Der Nutzen von Recycling muss den Kosten gegenübergestellt werden. Denn mit wachsenden Kosten sinkt in der Regel auch der zusätzliche Umweltnutzen. Trotzdem wird aus politischen Gründen oft ein volkswirtschaftlich schlechtes Kosten-Nutzen-Verhältnis in Kauf genommen. Staatliche Vorgaben sollten dafür sorgen, dass keine Anreize zur ungeordneten Entsorgung entstehen.

Recycling bringt Nutzen für die Umwelt, doch müssen diesem die relevanten Kosten gegenübergestellt werden (vgl. Blog «Recycling oder Entsorgung?»). Es kann angenommen werden, dass die Recyclingkosten nicht linear verlaufen, sondern mit der zunehmenden Zahl an unterschiedlichen rezyklierten Stoffen zunehmen – man spricht auch von steigenden Grenzkosten.

Der zusätzliche Umweltnutzen auf der anderen Seite ist bei sehr hohem Recyclingquoten abnehmend, da im Recyclingprozess auch Belastungen entstehen. So wäre es beispielsweise nur unter hohem Energie- und Chemikalieneinsatz möglich, das letzte bisschen Indium aus einem defekten Smartphone herauszuholen. Im Extremfall kann der Umweltnutzen sogar ins Negative kippen (vgl. Bunge 2016), wenn durch eine (politisch angestrebte) extrem hohe Recyclingquote eine höhere Umweltbelastung ausgelöst wird, als durch die Primärrohstoffproduktion (z.B. durch die Indium-Gewinnung aus Erz). Abbildung 1 zeigt die entsprechenden Zusammenhänge – ohne den erwähnten Extremfall – schematisch auf.

Intuitiv würde man davon ausgehen, dass die optimale Recyclingquote (bzw. die optimalen Anstrengungen für eine geordnete Entsorgung) beim Schnittpunkt der Nutzen- und Kostenkurven liegt (Nutzen = Kosten), denn ab diesem Punkt übersteigen die Kosten den Nutzen des Recyclings. Doch diese Sichtweise ist aus ökonomischer Perspektive nicht richtig: Recycling lohnt sich nur so lange, wie der zusätzliche Nutzen höher als die zusätzlichen Kosten ist. Das ist dort der Fall, wo der Abstand der beiden Kurven am grössten ist und damit die Grenzkosten dem Grenznutzen entsprechen.

In der politischen Diskussion herrscht oft die Meinung vor, dass die Recyclingquote nahe 100% sein soll, um bezüglich Umweltschonung und Rückgewinnung von Stoffen möglichst das Maximum herauszuholen. Eine politische Lösung tendiert deshalb oft nicht zum ökonomischen Optimum, sondern zum Schnittpunkt der Nutzen- und Kostenkurven. Es wird damit – aus politischen Gründen – volkswirtschaftlich ein tieferes Kosten-Nutzen-Verhältnis in Kauf genommen.

Sollte der Staat deshalb gar nicht in die Abfallbewirtschaftung eingreifen? Oder liegt ein Marktversagen vor, das staatliche Massnahmen rechtfertigt? Im Falle der Abfallentsorgung bzw. des Recyclings ist zu überlegen, welchen Anreizen der Konsument ausgesetzt wäre, falls es keine Regulierung bzw. Pflicht zur geordneten Entsorgung gäbe, und wie er sich ökonomisch rational unter verschiedenen Bedingungen verhält. Beiträge der wissenschaftlichen Literatur – oft aus dem Bereich der Umweltökonomik – untersuchen u.a., wie hoch Entsorgungs- und Recyclingkosten aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive maximal sein sollten. Der Beitrag von Bultin (1977) mit dem Titel «Economics and Recycling» über einige fundamentale Grundsätze der Entsorgungsökonomik gehört beispielsweise in diesen Bereich.

