Seit fünf Jahren verhandeln die Schweiz und die Europäische Union über die zukünftige Ausgestaltung der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen, wie sie bisher in den Paketen Bilaterale I und II festgelegt sind. Die aktuell diskutierte Weiterentwicklung soll eine dynamische Komponente erhalten, um Ungleichheiten in der Rechtsentwicklung in Zukunft zu vermeiden. Instrument dazu soll das «institutionelle Rahmenabkommen» (InstA) sein. Nun liegt das Verhandlungsergebnis auf dem Tisch, und in den nächsten Monaten wird es im Rahmen eines Konsultationsverfahrens intensiv öffentlich diskutiert. Einer der Hauptstreitpunkte, der aber nicht Teil des bundesrätlichen Verhandlungsmandats war, ist der «Lohnschutz», wie er unter dem Sammelbegriff der flankierenden Massnahmen (FlaM) praktiziert wird.

Wirtschaftliche Einordnung des «Lohnschutzes»: Flankierende Massnahmen

Es ist wichtig, die von den FlaM betroffenen meldepflichtigen Entsendungen und Kurzaufenthalter von der langfristigen Zuwanderung sowie von anderen Arbeitskategorien (beispielsweise Grenzgängern) zu unterscheiden. Einfacher formuliert: Voraussetzung für eine langfristige Niederlassung ist das Vorhandensein eines Arbeitsvertrages mit einem Arbeitgeber in der Schweiz. Diese Arbeitnehmer unterstehen dann den gleichen Bestimmungen wie die bereits in der Schweiz ansässigen Erwerbstätigen. Bei Kurzaufenthaltern mit einem Arbeitgeber im Herkunftsland (sogenannten entsandten Arbeitnehmenden) bleibt hingegen der Arbeitnehmer während der gesamten Entsendedauer dem Arbeitsvertrag unterstellt, den er mit seinem Arbeitgeber im Ursprungsland abgeschlossen hat. Damit ist die Sozialversicherungsgesetzgebung des Ursprungslandes anwendbar und das Einkommen wird (sofern ein Doppelbesteuerungsabkommen besteht) nur im Herkunftsland besteuert.

Im Zentrum von Europa wird über die Ausgestaltung der Beziehungen zur EU diskutiert. Welches sind die Kosten, wie gross ist der Nutzen? (Jungfrau-Gebiet, ETH Bibliothek Zürich, Bildarchiv)

Meldepflichtig sind in der Schweiz alle Einsätze von entsandten Arbeitnehmenden, wenn sie acht Tage pro Jahr überschreiten. Auch Kurzaufenthalte unter 90 Tagen sind meldepflichtig, aber ihre Zahl ist nicht kontingentiert. Einsätze von über 90 Tagen hingegen sind bewilligungspflichtig, sie unterliegen dem Inländervorrang bei einem Kontingent von derzeit 3500 pro Jahr (AWA Kanton Zürich, 2018).

Grundsätzlich bestehen somit drei Kategorien von meldepflichtigen Kurzaufenthaltern:

  • Kurzfristige Stellenantritte (für die Dauer von weniger als 90 Tagen) bei Schweizer Unternehmen (145’000 im Jahr 2017)
  • Selbständigerwerbende Dienstleistungserbringer (41’000)
  • Entsandte von ausländischen Unternehmen in die Schweiz (120’000).

Im Jahr 2017 waren im Total etwas mehr als 300’000 Kurzaufenthalter in der Schweiz aktiv. Dies ist auf den ersten Blick eine im europäischen Vergleich hohe Zahl. Relativ zur Gesamtbeschäftigung läge die Schweiz europaweit auf Rang 4, nach Luxemburg, Belgien und Österreich.

Allerdings müssen diese Daten gleich mehrfach relativiert werden. In der EU sind Entsendungen bis 24 Monate möglich (ab 2018 bis 12 Monate), in der Schweiz nur bis 90 Tage. Entsprechend liegt die durchschnittliche Entsendungsdauer in der EU bei 101 Tagen, in der Schweiz bei nur 30 Tagen (De Wispelaere und Pacolet, 2017, S. 31, 14. Seco-Bericht zur PFZ, S. 91). Damit sind die Daten der EU und der Schweiz nicht direkt vergleichbar; sie überzeichnen das relative Ausmass dieser Erwerbskategorie für die Schweiz massiv (De Wispelaere und Pacolet, 2017, S. 35).

