Die russische Invasion in die Ukraine und damit die kriegerische Auseinandersetzung zwischen zwei Nationen stellen eine Zäsur für die europäische Nachkriegsordnung dar. Doch seit längerem werden Konflikte auch zunehmend unterhalb der eigentlichen Kriegsschwelle in «hybrider» Form ausgetragen. Die Schutzwirkung des geografischen und politischen Umfelds der Schweiz lässt nach.
Die Risiken, denen unser Land heute ausgesetzt ist, lassen sich allerdings nicht ausschliesslich mit militärischen Mitteln kontrollieren: (kriminelle) Cyberangriffe, Pandemien, Strommangellagen, ein Ausfall des Mobilfunknetzes oder terroristische (Drohnen-)Angriffe gehören dazu. Unkonventionelle Szenarien wie Cyberangriffe auf militärische oder andere kritische Infrastrukturen gewinnen gegenüber konventionell bewaffneten Bedrohungen an Bedeutung. Dies legt die neuste Avenir-Suisse-Studie «Perspektiven der Sicherheitspolitik» von Lukas Rühli und Lisa Rogenmoser dar.
Gezieltere Ausrichtung der Armeeinvestitionen an Bedrohungslagen
Entgegen diesen neuen Bedrohungsmustern ist in den nächsten zehn Jahren im Rahmen der materiellen Kompletterneuerung der Armee ein Grossteil der Neuinvestitionen für konventionelle Mittel angedacht. Für die Stärkung der Cyberverteidigung ist dagegen nur ein vergleichsweise kleiner Anteil des Budgets vorgesehen.
Angesichts der komplexen und vielfältigen Bedrohungslage stellt es für die Schweiz als kleines Land eine Herausforderung dar, sich angemessen gegen alle erdenklichen Bedrohungen zu wappnen. Statt alleine Budgeterhöhungen zu fordern, ist auch ein pragmatischer Umgang mit unvermeidbaren Trade-offs angezeigt. Weiter an Wichtigkeit gewinnt eine transparente Lagebeurteilung sowie eine Mittelallokation, die aktuelle und künftig plausible Bedrohungsbilder konsequenter priorisiert.
Ein konventioneller Konflikt auf Schweizer Boden ist weiterhin wenig plausibel. Falls ein solcher stattfinden würde, dann würde diese Bedrohung mit grosser Sicherheit nicht die Schweiz isoliert betreffen, sondern Mitteleuropa als Kollektiv. Daher ist dem Aspekt der transnationalen Kooperation eine höhere Bedeutung beizumessen.
Unsere fünf Thesen zur Weiterentwicklung der schweizerischen Landesverteidigung lauten:
- Die Schweiz sollte sich bei den geplanten Neu- und Erneuerungsinvestitionen am Boden konsequenter an den wahrscheinlichen Bedrohungsbildern orientieren. Leichte und mobile Mittel, um unkonventionellen Bedrohungen zu begegnen, dürfen nicht vernachlässigt werden.
- Die Kampfjets F-35A sind spezifisch für Einsätze in einem militärischen Verbund (der Nato) konzipiert. Um ihr Potenzial voll auszuschöpfen, ist die transnationale Militärkooperation auszubauen, beispielsweise durch die Teilnahme an Nato-Übungen. Es gilt daher, neutralitätspolitische Fragen zu klären.
- Die Schweizer Cybersicherheit muss erhöht werden – sowohl jene des Militärs als auch jene der kritischen Infrastrukturen. Bei der Abwehr von nicht kriegerischen Cyberangriffen ist die Armee weiterhin nur subsidiär einzusetzen. Für Betreiber kritischer Infrastrukturen sollte der Bund Systemredundanzen, Backup-Konzepte und Meldepflichten (bei Cyberattacken) vorschreiben.
- Allfällige Fähigkeitslücken, z.B. in den mechanisierten Verbänden, könnten durch stärkere transnationale militärische Kooperation kompensiert werden.
- Beim geplanten Fähigkeitsdialog mit dem Parlament sollte die Armee mehr Transparenz in der Lagebeurteilung schaffen und Bedrohungsszenarien so detailliert wie möglich darlegen.
Internationale Vorbilder
Die sicherheitspolitischen Strategien anderer europäischer Länder können interessante Anhaltspunkte für die Schweiz liefern. Das Vereinigte Königreich plant beispielweise eine Schwerpunktverschiebung von robusten Mitteln wie schweren Panzern zu Technologien wie Cyberabwehr und Drohnen mit künstlicher Intelligenz. Finnland und Schweden zeigen, dass kleine und neutrale, bzw. blockfreie Länder angesichts konventioneller Bedrohungen ihre Verteidigungsstrategien hin zu mehr transnationaler Kooperation ausrichten müssen. Die Verteidigung im Ernstfall ist im Verbund am effizientesten, weshalb die Fähigkeiten vorab eingeübt und aufgebaut werden müssen.
Mit einer Strategie, die die Mittel bedarfsorientiert aufgrund tatsächlicher Risiken und Bedrohungen auf die sicherheitspolitischen Instrumente verteilt, kann die Schweiz auch in einer unsichereren Zukunft einen effektiven Schutz ihrer Einwohnerinnen und Einwohner gewährleisten.