Die Expertenkommission zur Limitierung von volkswirtschaftlichen Risiken durch Grossunternehmen will das Regulierungskorsett für die beiden als systemisch relevant erkannten Schweizer Grossbanken fester schnüren. Wenn es nach ihren Vorschlägen geht, müssen diese künftig deutlich mehr und qualitativ besseres Eigenkapital halten. Zudem haben sie zum Voraus organisatorische Vorkehrungen zu treffen, die im Notfall die Herauslösung und den Weiterbetrieb von essenziellen Bankinfrastrukturen erlauben. Das Dilemma, vor dem die Regulierungs- und Überwachungsbehörden heute stehen, entweder eine Grossbank mit Steuergeldern zu retten oder unter Inkaufnahme eines hohen volkswirtschaftlichen Schadens zu liquideren, soll dadurch gemildert werden.
Um die heutige Too-big-to-fail-Problematik im Zusammenhang mit den beiden Schweizer Grossbanken zu verstehen, muss man einen Blick zurück in die jüngere Schweizer Wirtschaftsgeschichte werfen. Denn es ist nicht ohne Weiteres verständlich, weshalb Banken, deren Stärke lange die Vermögensverwaltung war, das traditionell eher Liquiditätsüberschüsse generiert und bis auf allfällige Reputationsrisiken sonst kaum nennenswerte Risiken birgt, plötzlich in Schieflage geraten konnten. Ausgangspunkt ist dabei die Immobilienkrise zu Beginn der 1990er-Jahre, die unterschiedlichen Schätzungen zufolge dem Bankensystem Abschreibungen von 40 bis 60 Mrd. Franken verursachte. Es zeigte sich damals schnell, dass sich das Geschäftsmodell der Schweizer Grossbanken überholt hatte und im Binnenmarkt keine Wachstumsmöglichkeiten mehr bestanden.
Zwei Zutaten eines toxischen Cocktails
Die als Reaktion darauf von den Grossbanken eingeschlagene Vorwärtsstrategie umfasste zwei zentrale Stossrichtungen. Die erste Stossrichtung war eine forcierte Expansion ins Ausland, was gleichzeitig mit einer Verschiebung des traditionellen Geschäftsmodells einherging. Ende 1990 betrugen die Aktiven der Grossbanken im Ausland 254 Mrd. Franken; diese stiegen bis Ende 2007 um den Faktor 7,5 auf 1896 Mrd. Franken an. Die Aktiven im Inland nahmen demgegenüber um nur rund einen Drittel von 270 auf 363 Mrd. Franken zu. Bezüglich des Geschäftsmodells verringerte sich der relative Erfolgsbeitrag des traditionellen Zinsgeschäftes zwischen 1990 und 2006 von knapp 44% auf 26%. Dies wurde durch eine Zunahme der Erfolgsbeiträge aus dem Kommissions- und Dienstleistungsgeschäft von 34% auf 41% und aus dem Handelsgeschäft von 12% auf 26% kompensiert. Die zweite Stossrichtung der Vorwärtsstrategie umfasste die intensivere Bewirtschaftung der eigenen Mittel. Die Aktiven wurden vermehrt nach Risiken differenziertmit eigenen Mitteln unterlegt. Diese intensivierte Eigenmittelbewirtschaftung erhielt im Rahmen des Regulierungsstandards von Basel II auch das Plazet der Regulierungsbehörde. Die Risikogewichtung der Aktiven erlaubte vor allem eine Ausweitung des maximalen Verschuldungsgrads (Leverage). Die Eigenkapitalquote der Grossbanken sank in der Folge von durchschnittlich 6,1% zwischen 1980 und 1995 auf noch 4,1% zwischen 1996 und 2007, was einem Rückgang um einen Drittel entspricht. Die durchschnittliche Eigenkapitalrendite stieg im Gegenzug um beinahe 50% von 7,3% auf 10,7% allerdings unter Inkaufnahme einer erheblichen Zunahme der Volatilität um beinahe den Faktor 10. Mit der jüngsten Finanzmarktkrise mischten sich diese zwei Stossrichtungen zu einem eigentlich toxischen Cocktail: Das inhärent risikoreicher gewordene Geschäftsmodell traf auf eine infolge der intensiveren Eigenmittelbewirtschaftung gesunkene Risikofähigkeit.
Ein in sich stimmiges Massnahmenpaket
Die von der Expertenkommission vorgeschlagenen Massnahmen setzen nun richtigerweise auf beiden Seiten an. Mittels höherer Eigenkapital- und Liquiditätsvorschriften soll die Risikofähigkeit der systemisch relevanten Grossbanken erhöht und durch organisatorische Massnahmen die effektiv von diesen ausgehenden volkswirtschaftlichen Risiken reduziert werden. Dass die implizite Staatsgarantie mit den vorgeschlagenen Massnahmen für die beiden Schweizer Grossbanken vollständig eliminiert wird, konnte realistischerweise nicht erwartet werden. Obschon man sich hätte vorstellen können, neben den schärferen Eigenmittelvorgaben, die sich an den risikogewichteten Aktiven ausrichten, auch den maximalen Leverage anzuheben, ist das von der Expertengruppe nun präsentierte Massnahmenpaket in sich dennoch stimmig und geeignet, den Risikoappetit der Grossbanken zu zügeln. Und auch wenn die Expertengruppe vielleicht zu grosse Hoffnungen in das kaum erprobte Instrument von bedingten Wandelanleihen (sogenannte CoCos) setzt, wird mit dem vorgeschlagenen Massnahmenpaket ein erster wichtiger Schritt unternommen, um das Bankengeschäft weniger krisenanfällig zu machen. Mit Blick auf die internationalen Diskussionen ist es sogar recht ambitiös und setzt einen hohen Benchmark.
Dieser Artikel erschien in «Die Volkswirtschaft» vom 21. Dezember 2010.