Berücksichtigt man nämlich die geringe Dauer der Aufenthalte in der Schweiz, ist die Bedeutung der Entsendungen aus volkswirtschaftlicher Sicht insgesamt als gering einzuschätzen. Kurzaufenthalter leisten in der Schweiz ein Arbeitsvolumen von rund 9 Millionen Arbeitsstunden, was 27‘600 vollzeitäquivalenten Stellen entspricht – das ist in etwa der Personalbestand der SBB. Umgerechnet sind es bloss 0.7% der Schweizer Beschäftigung.

Nicht nur ist die rein mengenmässige Bedeutung der erwerbstätigen Kurzaufenthalter relativ zur Gesamtbeschäftigung gering. Ihr Verlauf deutet nicht auf eine Substitution der einheimischen Erwerbstätigen hin. Im Gegenteil: wie die Abbildung unten zeigt, besteht ein positiver Zusammenhang zwischen diesen zwei Gruppen von Beschäftigten. Seit das Freizügigkeitsabkommen gegenüber den Staaten der (damaligen) EU17/Efta voll in Kraft ist – d.h. seit Mitte 2007 – ist eine Zunahme der Kurzaufenthalter stets von einer deutlich grösseren Zunahme der Gesamtbeschäftigung begleitet worden. Mit anderen Worten ergänzen Entsendungen und Kurzaufenthalter die langfristige Erwerbsbevölkerung. Diese komplementäre Beziehung blieb auch im Rezessionsjahr 2009 bestehen.

Effekte auf Löhne

Mehrere empirische statistische Analysen haben den Effekt der PFZ auf Löhne und Beschäftigung in der Schweiz quantifiziert. Insgesamt wurden nur geringe Effekte auf die Löhne gemessen. Die grössten – positiven – Lohneffekte weisen die Studien ausgerechnet im Tieflohnsegment aus. Dies, weil die Zugewanderten hinsichtlich Qualifikation komplementär zu den bereits ansässigen, niedrigqualifizierten Arbeitnehmenden sind.

Allerdings haben diese Studien den spezifischen Effekt der Entsendungen nicht separat ausgewiesen. Gesicherte empirische Studien zu den Wirkungen der Entsendungen auf Löhne und Beschäftigung in der Schweiz gibt es nicht. In der EU konnte kein negativer Einfluss der Entsendungen auf die Löhne oder die Beschäftigung der Gastländer in der EU festgestellt werden (Dalla Pellegrina und Saraceno, 2017).

Doch auch ohne umfassende Analysen lässt sich mit einiger Sicherheit die Aussage machen, dass der gesamtwirtschaftliche Effekt der Entsendungen und Kurzaufenthalter auf die Schweizer Löhne oder auf die Beschäftigung geringfügig sein dürfte. Denn das Arbeitsvolumen dieser Erwerbskategorie in der Schweiz ist nicht nur – wie bereits erwähnt – im Vergleich zum Gesamtarbeitsvolumen absolut betrachtet klein. Es ist auch im Vergleich zum von den langfristigen Zuwanderern ausgehenden Beschäftigungseffekt niedrig. Der Nettozuwanderungseffekt der PFZ bleibt zwar umstritten, doch er dürfte im Bereich von 10‘000 bis 15’000 Personen pro Jahr liegen (Bolli, Schläpfer, und Siegenthaler, 2015). Kumuliert über die 16 Jahre seit dem Inkrafttreten der PFZ geht das Beschäftigungswachstum in die Hunderttausende. Diese Zahl muss im Vergleich zu den – über den gleichen Zeitraum berechneten – etwa 15’000 Stellen gesetzt werden, die von Kurzaufenthaltern besetzt sind.

Niemand würde behaupten, dass etwaige tiefe Löhne der SBB-Mitarbeiter einen Effekt auf die Lohnstruktur der Schweiz ausüben könnten. Ähnlich irreführend sind Behauptungen, die die erwähnten positiven Lohn- und Beschäftigungsentwicklungen im Tieflohnsegment des Schweizer Arbeitsmarktes direkt als Erfolg der flankierenden Massnahmen werten. Diese sind eher – neben anderen, von der PFZ unabhängigen Faktoren – auf die Wachstumseffekte der quantitativ betrachtet deutlich wichtigeren PFZ zurückzuführen.

Schliesslich darf man nicht vergessen, dass es neben der langfristigeren Zuwanderung noch weitere Substitute für Entsendungen gibt, beispielsweise Grenzgänger. Diese sind vor allem in grenznahen Regionen relevant. Würde man Entsendungen zusätzlich erschweren – etwa mit einer weiteren Verschärfung der FlaM –, könnte dies zu einer Zunahme der Grenzgänger führen. Vice versa würde eine Liberalisierung der Entsendungen einen negativen Einfluss auf die Grenzgängerbeschäftigung haben. Auch darf nicht übersehen werden, dass «günstige Arbeit» auch in Form von fertigen Produkten und ganz im Ausland erstellten Dienstleistungen (z.B. in Call Centern) importiert werden kann.

