Wegen der Personenfreizügigkeit (PFZ) sinkt das Schweizer Bildungsniveau nicht – im Gegenteil: Die Zuwanderung im Rahmen des PFZ zeichnet sich durch einen hohen Anteil an Fachkräften mit tertiärem Bildungsabschluss (höhere Berufsbildung und Hochschulen) aus (Seco 2019).
Vor dem Regime der PFZ wurde das ausländische Arbeitskräftereservoir durch ein rigides administratives Kontingentsystem gelenkt. Die Zuwanderung wurde von wenigen Branchen bestimmt, die vorwiegend auf tiefqualifiziertes Personal angewiesen waren, aber grossen Einfluss auf die Politik ausübten. Heute wird der grösste Teil der Einwanderung nicht mehr politisch gesteuert, sondern ergibt sich aus der Personalnachfrage der Wirtschaft als Ganze. Schweizer Unternehmen rekrutieren insbesondere gut ausgebildete Spezialisten, die sie in der Schweiz nicht finden können.
Tertiärgebildete machen den grössten Anteil der Zuwanderung aus
Die Grafik zeigt alle ausländischen Erwerbstätigen aus EU/Efta-Staaten (ohne Doppelbürger) nach Einwanderungszeitpunkt, die 2019 in der Schweiz arbeiteten. Einwanderer, die das Land vor 2019 verliessen, eingebürgert wurden oder in Rente gingen, werden aus statistischen Gründen nicht berücksichtigt.
Von den Ausländerinnen und Ausländern aus EU/Efta-Staaten, die seit 2002 in die Schweiz eingewandert und 2019 hierzulande erwerbstätig waren, verfügten durchschnittlich 84% mindestens über einen Abschluss auf der Sekundarstufe II (berufliche Grundbildung und allgemeinbildende Schulen, z.B. Gymnasium) und 55% über einen tertiären Bildungsabschluss (vgl. Abbildung). Zwar überwiegen im Vergleich zu Schweizer Arbeitskräften unter den PFZ-Einwanderern jene mit einem obligatorischen Schulabschluss. Der Anteil der Beschäftigten mit Tertiärabschluss jedoch liegt bei den PFZ-Einwanderern über jenem der Schweizer und Schweizerinnen.
Insgesamt waren 2019 16% aller in der Schweiz Erwerbstätigen mit Sek-I-Abschluss (obligatorische Schule) Ausländerinnen und Ausländer aus EU/Efta-Staa-ten, die seit dem FZA einwanderten. Beim Sek-II-Abschluss machen diese nur gerade 8% aller Erwerbstätigen aus. Schliesslich sind 17% aller Erwerbstätigen mit einem Tertiärabschluss Ausländerinnen und Ausländer aus EU/Efta-Staaten, die seit der Einführung der PFZ einwanderten. Dabei verfügen vor allem jüngere Zuwanderer in der Tendenz über ein höheres Qualifikationsniveau (Bundesrat 2019).
Vor dem Hintergrund der 2014 angenommenen Masseneinwanderungsinitiative und deren ungewisser Umsetzung reduzierte sich die Zuwanderung kurzfristig. Dabei hat sich die Zusammensetzung der Qualifikationsstruktur der Zugewanderten aber wenig verändert. Nach wie vor machen tertiär ausgebildete Fachkräfte bei weitem den grössten Anteil aus. Mehr als die Hälfte der im Rahmen des PFZ-Abkommens eingewanderten Erwerbsbevölkerung verfügte 2018 über einen Tertiärabschluss (Seco 2019).
Zuwanderer ergänzen bestehende Qualifikationsstruktur
EU/Efta-Arbeitskräfte ergänzen vor allem Berufe mit niedrigem oder hohem, seltener solche mit mittlerem Qualifikationsniveau. Damit füllen sie wichtige Lücken, welche die Schweiz aufgrund ihrer demografischen Entwicklung mit dem eigenen Ausbildungssystem nicht selbständig zu schliessen vermag. Zudem gibt es politisch gewollte Restriktionen in der Ausbildungszulassung bestimmter Berufe, wie beispielsweise der Numerus clausus in der Medizin. Dies führte in der Vergangenheit zu einer Mangellage, die nur über die Rekrutierung ausländischer Ärztinnen und Ärzte behoben werden konnte. So gesehen findet ein Brain-gain statt.
Schliessen der Humankapitallücke
Dadurch profitiert die Schweiz dank der PFZ in mehrfacher Hinsicht: Sie kann durch ausländische Fachkräfte ihre Humankapitallücke auf dem Arbeitsmarkt schliessen und muss gleichzeitig nicht für die Ausbildungsfinanzierung der Fachkräfte aufkommen. Dabei führt der hohe Anteil an hochqualifizierten PFZ-Migranten nicht zu einer Entwertung der hiesigen Bildungsabschlüsse. Denn die Bildungsprämie (der Lohnunterschied zwischen hoch- und niedrigqualifizierten Arbeitskräften) ist zwischen 1995 und 2014 gestiegen (Weisstanner und Armingeon 2018).
