Die Lebenserwartung im Alter 65 ist seit Einführung der AHV 1948 um 50 Prozent (sieben Jahre) gestiegen. Zudem geniessen Rentner zwei Jahre mehr bei guter Gesundheit als vor zwanzig Jahren. Dennoch wurde das Rentenalter nie angehoben. Die Finanzierung unserer Vorsorge ist dadurch gefährdet. Beispiele aus dem Ausland zeigen auf, wie die Schweiz das Rentenalter erhöhen oder sogar aufheben kann.
Wir leben länger, das ist wohl eine gute Nachricht. Dennoch führen die Steigerung der Lebenserwartung, zusammen mit einer Reduktion der Geburtenrate zur Alterung der Gesellschaft. Standen 1948 noch sechs Personen in erwerbsfähigem Alter einem Rentner gegenüber, so sind es heute 3,4. Ohne Gegenmassnahmen wird dieser Altersquotient bis 2040 auf ungefähr zwei fallen. Die Finanzierung im Umlageverfahren der AHV steht deshalb vor massiven Herausforderungen. Auch sind Renten aus der beruflichen Vorsorge tangiert, sollte der Umwandlungssatz unverändert bleiben.
Renten kürzen?
Drei Möglichkeiten können eine nachhaltige Finanzierung der Altersvorsorge sichern: Renten kürzen, mehr sparen oder länger sparen. Rentenkürzungen haben politisch kaum Chancen, dies hat die Umwandlungssatz-Abstimmung im März 2010 gezeigt. Mehr sparen führt zu kleineren verfügbaren Einkommen der erwerbsfähigen Bevölkerung. Höhere Lohnbeiträge erhöhen die Lohnnebenkosten und bewirken eine Verschlechterung der Standortattraktivität der Schweiz. Folglich müssen wir länger sparen, was einer Erhöhung des Rentenalters gleichkommt.
Rentenalter im Vergleich
Die Schweiz steht mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 82,3 Jahren sehr gut da. Sie wird innerhalb der OECD nur von Japan (83 Jahre) übertroffen. Dennoch stossen hierzulande politische Vorstösse zur Erhöhung des Rentenalters auf heftigen Widerstand. Ein anderer Trend lässt sich in zwölf OECD-Ländern beobachten (siehe Abbildung), die eine Erhöhung des Pensionsalters auf 67 bzw. 68 Jahre entweder beschlossen oder sogar bereits umgesetzt haben. In allen zwölf Ländern liegt die Lebenserwartung mindestens fünf Monate tiefer als in der Schweiz und der Anteil der Bevölkerung im Landwirtschafts-, Bau- und Industriesektor, der eine stärkere körperliche Abnützung mit sich bringt, ist meistens höher. Eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit in der Schweiz – gleich lang für Männer wie für Frauen – drängt sich deshalb auf. Wie kann dieses politisch heikle Vorhaben realisiert werden? Ein Blick ins Ausland lässt drei Optionen erkennen.
Schrittweise erhöhen
Jede grosse Reise beginnt mit einem ersten Schritt. Nach diesem Motto wird in Deutschland das Rentenalter in Monatsschritten auf 67 Jahre erhöht. Dadurch müssen Arbeitnehmer, die kurz vor der Pensionierung stehen, ihre Arbeitszeit nur um wenige Monate verlängern. Jüngere Arbeitnehmer haben mehr Zeit, um sich auf die neuen Verhältnisse einzustellen. Dieses Vorgehen ist nicht nur fair, sondern berücksichtigt die Tatsache, dass ältere, von Reformen unmittelbar betroffene Bürger überproportional an Abstimmungen teilnehmen.
An Lebenserwartung koppeln
Automatismen in Gesetzen können helfen, Blockaden bei schwierigen Entscheiden vorwegzunehmen. Die Politik kann bereits heute festlegen, wie das Rentenalter bei demographischen Veränderungen anzupassen ist. So wird Dänemark das Rentenalter ab 2027 automatisch an die Lebenserwartung koppeln. Die Politik bleibt dabei Kontrollinstanz. Sie bestimmt, wann und wie auf Veränderungen zu reagieren ist. Sie schützt sich jedoch vor den Stimmen der Sirenen, die bei Veränderungen nach dem Status quo rufen.
Altersguillotine abschaffen
Veränderte Erwerbsbiografien, die höhere Lebenserwartung bei guter Gesundheit und die absehbaren Engpässe auf dem Arbeitsmarkt machen das Konzept eines gesetzlich fixierten Rentenalters obsolet. Es schränkt die Optionen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber ein. Schweden hat daraus die Konsequenzen gezogen und das starre ordentliche Rentenalter abgeschafft. Dabei wurde gesetzlich nur eine Untergrenze für die Frühpensionierung vorgegeben. Je später die Pensionierung erfolgt, desto höher fällt die Rente aus. Das System sieht auch Teilrenten vor, um eine graduelle Reduktion des Arbeitspensums zu ermöglichen.
Ein solches Modell ermöglicht jedem Mitarbeiter, sein Rentenalter nach seinen eigenen Präferenzen und persönlicher Finanzsituation zu bestimmen. Für manche ist der frühzeitige übertritt in den Ruhestand wichtig. Andere legen Wert auf eine höhere Rente. Für sie sollte die Möglichkeit bestehen, über das heutige ordentliche Rentenalter hinaus zu arbeiten. Die Aufhebung einer willkürlichen gesetzlichen Altersguillotine schüfe die notwendige Flexibilität. Das Rentenalter wäre dem Einzelnen frei überlassen und nicht mehr vom Staat vorgeschrieben. Mitarbeiter und Arbeitgeber würden auf gleicher Augenhöhe den Zeitpunkt und die Modalitäten des Übergangs in den Ruhestand vereinbaren.
Dieser Artikel erschien im Magazin «Die Politik» vom 19.04.2013 unter dem Titel «Länger Leben, Länger Arbeiten».