Wenn im Sommer die Sonne scheint und immer mehr Solaranlagen Strom ins Netz einspeisen, scheinen die winterlichen Sorgen um die Versorgungssicherheit weit weg. Doch der Solarboom bringt auch Probleme mit sich, denn wie schon Paracelsus sagte: «Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.»

Nach wie vor müssen sich die Betreiber von Solaranlagen wenig um die Nachfrage kümmern. Es bestehen weiter Anreize, möglichst viel Strom einzuspeisen – unabhängig davon, ob er gebraucht wird oder nicht. Der weiterhin stark subventionierte Zubau von Solaranlagen stellt auch für die Netze eine Herausforderung dar.

Der erste Teil dieses zweiteiligen Blogs widmete sich der Frage, ob und wie überschüssiger Strom für den Winter gespeichert werden kann. Dabei wurde deutlich, dass eine vollständige Übertragung nicht ohne weiteres möglich ist. Kann der Strom nicht für den Winter gespeichert werden, gibt es aber ein Problem: Wird Strom ins Netz eingespeist, ohne dass eine entsprechende Nachfrage besteht, drohen Netzüberlastungen. In der Fortsetzung geht es deshalb um die Frage, welche Massnahmen konkret Abhilfe schaffen könnten.

Sein oder Marktdesign

Kurzfristig kann das Problem über Preisanreize gemildert werden. Man will damit zweierlei erreichen: Strom soll zum einen dann verbraucht werden, wenn er im Überfluss vorhanden ist. Zum anderen sollen Besitzer von Solaranlagen dazu angehalten werden, das Netz nicht zu überlasten, sondern dann einzuspeisen, wenn der Strom knapp wird.

In Australien hat der Netzbetreiber Ausgrid an der Ostküste im Juli ein pragmatisches Modell für die Netztarife eingeführt. Für jede Kilowattstunde, die zwischen 10 und 15 Uhr in sein Netz eingespeist wird, zahlt der Anlagebetreiber (ab einem bestimmten freien Kontingent) eine Strafe von 1.2 Cent pro Kilowattstunde. Dagegen werden Einspeisungen aus Batterien zwischen 16 und 21 Uhr vom Netzbetreiber mit 2,3 Cent belohnt.

Die Netztarife sind ein Teil, der in den Strompreis eingeht, den die Verbraucher bezahlen. Der andere ist der reine Preis für Strom, wie er sich an der Börse bildet. Hohe Preise signalisieren Knappheit, tiefe oder gar negative Preise zeigen dagegen Überfluss an. Die meisten Verbraucher in der Schweiz haben jedoch kaum einen Anlass, auf Preissignale zu reagieren. Sie werden nämlich von ihrem Stromversorger zu einem im Vorjahr festgelegten Preis beliefert. Es lohnt sich in diesem Fall nicht, dann die Waschmaschine laufen zu lassen oder das Elektroauto zu laden, wenn der Strompreis an der Börse gering oder sogar negativ ist.

Negative Preise im Schweizer Strommarkt: 2024 wurden bis 20. August schon 244 Stunden mit negativen Strompreisen gezählt.

Dynamische Stromtarife könnten hier Abhilfe schaffen. Eine Lösung, die auch im Winter, wenn Strom eher knapp ist, sinnvoll sein könnte, sind sogenannte Profilverträge. Bei diesen kauft der Kunde ein definiertes Verbrauchsprofil ein. Dabei orientiert er sich daran, was er typischerweise über den Tag an Strom bezieht. Wenn der Kunde mehr verbraucht als in seinem Profil vorgesehen, bezahlt er. Wenn er weniger braucht, erhält er eine Rückerstattung – beides in der Höhe des Spotpreises. Damit hat er die Möglichkeit, seinen Konsum dann zu drosseln, wenn der Strom knapp ist, weil er dann eine hohe Entschädigung erhält. Umgekehrt lohnt es sich, das Elektroauto aufzuladen, wenn der Strom günstig ist.

Die Fäden im Netz ziehen

Wenn die Netze an Grenzen stossen, wäre die «einfachste» Lösung ein massiver Ausbau. Doch das ist leichter gesagt als getan – und sehr teuer.

Ein Problem: Für die Produzenten von Solarstrom spielt es bisher keine Rolle, ob eine neue Produktionsanlage an einem netztechnisch bereits gut erschlossenen Standort errichtet wird oder ob zusätzliche Investitionen in den Leitungsbau nötig sind. Die Kosten können von den Stromversorgern einfach auf die Verbraucher umgelegt werden. Eine stärkere Berücksichtigung des Verursacherprinzips beim Netzausbau gilt es deshalb in Betracht zu ziehen.

Hilfreich könnten auch zeitvariable Netzentgelte sein, die Anreize für eine gleichmässigere Auslastung des Stromnetzes schaffen. Ähnlich wie dynamische Stromtarife könnten sie dazu beitragen, den Verbrauch in Zeiten hoher Erzeugung gezielt zu fördern. In der Schweiz gibt es erste Stromversorger, die entsprechend die Netztarife zeitlich staffeln.