Die Flankierenden Massnahmen (FlaM)

  • Die FlaM schreiben Mindestlöhne und minimale Arbeitsbedingungen für Entsandte und Kurzaufenthalter vor. Unternehmen, die ihr Personal in die Schweiz entsenden wollen, müssen nachweisen, dass sie die in der Schweiz geltenden Arbeits- und Lohnbedingungen einhalten.
  • Die FlaM definieren erleichterte AVE-Bedingungen für bestehende GAV auf Antrag von kantonalen Tripartiten-Kommissionen (TPK) bei der Feststellung von «wiederholten Lohnunterschreitungen»
  • Die FlaM ermöglichen die Einführungen von NAV (= Mindestlöhne) in Branchen ohne GAV, die ebenfalls von «Lohnunterschreitungen» betroffen sind.

Vergewerkschaftung des Schweizer Arbeitsmarktes?

Die Art der Umsetzung der FlaM schränkt den flexiblen Schweizer Arbeitsmarkt zunehmend ein. Die Mindestkontrollanzahl hat der Bundesrat jüngst von 27’000 auf 35’000 erhöht, was wiederum indirekte volkswirtschaftliche Kosten im Sinne einer sinkenden Effizienz des Arbeitsmarktes verursacht. Bei Berufs- oder Quereinsteigern erschweren beispielsweise Mindestlöhne den Einstieg in den Arbeitsmarkt oder den Berufswechsel. Dies könnte den Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit mitverursacht haben, der in den Jahren 2005 bis 2016 im Vergleich zur Periode 1991 bis 2004 stattgefunden hat. Dazu wären zusätzliche Abklärungen von grossem Interesse.

Hinzu kommen administrative Kosten aufgrund der hohen Kontrolldichte. So haben die Vollzugsorgane die Einhaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen bei 170’000 Personen und bei mehr als 44’000 Unternehmen überprüft. Insgesamt wurden 7% der Schweizer Arbeitgeber, 36% der Entsandten und 33% der selbstständigen Dienstleistungserbringer einer Kontrolle unterzogen. In den ordentlichen GAV festgeschriebene Mindestlöhne werden oft für die Definition der «üblichen Löhne» in der ganzen Branche verwendet. Eine Zunahme um 27 auf 434 GAV mit Mindestlöhnen, wie sie zwischen 2003 und 2014 stattgefunden hat, bedeutet also, dass in deutlich mehr Branchen und für mehr Arbeitnehmende faktisch ein Mindestlohn gilt.

Explizit wird einem Mindestlohn branchenweite Gültigkeit verliehen, wenn ein GAV allgemeinverbindlich erklärt wird. Von diesem Instrument – und besonders von der erleichterten Allgemeinverbindlichkeitserklärung im Rahmen der FlaM – wurde auf Kantons- und Bundesebene seit 2004 reger Gebrauch gemacht. Die Zahl der allgemeinverbindlich erklärten GAV stieg zwischen 2003 und 2014 von 37 auf 73 an und die Zahl der unterstellten Arbeitnehmenden von 376’000 auf 992’000. Nimmt man ordentliche und allgemeinverbindliche GAV mit Mindestlöhnen zusammen, so sind ihnen heute bereits 35% aller Beschäftigten direkt unterstellt. Dies kommt einer sukzessiven Vergewerkschaftung des Arbeitsmarktes gleich, obwohl im gleichen Zeitraum die Gewerkschaften deutlich an Mitgliederzahlen verloren.

Im Avenir Suisse-«Policy Brief» «Risiken und Nebenwirkungen der Flankierenden» (Schlegel, 2017) wurde bereits auf den geringeren Nutzen und auf die hohen Kosten dieser Strategie hingewiesen. Insgesamt muss festgehalten werden, dass die Zuwanderungs- und Beschäftigungseffekte der PFZ im politischen Diskurs überschätzt werden, sei es zur Legitimierung eines Ausbaus der FlaM oder als Kritik an der PFZ.

Bedeutung der Personenfreizügigkeit

Die PFZ ermöglicht Schweizer Arbeitnehmern unbürokratisch in einem EU-Land zu arbeiten, während die Schweiz den Arbeitsmarkt für EU-Arbeitnehmer geöffnet hat.

