank ihrer Innovationskraft und dem hohen Produktivitätswachstum eine erstaunliche Standfestigkeit an den Tag, wie die Entwicklung des Produktivitätstrends in der Grafik zeigt. Diese Stärke spiegelt sich auch in der Entwicklung der «Terms of Trade», die den Preis der Exporte in Importen ausdrücken. Diese sind seit 1970 um rund 30% gestiegen, was bedeutet, dass die Schweiz heute für die gleiche Exportmenge 30% mehr Einfuhren erhält.
Der starke Franken bringt mehr Vor- als Nachteile
Auch wenn massive Aufwertungsschübe für die betroffenen Unternehmen brutal sein können und die Volkswirtschaft belasten, bleibt als Fazit, dass der Schweiz eine harte Währung bisher mehr Vor- als Nachteile gebracht hat. Die währungsbedingte Innovationspeitsche lässt sich nicht leicht ersetzen. Auch ein Blick auf die Weltkarte zeigt, dass in den Ranglisten der wettbewerbsfähigsten Länder nicht diejenigen mit chronisch schwachen Währungen die Nase vorn haben. Umso mehr müssen sich die Schweizer Unternehmen darauf verlassen können, dass nicht nur sie ihre Hausaufgaben machen, sondern auch die Politik sich fortlaufend um erstklassige, verlässliche Rahmenbedingungen bemüht.