Die jüngste Publikation von Avenir Suisse zur Unabhängigkeit der Schweizerischen Nationalbank (SNB) hat in den Medien hohe Wellen geworfen – und auf den sozialen Netzwerken zu teils hitzigen Reaktionen geführt. Besonders ein Vorschlag wurde kontrovers diskutiert: Die Gewinnausschüttung direkt an die Bevölkerung. Dabei wurden diverse Argumente vorgebracht, die einer näheren Prüfung nicht standhalten. Wir haben die sieben prominentesten davon unter die Lupe genommen – und uns am Schluss noch einer wohl nicht ganz ernst gemeinten Frage gewidmet.

1. Was passiert, wenn die SNB keinen Gewinn, sondern einen Verlust macht? Erhalten die Bürger dann einen Einzahlungsschein?

Nein, aber die Frage ist berechtigt. Die SNB hat im Jahr 2022 nämlich einen (Buch-)Verlust von 132,5 Milliarden eingefahren. Aus diesem Grund hat die Nationalbank 2023 kein Geld an Bund und Kantone verteilt. Die SNB wird im Fall von Verlusten aber nicht bei der Bevölkerung Geld einziehen. Vielmehr wird sie so lange Gewinne einbehalten, bis ihre Reserven wieder aufgefüllt sind – genauso wie sie es heute schon macht. Erst danach entscheidet sie über die Verwendung des Restgewinns. Sowohl die ökonomische Theorie als auch die gelebte Praxis legen schliesslich nahe: Langfristig gesehen erzielt die SNB im Schnitt einen Geldschöpfungsgewinn.

2. Sind Ausschüttungen pro Kopf unsozial?

Das kann ohne zusätzliche Annahmen nicht gesagt werden. Würden etwa Bund und Kantone die Steuern erhöhen, um den nicht mehr zu ihnen fliessenden SNB-Gewinn zu kompensieren, hat die Gewinnverteilung direkt an die Bevölkerung einen progressiven Effekt. Am offensichtlichsten wird das am (Extrem-)Beispiel von Haushalten, die heute wegen zu geringem Einkommen keine Steuern zahlen. Sie werden von einer allfälligen Steuererhöhung nicht getroffen, profitieren aber von der direkten Gewinnverteilung – die heute bereits erhobene und pro Kopf rückvergütete CO2-Lenkungsabgabe hat einen ähnlichen sozialpolitischen Effekt.

Allerdings wäre all das nur ein Nebeneffekt einer Gewinnverteilung direkt an die Bevölkerung. Das Ziel dieses Vorschlags ist nicht, Geld umzuverteilen, sondern die Unabhängigkeit der SNB zu stärken. Das ist im Einklang mit der unter Ökonomen bekannten Tinbergen-Regel. Diese besagt, dass man mit einem Instrument nicht mehrere Ziele verfolgen sollte, sondern dass es pro Ziel (mindestens) ein Instrument braucht. Wenn man Bedürftige unterstützen will, sollte man dafür andere, zielgerichtetere Instrumente wie Sozialtransfers einsetzen.

3. Müssten Kantone die Steuern erhöhen, wenn die SNB keine Gewinne mehr überweist?

Das kommt auf den Kanton an. Insgesamt haben die Kantone die letzten Jahre satte Überschüsse erzielt. 2022 resultierte ein aggregierter Überschuss von 5 Milliarden Franken. Die Ausschüttung der SNB an die Kantone betrug im gleichen Jahr 2 Milliarden Franken. Auch ohne SNB-Gewinn hätte somit auf Ebene aller Kantone noch ein Überschuss resultiert. Auch 2023 gab es einen kumulierten Überschuss von 2,2 Milliarden Franken, obwohl die SNB nach einem Rekordverlust nichts ausschütten konnte.

Auf breiter Front drohen also bei der derzeitigen Finanzlage keine Steuererhöhungen. Einzelne Kantone könnten hingegen in eine Situation kommen, in der auch über die Steuer- und Ausgabenhöhe diskutiert werden dürfte. Diese finanzielle Abhängigkeit ist gerade ein Grund, weshalb Kantone Druck auf höhere Gewinnausschüttungen der SNB ausüben. Und um genau diesen Druck zu reduzieren, fordern wir eine Ausschüttung direkt an die Bevölkerung. Die derzeit gute finanzielle Situation vieler Kantone ist der ideale Zeitpunkt für einen Systemwechsel, damit in schlechten Zeiten die Unabhängigkeit der SNB nicht stärker unter Druck kommt.