Seit 2002, dem Jahr der Einführung der PFZ, wuchs die Erwerbstätigkeit in der Schweiz um 22%, während die Erwerbslosigkeit anhaltend tief blieb. Eine systematische Verdrängung Einheimischer durch die Arbeitsmigration hat nicht stattgefunden, die Zuwanderer waren eine Ergänzung zu den inländischen Erwerbspersonen (Seco 2017).

Bei Inkrafttreten der PFZ betrug das BIP pro Kopf 64’059 Fr., heute (2017) sind es 79’104 Fr. (BFS 2018). Kumuliert betrug der monetäre Wohlstandszuwachs seit 2002 mehr als 168’000 Fr. – pro Kopf der Bevölkerung. Real wuchs das BIP seit Inkrafttreten der PFZ pro Kopf real um 0,9% pro Jahr. Die PFZ hatte einen vermutlich positiven Einfluss auf das BIP pro Kopf.

Das InstA eröffnet die Möglichkeit, weitere Marktzugangsabkommen abzuschliessen:

Strommarktabkommen

Die EU integriert die nationalen Strommärkte sukzessive zu einem integrierten Strombinnenmarkt. Bisher war die Schweiz in den wichtigsten europäischen Stromgremien vertreten, die Abstimmung mit den Nachbarländern konnte direkt stattfinden. Mit der fortschreitenden EU-internen Strommarktintegration wird es für die Partner rechtlich immer schwieriger, die Schweiz als Drittland aktiv miteinzubeziehen. Die Schweiz wird also sukzessive ausgeschlossen.

Erstens sind Schweizer Stromhändler in Europa gegenüber ihren europäischen Wettbewerbern diskriminiert, da sie nicht an der sogenannten Marktkopplung teilnehmen können, d.h. sie müssen die Energie und die grenzüberschreitenden Transportkapazitäten separat ersteigern. Dies verursacht höhere Kosten, die auch Schweizer Konsumenten beim Stromimport zu spüren bekommen. Für das Vereinigte Königreich schätzte eine Studie die zusätzlichen Kosten des Brexit in Bezug auf Strom auf bis zu 700 Mio. Fr. pro Jahr. Umgerechnet anhand des Stromverbrauchs wären dies für die Schweiz rund 130 Mio. Fr.

Zweitens ist die Schweiz vom europäischen Balancing ausgeschlossen. Die Netzbetreibungsgesellschaft Swissgrid muss deshalb immer häufiger eingreifen, um das Schweizer Netz zu stabilisieren (Redispatching), von 2013 bis 2018 (Stand November) stiegen die Eingriffe von 26 auf über 360 (Swissgrid 2018). Der Ausschluss der Schweiz erhöht die Risiken eines Blackouts und die Kosten des Netzmanagements. Die minimalen Kosten eines Totalblackouts in der Schweiz werden auf 2 Mrd. bis 4 Mrd. Fr. pro Tag geschätzt (VSE 2018).

Drittens hängt die langfristige Versorgungssicherheit der Schweiz massgeblich von einer Integration in den europäischen Strombinnenmarkt ab (Elcom 2017 und BFE 2017). Ohne ein Abkommen werden die Herausforderungen der Stromversorgung in der Schweiz zunehmen.

Finanzdienstleistungsabkommen

Um den grenzüberschreitenden Marktzugang für Schweizer Finanzinstitute sicherzustellen, setzt die Schweiz kurzfristig auf binationale Vereinbarungen mit einzelnen EU-Mitgliedern. Mit Deutschland besteht seit 2015 ein entsprechendes Abkommen, mit Frankreich und Italien verhandelt man seit längerem darüber.

Der EU-weite, grenzüberschreitende Marktzugang bleibt bruchstückhaft. Attraktiver wäre die Äquivalenzanerkennung relevanter Teile des Schweizer Finanzmarktrechtes durch die EU im Rahmen eines Finanzdienstleistungsabkommens (FDLA). Gerade kleinere und mittelgrosse Finanzinstitute dürften von einem FDLA profitieren, denn die Hürden für eine physische Präsenz in den Auslandsmärkten vor Ort sind ungleich höher, als die Erbringung grenzüberschreitender Dienstleistungen unter einem zukünftigen FDLA. Ein Abkommen gäbe dem Finanzsektor auch neuen Schub, nachdem sein Anteil – aufgrund verschiedener Faktoren – zwischen 2007 und 2017 von 7.3% auf 4.6% des BIP gefallen ist (Credit Suisse 2018).

Weitere Abkommen

Weitere mögliche Abkommen betreffen die öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (u.a. Schutz vor Epidemien), das Satellitensystem Galileo, die Europäische Eisenbahnagentur, das Medien- und Kulturprogramm, Roaming und den Digital Single Market. Im Bereich Landwirtschaft könnte das bestehende Abkommen von 1999 auf die gesamte Lebensmittelkette erweitert werden.

