Industriepolitik feiert international ein Comeback. Als Antwort auf gestiegene geopolitische Spannungen, den Klimawandel oder Bedenken um die eigene Wettbewerbsfähigkeit gewähren Regierungen weltweit Subventionen in bisher unvorstellbarem Umfang. Allein 2023 beliefen sich diese auf über 1700 Milliarden US-Dollar. Damit ist ein politisches Versprechen verbunden: Eine starke einheimische Industrie schafft die Basis für höheren Wohlstand, eine intakte Umwelt und mehr Sicherheit.
Doch kann Industriepolitik die Versorgungssicherheit garantieren? Ist damit der Klimawandel zu bewältigen? Und braucht es Industriepolitik, damit die einheimische Wirtschaft gegenüber dem Ausland über «gleich lange Spiesse» verfügt? Diesen Fragen gehen Lukas Schmid, Laurenz Grabher und Tim Schäfer in der neusten Avenir-Suisse-Studie unter dem Titel «Zeit für Industriepolitik?» nach.
Grundsätzliche Bedenken
Es gibt grundsätzliche Einwände gegen einen Staat, der grosse Projekte anschiebt und in unternehmerische Entscheide eingreift. Will die Politik förderungswürdige Firmen identifizieren oder auf bestimmte Technologien setzen, kann sie auf wesentlich weniger Informationen zurückgreifen als die Vielzahl von Unternehmen im Wettbewerb. Private verfügen über ungleich höhere Chancen, bei der Identifizierung künftiger Märkte und Technologien die richtigen Entscheide zu treffen.
Zudem unterliegt staatliche Förderung – sei es für vermeintliche Zukunftstechnologien oder alteingesessene Branchen – stets dem Risiko, von den Interessen der Begünstigten vereinnahmt zu werden. Damit geht Industriepolitik mit Ineffizienzen einher und läuft Gefahr, Einzel- über Gesamtinteressen zu stellen.
Industriepolitik erhält auch in der Schweiz Auftrieb
Wie Avenir Suisse darlegt, zeigt die Schweiz zwei Gesichter in Sachen Industriepolitik. Auf die im Ausland verbreitete Förderung von Schlüsseltechnologien hat sie bisher verzichtet. Allerdings gibt es – zusätzlich zu bekannten Subventionssündenfällen wie im Tourismussektor – derzeit problematische Entwicklungen, die auf eine Förderung ausgewählter Industriebranchen abzielen.
Den damit einhergehenden Partikularinteressen gilt es zu widerstehen. Gerade weil die Politik den Strukturwandel in der Industrie seit der Jahrtausendwende nicht mit unnötigen Eingriffen aufgehalten hat, ist der Werkplatz Schweiz bis heute von einer Deindustrialisierung verschont geblieben.
Sollte sich der industriepolitische Trend hierzulande ausweiten, empfiehlt sich ein Blick zurück in die eigene Vergangenheit. Denn die Wirtschaftsgeschichte der Schweiz offenbart zahlreiche industriepolitische Abenteuer, die allesamt gescheitert sind. Im 20. Jahrhundert führten Preisabsprachen und Marktabschottung während Jahrzehnten zu höheren Preisen für die Konsumenten und lähmten die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. Zudem verkalkulierte sich der Bund bei der Förderung von Zukunftstechnologien – wie in der Studie ausführlich dargelegt wird, etwa bei der Entwicklung eines Schweizer Atomreaktors in den 1960er Jahren.
Für wenige statt für alle
Industriepolitik hilft primär den politisch begünstigten Firmen oder Branchen auf Kosten von Wettbewerbern, Konsumenten und Steuerzahlern. Einmal eingeführt, ist sie nur schwer rückgängig zu machen, da die Interessen der Begünstigten sehr mächtig werden können. Zudem bremsen derartige Eingriffe Innovationen und verzerren den Wettbewerb. Für Lukas Schmid, Co-Autor der Studie ist deshalb klar: «Industriepolitik ist für die Schweiz kein gangbarer Weg in eine prosperierende Zukunft. Die Schweiz muss vielmehr durch eine hohe Standortqualität und die Pflege wirtschaftlicher Rahmenbedingungen ein attraktiver Standort bleiben.»
Die mit Industriepolitik angestrebten Ziele können effizienter erreicht werden. Für den Klimaschutz wäre mehr gewonnen, wenn alle Subventionen für fossile Energieträger (diese betragen zurzeit 260 Franken pro Kopf und Jahr) und verzerrende Entlastungen zugunsten energieintensiver Unternehmen (z.B. die CO2-Abgabebefreiung) aufgehoben würden. Schliesslich sollte der CO2-Ausstoss bepreist und an die Bevölkerung rückvergütet werden.
Zur Wahrung der Versorgungssicherheit gilt es, das bestehende System der Pflichtlager im Inland zu optimieren. Zudem ist von Seiten Privatwirtschaft die Reduktion einseitiger Abhängigkeiten durch besser verteilte Wertschöpfungsketten wünschenswert. Diese ist indes schon längst im Gang. Es ist daher nicht nötig, in den Förderwettlauf um Schlüsseltechnologien einzusteigen.