4. Würde die direkte Ausschüttung ans Volk populistischen Forderungen Vorschub leisten?

Populistische Forderungen können bei politischen Vorschlägen nie ausgeschlossen werden, das ist klar. Aber noch klarer ist: Populistische Forderungen von linker und rechter Seite, welche die SNB als Finanzierungsgehilfin für ihre eigenen Zwecke einspannen möchten, sind heute an der Tagesordnung. Eine «Zersplitterung» der Ansprüche an die SNB, wie wir sie vorschlagen, würde diesen politischen Druck auf die Ausschüttung reduzieren – die Mechanik hinter diesem politökonomischen Effekt wurde bereits in den 1970er Jahren vom Wirtschaftswissenschafter Mancur Olson beschrieben. Die Lösung mit der direkten Gewinnverteilung an die Bevölkerung ist also nicht perfekt, aber sie ist eine signifikante Verbesserung zum heutigen System.

5. Gibt es einen Unterschied zum sogenannten «Helikoptergeld» (Milton Friedman)?

Ja, und zwar einen grossen. Beim «Helikoptergeld» sind die Geldtransfers zur Bevölkerung ein Mittel der Geldpolitik. Dieses Mittel wird in der Regel in einer Situation von nachhaltig fallenden Preisen (Deflation) vorgeschlagen. Hingegen ist die von uns vorgeschlagene Gewinnausschüttung an die Bevölkerung kein geldpolitisches Instrument.

Sinn und Zweck ist einzig, das heutige System der Gewinnausschüttung mit einem zu ersetzen, das die SNB vor politischen Begehrlichkeiten schützt. Wie alle Vorschläge in unserem jüngsten Papier zielt auch die Gewinnausschüttung direkt an die Bevölkerung darauf ab, die Unabhängigkeit der SNB zu stärken. Die SNB soll sich auf die Geldpolitik und damit die Gewährleistung der Preisstabilität konzentrieren.

6. Führen solche Zahlungen zu Inflation?

Nein, denn es handelt sich nicht um «Helikoptergeld» (siehe Punkt 5). Schon heute wird der Gewinn der SNB ausgeschüttet. Derzeit fliesst das Geld an Bund und Kantone, die es dann für Staatsausgaben verwenden. Gemäss unserem Vorschlag soll es direkt ins Portemonnaie der Bürgerinnen und Bürger, die es sparen oder konsumieren. Beides ist nicht inflationär, denn die Geldmenge M3 beträgt derzeit 1,13 Billionen Franken. Das Volumen von Gewinnausschüttungen beläuft sich bezogen auf diese Grösse im Bereich weniger Promille. Hier ändert sich nichts.

7. Würde damit die Grenzen zwischen Fiskal- und Geldpolitik aufgeweicht?

Nein, im Gegenteil. Der Grund für diesen Vorwurf könnte wiederum an einer Verwechslung unseres Vorschlags mit «Helikoptergeld» liegen (siehe Punkt 4). Dort wird gemeinhin das Argument vorgebracht, der Staat könnte das Geld auch direkt der Bevölkerung auszahlen und diese Ausgaben mit Schulden finanzieren (Fiskalpolitik). Diese Schulden könnten wiederum von der Zentralbank mit «frischem» Geld gekauft werden (Geldpolitik; sogenanntes Quantitative Easing). In der Folge kommt es zu einer Vermischung von Geld- und Fiskalpolitik.

Aber unser Vorschlag ist gerade nicht «Helikoptergeld». Er bezieht sich einzig und allein auf die Gewinnausschüttung. Der Gewinn der SNB wird bereits heute ausgeschüttet, einfach an Bund und Kantone, also an den Fiskus. Damit wird deutlich: Das Problem der aufgeweichten Grenzen zwischen Fiskal- und Geldpolitik trifft auf das heutige System zu. Deshalb lastet heute auch ein zu grosser politischer Druck auf der Geldpolitik. Eine direkte Verteilung des SNB-Gewinns an die Bevölkerung würde hier eine klare Grenze zwischen Fiskal- und Geldpolitik ziehen – mit allen entsprechenden Vorteilen.

Bonus: Klingt Avenir Suisse nun wie die Jungsozialisten? Und ist das erschreckend? (Credits @Viktor Giacobbo)

Wenn damit eine klare Sprache gemeint ist, dann vielen Dank für das Kompliment – und das ist keineswegs erschreckend, wir wollen ja nicht in Rätseln sprechen. Zudem sollte es wenig überraschen, dass Avenir Suisse als unabhängiger Think-Tank nicht ins klassische politische Schema passt. Allerdings dürften gerade die Jungsozialisten in Fragen zur SNB wohl kaum über unsere Vorschläge erfreut sein – wie dieser vor knapp zehn Jahren veröffentlichte Beitrag von ihnen zeigt.

Die vollständige Studie «Abhängig von der Unabhängigkeit» mit unserer Analyse sowie allen unseren Vorschlägen finden Sie hier.