Ökonomische Risiken bei einem Nicht-Abschluss des InstA

Bei einem Nicht-Abschluss des InstA besteht das Risiko, dass der bisher präferierte Zugang zum EU-Binnenmarkt für Unternehmen aus der Schweiz schleichend erodiert. Denn die Schweiz erhält keine Garantie, dass die bestehenden Abkommen weiterentwickelt werden und dass Rechtsanpassungen der Schweiz von der EU als äquivalent angesehen werden.

Dazu gehören u.a. das Freihandelsabkommen, das Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen sowie mehrere Äquivalenzentscheide im Finanzbereich (z.B. Alternative Investment Fund Managers Directive (AIFMD), Nichtverlängerung der Äquivalenzanerkennung für Markets in Financial Instruments (MiFIR) und der Börsenregulation). Auch im Luftverkehr wäre das Kabotagerecht Schweizer Gesellschaften in Frage gestellt. Die Schweizer Exportindustrie empfindlich treffen würde eine stark verzögerte oder gar ausgesetzte Aktualisierung des Mutual Recognition Agreement (MRA), abschlägige Investitionsentscheide oder gar ein Verlust an Wertschöpfung am Standort wären die Folgen.

Volkswirtschaftliche Sicht auf das Mutual Recognition Agreement

Das Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen für Industrieprodukte zwischen der Schweiz und der EU vereinfacht den grenzüberschreitenden Warenverkehr.

Gleichwertiger Zugang zum EU-Binnenmarkt für Schweizer Unternehmen in 20 Produktbereichen; keine Wettbewerbsnachteile gegenüber Konkurrenten aus EU-Mitgliedsländern. Kosteneinsparung einer doppelten Konformitätsbewertung (Schweiz und EU), Zeitersparnis (time-to-market) für Schweizer Unternehmen. Vereinfachter Import von betroffenen EU-Produkten in die Schweiz, wirkt tendenziell preissenkend für Konsumenten.

2016 konnten Schweizer Exporte im Umfang von 74 Mrd. Fr. vom Abkommen profitieren, dies entspricht über zwei Drittel aller Ausfuhren der Schweiz in den EU-Binnenmarkt. Laufende Aktualisierungen im MRA garantieren, dass in der Praxis keine nicht-tarifären Handelshemmnisse zwischen der Schweiz und der EU bestehen. Alleine die Konformitätsanerkennung für Pharmaprodukte (Good Manufacturing Practices, GMP) spart geschätzte 150 Mio. bis 300 Mio. Fr. pro Jahr (Interpharma und DEA 2018). Für das gesamte Abkommen dürfte der volkswirtschaftliche Wert aus Schweizer Sicht – unter Einbezug des time-to-market, der Sicherung von Arbeitsplätzen und Wertschöpfung am Standort – über 1 Mrd. Fr. betragen.

Ohne die regelmässige Aktualisierung des Abkommens wird sein Geltungsbereich immer mehr eingeschränkt. So werden in den nächsten Jahren z.B. wichtige Vorschriften für Medizintechnikprodukte (MDR) und In-vitro-Diagnostika (IVDR) durch die EU in Kraft gesetzt. Ohne die Anerkennung der Gleichwertigkeit der Schweizer Regulation werden Exporte in den wichtigsten Exportmarkt deutlich erschwert.

Das InstA eröffnet erstmals die Möglichkeit, dass sich die Schweiz gegen Einschränkungen im Marktzugang via dem vorgesehenen Schiedsgericht wehren kann. Dies erhöht die Relevanz der betroffenen, bilateralen Abkommen für Unternehmen aus der Schweiz und schafft gleiche lange Spiesse gegenüber europäischen Wettbewerbern.

Fazit

Eine einseitige und auf die kritischen Punkte reduzierte Diskussion des InstA birgt die Gefahr, den Nutzen des Abkommens für die Schweiz zu unterschätzen. Im Verhältnis zur gesamtwirtschaftlichen Bedeutung eines MRA oder eines Strommarktabkommens rücken die (vermeintlichen) Kosten einer Anpassung der FlaM in den Hintergrund. Es gilt, die volkswirtschaftlichen Proportionen nicht aus den Augen zu verlieren, kühl zu rechnen und dann basierend auf Fakten zu entscheiden. Es geht darum, den bilateralen Weg, der von einer Mehrheit des Schweizer Stimmvolkes gutgeheissen wurde, weiterzuentwickeln.

Diese Analyse steht mit detaillierteren Informationen hier zum Download bereit.