Um Ansätze dieser Form umsetzen zu können, müssen die Netzbetreiber aber jederzeit genau wissen, was im Netz passiert. Notwendig dafür sind sogenannte «Smart Meter». Das Gesetz verlangt, dass bis 2027 80 Prozent aller Haushalte mit einem Smart Meter ausgestattet sind. Der Anteil lag 2023 erst bei 26 Prozent, wobei die einzelnen Energieversorgungsunternehmen (EVU) sehr unterschiedlich weit sind.

Erst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, können auch Speicher im Sinne des gesamten Energiesystems eingesetzt werden, da so eine Optimierung entlang von Netz und Nachfrage erfolgen kann. Ansonsten werden Speicher einzig für den Eigenverbrauch ausgerichtet, was nur deren Besitzer freuen wird. Solche Speicher beginnen, sich sofort aufzuladen, sobald die Sonne scheint und der Besitzer weniger verbraucht als er produziert. Irgendwann sind sie voll – häufig zur Mittagszeit. Ab dann wird der Strom wieder ins Netz abgeben, genau dann, wenn der Markt bereits mit Strom übersättigt ist. In diesem Fall könnte es sogar besser sein, ganz auf eine Batterie zu verzichten.

Anpassung der Förderung

Die Zunahme der Negativpreisstunden zeigt, dass die Förderung der Erneuerbaren nicht optimal erfolgt. Am besten wäre eine konsequente CO₂-Bepreisung. In diesem Fall würde sich der Einsatz aller CO2-freien Energieträger stärker lohnen als heute und würde sich eine spezielle Förderung weitgehend erübrigen.

Doch der Widerstand gegen eine breite CO2-Abgabe ist gross, weshalb die meisten Staaten erneuerbare Energien fördern. Wie die Stromschwemme im Sommer zeigt, geht diese Förderpolitik allerdings mit schwerwiegenden Nebenwirkungen einher. Hält man an der Förderung fest, sollte sie zumindest möglichst wenig Begleiterscheinungen aufweisen. Entscheidend sollte sein, dass die Betreiber von Solaranlagen ein Interesse daran haben, dann Strom ins Netz einzuspeisen, wenn er auch gebraucht wird und somit etwas wert ist.

In diese Richtung geht ein vor allem in Deutschland und in der EU diskutiertes Instrument für grössere PV- oder Windanlagen, sogenannte «Financial»CfD (contract for difference). In Australien existiert dieses Modell bereits seit mehreren Jahren unter dem Begriff «Proxy Revenue Swap». Förderinstrumente, die versuchen, eine möglichst marktnahe Produktion auszulösen, haben jedoch den Nachteil, dass sie sehr schnell einen hohen Komplexitätsgrad erreichen.

Zudem ist zu hinterfragen, inwieweit die Subventionierung von kleineren Dach- und Fassadenanlagen (die stark zur Stromschwemme im Sommer beitragen) noch sinnvoll ist, wenn zum einen der Wert des Stroms in vielen Stunden negativ wird und zum anderen die Mitnahmeeffekte hoch sind – also, wenn Förderungen vergeben werden, obwohl die Anlage auch ohne gebaut worden wäre. Garantierte Rückspeisevergütungen, wie sie im Mantelerlass beschlossen wurden, gehen dabei in die falsche Richtung – auch sozialpolitisch: Sie führen zu einer Umverteilung von Kunden ohne Solaranlage zu Kunden mit Solaranlage und somit häufig zu Hausbesitzern, die zusätzlich noch durch eingesparte Netzkosten profitieren.

Einfach mal abschalten

Schliesslich bleibt die Möglichkeit, Anlagen abzuriegeln und damit Netzüberlastungen zu vermeiden. So könnten die PV-Besitzer ihrem Stromversorger einräumen, die Einspeisung zum Beispiel auf 60 Prozent der Maximalleistung zu beschränken. Dennoch gingen dadurch nur etwa 6 Prozent des Ertrags verloren, weil Solaranlagen nur selten die volle Leistung bringen. Zugleich sind das die Zeiten, in denen sie das Netz zu überlasten drohen. Kann man die Produktionsspitzen kappen, lässt sich der Ausbau des Netzes geringhalten. So spart man Kosten.

Ein wichtiger Hebel für die Einführung intelligenter Lösungen wäre eine vollständige Marktöffnung. Sie würde einen Schub für neue Geschäftsmodelle von Stromversorgern und Drittanbietern auslösen. Im Monopol gefangene Haushalte und kleinere Firmen hätten die Möglichkeit, einen Versorger zu wählen, der das für sie passende Modell anbietet.

Auch diesen Sommer gab es in den sozialen Medien regelmässig Jubelmeldungen über neue Solarstrom-Rekorde. Doch die sommerliche Stromschwemme hat wie gezeigt auch Schattenseiten und löst das Winterstrom-Problem nicht. Dabei verfolgt die Energiepolitik eigentlich drei Ziele: Strom soll das ganze Jahr sicher verfügbar, bezahlbar sowie CO2-frei sein. Wenn man den Fokus einseitig auf die Produktion von Solarstrom richtet, droht man die Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit aus den Augen zu verlieren.

Teil 1: Das Schweizer Sommerstrom-Problem