Das Problem ist, dass eine geordnete Entsorgung für den Konsumenten in jedem Fall mit Kosten verbunden ist – das gilt für eine geordnete Verbrennung ebenso wie für ein Recycling. Es besteht somit ein Anreiz, Entsorgungswege zu finden, mit welchen sich diese Kosten vermeiden oder zumindest stark senken liessen. Eine «ungeordnete Entsorgung» wäre zum Beispiel eine Entsorgung im Wald oder ein Verbrennen von Abfällen im eigenen Kamin. Allerdings würde der einzelne Konsument damit die Umwelt belasten. Dies sind für den betroffenen Konsumenten zwar ebenfalls (Umwelt-) Kosten, doch sind sie für ihn individuell und im Vergleich zu einer umweltschonenden Entsorgung in der Regel geringer.

In einem System mit keinen oder wenig staatlichen Vorgaben tendiert der einzelne Konsument deshalb dazu, den gesellschaftlichen Nutzen einer höheren Recyclingquote zu unterschätzen. Die Nutzenkurve wird deshalb tiefer liegen (siehe Verschiebung der Nutzenkurve in Abbildung 2); es resultiert ein Umweltnutzen und eine Recyclingquote, die tiefer als die gesellschaftlich erwünschten ausfallen und somit suboptimal sind.

Der einzelne Konsument berücksichtigt bei einer ungeordneten Entsorgung nicht, dass die Kosten der Umweltbelastung auch von anderen getragen werden müssen und in der Summe – sprich gesamtwirtschaftlich – gegenüber seinen individuell zu tragenden Kosten wesentlich höher sind. Man spricht in diesem Fall von einer negativen Externalität, das die individuelle, ungeordnete Abfallentsorgung auslösen würde: ein klassisches Marktversagen.

Die direkte Umweltbelastung ist jedoch nicht die einzige Externalität. Hinzu kommt, dass durch die ungeordnete Entsorgung dem Wirtschaftskreislauf Rohstoffe entzogen werden, deren Gewinnung ebenfalls Umweltbelastungen mit sich bringen können. Diese Externalität kann natürlich auch bei einer geordneten Entsorgung auftreten, wenn beispielsweise ein Wertstoff über den Haushaltkehricht entsorgt statt wiederverwertet wird (European Commission, 2000).

Selbst wenn ein Marktversagen eine wirtschaftspolitisch notwendige Bedingung für eine staatliche Intervention darstellt, hinreichend ist es nicht. Denn erstens muss überhaupt ein geeignetes, zielgerichtetes Instrument zur sogenannten Internalisierung des externen Effekts bestehen. Zweitens dürfen die Kosten dieses Instruments nicht höher sein als die volkswirtschaftlichen Kosten aufgrund des Marktversagens, und drittens sollte der staatliche Eingriff nicht im Widerspruch zu anderen wirtschaftspolitischen Zielen stehen oder ein neues Marktversagen begründen.

Bei mehreren möglichen Instrumenten sollte dasjenige mit dem volkswirtschaftlich besten Kosten-Nutzen-Verhältnis gewählt werden. Aufgrund der relativ hohen zu erwartenden Umweltkosten bei einer ungeordneten Entsorgung kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass eine staatliche Intervention zumindest im Sinne einer Pflicht zur geordneten Entsorgung wirtschaftspolitisch angemessen ist.

Serie: Recycling

Die Schweiz gilt als Musterland im Umgang mit Siedlungsabfällen und Recycling – trotz jährlich 716 kg Abfall pro Kopf (Bafu). Die Infrastruktur genügt höchsten Ansprüchen, und was als Reststoffe anfällt, wird in hocheffizienten Kehrichtverbrennungsanlagen (KVA) entsorgt. Die entstehenden Schadstoffe werden grösstenteils herausgefiltert und die Abwärme entweder direkt als Fernwärme genutzt oder in Energie umgewandelt und wieder dem Wirtschaftsprozess zugeführt. Doch ein optimales Verhältnis von Kosten und Nutzen wird selten diskutiert. Das Ziel dieser Serie ist es, Ansätze für eine umfassende, volkswirtschaftlich fundierte Entsorgungs- und Recyclingpolitik zu liefern.

 

Links zu allen Blogs dieser Serie:

 

Recycling oder Entsorgung

Staatlicher Eingriff und optimale Recyclingquote

Varianten der Abfallfinanzierung

Trennung von Leistungserbringern und Bestellern

Grenzen des Wettbewerbs bei der Entsorgung

Ziele statt Methoden definieren

Ökologie und Ökonomie in Einklang bringen