Bei den Medien sind die Beziehungen zwischen Deutschland und der Schweiz so eng wie in kaum einem anderen Bereich. Über die Zukunft der Printmedien, die düster erscheint, sprachen beim Zermatter Symposium vier Männer, die beide Länder kennen.
Martin Kall bedankte sich, dass beim Podiumsthema «Die Zukunft der deutschsprachigen Medien» kein Fragezeichen stand. Der CEO von Tamedia nannte allerdings gleich Fakten, die die Frage aufwarfen, ob zumindest die Printmedien überhaupt eine Zukunft haben. So ging der Umsatz beim Zürcher Tages-Anzeiger seit 2000 von 370 Mio. auf 140 Mio. Franken zurück. Der Einbruch traf alle Bereiche; mit einem Verlust von «nur» 30% Abos kam der Lesermarkt noch vergleichsweise glimpflich davon, bei den Anzeigen gingen mehr als drei Viertel verloren. Kall erzielte einen Heiterkeitserfolg, als er den einzigen Bereich erwähnte, der in den letzten zehn Jahren zulegte: die Todesanzeigen. «Was sagt das für die Branche?»
2030 ist für die Presse Schluss
Tobias Trevisan bestätigte diesen Befund. Der Verlagsmanager aus Basel, der nach der Sonntagszeitung und der NZZ jetzt in Frankfurt die FAZ führt, stellte fest, der Medienwandel habe in Deutschland schon nach 1980 mit dem Aufkommen des Privatfernsehens begonnen und beschleunige sich mit dem Siegeszug des Internets. Die Zeitungen erlitten eine Erosion der Auflage von 1,5% bis 2% im Jahr. Dieser Prozess gehe weiter bis 2030: «So lange gibt es noch die geburtenstarken Jahrgänge, die mit Zeitungen aufwuchsen – dann ist Abbruch.»
In Deutschland, mit beispielsweise sechs überregionalen Tageszeitungen im Gegensatz zur Schweiz mit einer, der NZZ, gebe es immerhin Wettbewerb: «Man kann also Marktanteile gewinnen, um die Erosion zumindest teils wettzumachen.» Dazu merkte NZZ-Chefredaktor Markus Spillmann in der Diskussion allerdings an, dass die Deutschschweiz dem Grossraum München entspreche: «Die Reichweite der NZZ ist grösser als jene der FAZ – aber das nützt uns nichts.»
Mit deutscher Brachiallogik im Bannwald
Ebenso stark wie die Technologie und die Demografie hat sich in den letzten dreissig Jahren die Politik und damit die Öffentlichkeit gewandelt, besonders in der Schweiz. Dies stellten zwei journalistische Grenzgänger fest: der NZZ-Redaktor Eric Gujer, der als Auslandschweizer in Deutschland aufwuchs, und der gebürtige Deutsche Peer Teuwsen, der jetzt die Schweizer Ausgabe der «Zeit» leitet.
Er habe in den 1980er-Jahren noch völlig verschiedene Medienwelten erlebt, sagte Gujer. Während in Deutschland das Zeitungssterben begann, galt in der Schweiz die regional zersplitterte Presse noch als «Bannwald der Demokratie». Als der junge Auslandschweizer fragte, weshalb die NZZ nicht die Zürichsee-Zeitung übernehme, bekam er zu hören, das sei eine «typisch deutsche Brachiallogik».
Schweizer Politik ist deutsch geworden
Der Schweizer Journalismus sei damals weniger hysterisch, stärker reflexiv und international ausgerichtet gewesen als der deutsche, stellte Gujer fest: «Inzwischen sind die Unterschiede weitgehend eingeebnet.»
Denn die Schweizer Politik sei sehr viel «deutscher» geworden, inzwischen wüssten die Deutschen die Konkordanz sogar eher zu schätzen als die Schweizer. Den Wandel im politischen und damit medialen Diskurs führte Gujer vor allem auf die «deutscheste Schweizer Partei» zurück: die SVP, «die als einzige in einem Bundestagswahlkampf bestehen könnte».
Wie können die Printmedien überleben? Die Schweiz sei der sechstgrösste Zeitungsmarkt Europas und der neuntgrösste der Welt, betonte Kall, vor allem aufgrund der traditionellen Dezentralisierung und direkten Demokratie: «Die Rahmenbedingungen sind positiv – die Branche muss etwas daraus machen.»
Einerseits müsse dafür aber eine beschleunigte Konsolidierung stattfinden: Weniger Eigentümer, also letztlich wohl zwei, drei starke Medienunternehmen, müssten mehr Titel herausgeben. Und anderseits müssten sich die Zeitungs- zu Medienhäusern entwickeln: «Wir müssen im Internet dieselbe Qualität garantieren, sonst haben wir keine Zukunft.» Dieser Wandel sei ein schwieriger Prozess, unterstrich Trevisan: «Wir müssen mit den Printmedien Zeit gewinnen, bis wir neue Erlösquellen aufbauen können.»
Zurück zu den Schweizer Tugenden
Wie es geht, zeigt die «Zeit», die bei Auflage und Umsatz besser dasteht denn je – «wir wissen auch nicht, warum», wie Teuwsen gestand. Eine Erklärung wagte er immerhin: «Wir machen eine langsame Zeitung. Die anderen Journalisten wollen alle mitregieren – wir machen die Erregungsspirale nicht mit.» Diese Haltung wünschte sich Teuwsen auch wieder für die Schweizer Presse: «Die Leute sind die Hysterie leid», meinte er. «Wir sollten wieder zu den schweizerischen Tugenden Bescheidenheit und Unaufgeregtheit zurückkehren.»
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