Eine Studie von Favre et al. (2018) gibt Hinweise darauf, inwiefern sich die Qualität der Bildungsabschlüsse von PFZ-Zuwanderern von jener der Schweizer unterscheidet: Sie vergleichen die Löhne der Zugewanderten einer jeweiligen Bildungsstufe mit jenen von Schweizern derselben Bildungsstufe. Zugewanderte aus EU/Efta-Ländern mit Tertiärabschluss verdienen im Durchschnitt bereits im Jahr der Einwanderung mehr als Schweizer und Schweizerinnen.
Dies lässt sich unter anderem dadurch begründen, dass vergleichsweise viele tertiärgebildete Zugewanderte in sehr gut bezahlten Jobs (Manager, Ärzte usw.) arbeiten und Zuwandererinnen ein höheres Arbeitspensum aufweisen als Schweizerinnen (Seco 2018). Während zugewanderte Männer aus EU/Efta-Ländern ohne nachobligatorischem Abschluss ab dem zweiten Jahr gleich entlöhnt werden wie vergleichbare Schweizer, können jene mit einem Abschluss auf Sekundarstufe II nie ganz zum Lohnniveau der Schweizer aufholen.
Diese Resultate deuten darauf hin, dass ein Abschluss auf Sekundarstufe II aus einem EU/Efta-Land nicht immer dem Schweizer Äquivalent entspricht und mit einem Einkommensabschlag verbunden ist. Bei den Zuwandererinnen aus EU/Efta-Staaten ist ein Einkommensabschlag nur kurzfristig auf Sekundarstufe I zu beobachten (Favre et al. 2018).
57% der PFZ-Eingewanderten seit 2002 kommen aus den direkten Nachbarländern der Schweiz (Deutschland 28,5%, Frankreich 12,5%, Italien 12,9%, Österreich 3%) und sprechen daher mindestens eine Landessprache (BFS 2019a). Kulturelle oder Kommunikationsprobleme dürften kaum zu befürchten sein, denn 70% der Bevölkerung aus EU/Efta-Ländern haben fortgeschrittene oder muttersprachliche Kenntnisse einer der Amtssprachen im Wohnkanton (BFS 2019g, vgl. Box).
Fazit
Insgesamt hat die PFZ die Qualifikationsstruktur der Zuwanderung positiv beeinflusst, da vorwiegend hochqualifizierte Arbeitskräfte einwandern. Der Anteil Tertiärgebildeter ist bei den Zuwanderern sogar grösser als bei den Schweizerinnen und Schweizern. Die PFZ dürfte keinen negativen Einfluss auf die Schulqualität haben, da ein Grossteil der Zugewanderten aus dem EU/Efta-Raum über einen Tertiärabschluss verfügt sowie eine Landessprache beherrscht. Die Befürchtung, das Bildungsniveau sinke in der Schweiz aufgrund der PFZ, ist unberechtigt.
Keine negativen Auswirkungen für Schweizer Schulen
Der Anteil Kinder mit ausländischer Nationalität in der obligatorischen Schule ist mit 27 % zwar relativ hoch. Dabei werden jedoch auch Kinder erfasst, die in der Schweiz geboren wurden, aber ausländische Eltern haben (BFS 2020f). Ebenso wenig wird unterschieden, inwiefern sie aus dem EU/Efta-Raum stammen. Von einem negativen Einfluss der PFZ auf die Schulqualität ist nicht auszugehen. Wie die Abbildung aufzeigt, verfügt mehr als die Hälfte der Zugewanderten aus EU/Efta-Staaten über einen Tertiärabschluss.
Dennoch brechen Kinder mit Migrationshintergrund (1. Generation; keine Unterscheidung Drittstaaten vs. EU / Efta) im Mittel die Schule etwas häufiger ab als ihre Schweizer Klassenkameraden (BFS 2017). Dieser Effekt vermindert sich jedoch bereits in der 2. Generation um mehr als die Hälfte und gleicht sich dem Durchschnitt an. Insgesamt wirkt das Schweizer Bildungssystem integrativ und erlaubt dank seiner Durchlässigkeit unterschiedlichste Bildungsbiografien. Kinder ausländischer Fachkräfte vermindern die hiesige Schulqualität also nicht.
Dieser Beitrag ist in der Publikation «Personenfreizügigkeit – Eine ökonomische Auslegeordnung» erschienen.