Die Schweiz hat bei der Liberalisierung von Infrastrukturleistungen keine Vorreiterrolle eingenommen. Marktöffnungen bei Telekom, Elektrizität, Post oder Schienenverkehr wurden erst auf Druck von aussen, mit viel Verzögerung und vor allem nur halbherzig vorgenommen. Eine Privatisierung hat noch gar nicht stattgefunden. Bestenfalls wurde den öffentlichen Versorgern ein privates Rechtskleid übergezogen, nur in Ausnahmefällen – wie etwa der Swisscom – wurde eine private Minderheitsbeteiligung zugelassen. Vielfältige Subventionen, Restmonopole und Tarifregulierungen wirken als Markteintrittsbarrieren und bevorteilen die etablierten Versorger, so dass trotz formeller Marktöffnung meist kein echter Wettbewerb zustande gekommen ist. Kurz: Die Liberalisierung der Schweizer Infrastrukturversorgung ist auf halbem Weg stecken geblieben.
Für den ehemaligen Preisüberwacher Rudolf Strahm ist dies kein Grund zur Sorge. Im Gegenteil schreibt er in einem NZZ-Gastkommentar, dass der Nutzen von mehr Wettbewerb ohnehin sehr beschränkt sei. Die beobachteten Produktivitätssteigerungen in den Service-public-Betrieben schreibt er vor allem organisatorischen Reformen zu, etwa New Public Management, Auslagerungen, betrieblicher Rechnungslegung oder der Rekrutierung von unternehmerisch handelnden Managern. Die Forderungen von Avenir Suisse nach mehr Markt und Privatisierung seien daher bedeutungslos geworden. Weitere Effizienzsteigerungen seien in erster Linie über Preisregulierungen anzustossen.
Wettbewerb als Motor der Effizienz
Strahms These, wonach in erster Linie die Änderung der Rechtsform und andere organisatorische Anpassungen für die wachsende Produktivität in den Schweizer Infrastruktursektoren verantwortlich sein sollen, ist abwegig.
- Erstens hat gerade die Kommunikation (IT, Telecom und teilweise die Post) besonders stark von technischen Innovationen während der vergangenen 20 Jahre profitiert. Und weil es für Technologie einen globalen Markt gibt, hat der Fortschritt auch ohne die Service-public-Liberalisierung in der Schweiz stattgefunden. Zum Glück. Denn es existiert sehr wohl ein Zusammenhang zwischen Innovation und Wettbewerb: Wären weltweit die Telekommärkte nationale Monopole geblieben, gäbe es heute vermutlich nicht so vielfältige und innovative Dienste und Geräte etwa im Zusammenhang mit dem mobilen Internet.
- Zweitens wurden organisatorische Reformen in den Service public Sektoren häufig im Hinblick auf Marktöffnungen vorangetrieben. Der eigentliche Motor hinter den damit verbundenen Verbesserungen ist damit der (erwartete) Wettbewerb. Der nachhaltige Effizienzgewinn einer isolierten Anpassung von Rechtsform, Rechnungslegung oder Governance dürfte dagegen bescheiden sein. Daraufhin deuten auch die Resultate von zahllosen Studien, die etwa die Effizienzunterschiede zwischen öffentlichen und privaten Unternehmen messen. Dabei zeigt sich, dass weniger Eigentum und Organisationsform der Unternehmen relevante Einflussfaktoren sind, sondern vielmehr in welchem marktlichen Kontext sie agieren: Je grösser die Konkurrenz, desto höher die Effizienz. Auch sind private Unternehmen in einem gleichen wettbewerblichen Umfeld tendenziell effizienter als öffentliche.
Preisregulierungen – wie Rudolf Strahm sie fordert – können für den Wettbewerb bei den Netzinfrastrukturen sehr wohl relevant sein. Das allerdings betrifft die Regulierung des natürlichen Monopols. Eine sinnvolle Netzzungangsregulierung soll Konkurrenten den Zugang zum Markt ermöglichen und gleichzeitig Investitionsanreize bei den Netzen erhalten. Die Auffassung allerdings, wonach Preisregulierung ganz allgemein ein Schlüssel zu höherer Effizienz ist, ist verfehlt. Die Erfahrungen mit Tarifregulierungen in den halbherzig geöffneten Märkten illustrieren im Gegenteil, dass bedeutende Verzerrungen bei den Verbrauchs- und Investitionsanreizen entstehen. Bestes Beispiel ist die Regulierung der Grundversorgungs-Stromtarife auf Basis von Gestehungskosten. Als vor wenigen Jahren die Tarife noch unter den Marktpreisen lagen, wurden Sparanreize bei den Verbrauchern und Investitionsanreize bei den Produzenten unterdrückt. Nun liegen die Strommarktpreise unter den Kosten vieler Schweizer Anbieter. Die Regulierung gibt ihnen die Gelegenheit, höhere Kosten einseitig den Verbrauchern ohne Marktzugang anzulasten.
Privatisierung und Risikomanagement
Im Buch «Mehr Markt für den Service public» skizziert Avenir Suisse eine Roadmap zur Beseitigung von Wettbewerbsbarrieren und Bevorteilungen der vormaligen Monopolisten in den Service-public-Sektoren. Im letzten Schritt der Roadmap wird schliesslich die «Einleitung eines Privatisierungsprozesses» vorgeschlagen. Dabei wird nicht etwa eine «konsequente» Privatisierung gefordert, wie dies Rudolf Strahm in seinem Artikel fälschlich zitiert. Vielmehr ist von einem «konsequenteren» Privatisierungsprozess die Rede. Der scheinbar kleine Unterschied ist relevant, schliesslich gibt es in der Schweiz bisher noch gar keine Privatisierung – schon ein wenig mehr davon täte gut.
Die Privatisierung öffentlicher Unternehmen im liberalisierten Markt ist kein Selbstzweck. Einerseits behindert das anhaltend dominierende staatliche Eigentum die weiteren Marktöffnungsschritte und damit verbundene Fortschritte bei der Etablierung eines echten Wettbewerbs. In vielen Fällen agieren die Kantone nicht nur als Unternehmer, sondern auch noch als Regulatoren, Leistungseinkäufer und Financiers – so bei den Spitälern. Die damit verbundenen Interessenkonflikte werden in der Regel nicht zum Vorteil der privaten oder gar ausländischen Konkurrenten gelöst.
Anderseits werden sich die öffentlichen Unternehmen nicht ewig dem Wettbewerb verschliessen können. Der Druck von aussen – vor allem von Seiten der EU – wird weiter anwachsen. Das illustriert etwa der Strommarkt, wo die sinkenden europäischen Strompreise die inländischen Produzenten unter Druck bringen – auch wenn der hiesige Markt erst zum Teil geöffnet ist. Die Kantone als Eigner der Verbundunternehmen sollten sich bewusst werden, dass Kraftwerksinvestitionen nicht mehr im gemütlichen Monopol, sondern im internationalen Markt stattfinden. Damit verbunden sind bedeutende finanzielle Risiken für die Steuerzahler. Jenseits von dogmatischen Überzeugungen sollten sich daher die Kantone im Rahmen ihres Risikomanagements Gedanken über ihre Beteiligungen an Unternehmen in wettbewerblichen Märkten machen.