Über ein Drittel der Kosten im Schweizer Gesundheitssystem geht auf die Spitäler zurück, die ihrerseits stark politischem Einfluss und Partikularinteressen ausgesetzt sind. Mit einer Dreifach-Therapie könnte der Wettbewerb im Sektor neu belebt und das Preis-Leistungs-Verhältnis verbessert werden. In der neuen Publikation fordert Avenir Suisse transparente Vergabeprozesse von gemeinwirtschaftlichen Leistungen, neue Versicherungsmodelle dank Einbezug der Patienten sowie die Abschaffung der kantonalen Spitallisten.
Das Schweizer Gesundheitssystem ist zwar sehr gut, seine Kosten relativ zum Bruttoinlandprodukt aber hoch, sie werden international nur noch durch die USA übertroffen. 2015 waren es 77,7 Mrd. Fr. bzw. 782 Fr. pro Kopf und pro Monat. 35% der Gesundheitskosten fallen in den Schweizer Spitälern an. Es lohnt sich also, die bisherigen Reformanstrengungen in diesem Sektor unter die Lupe zu nehmen.
Mit der Einführung der Neuen Spitalfinanzierung im Jahr 2012 wurden wichtige Wettbewerbselemente in der Branche eingeführt: Seither können die Patienten das Spital in der ganzen Schweiz frei wählen, meistens auch zwischen öffentlichen und privaten Einrichtungen, und die Entschädigung der Spitäler erfolgt mit Fallpauschalen. Erfreulicherweise blieb die hohe Qualität der Schweizer Spitäler in der Folge nicht nur erhalten, sondern erhöhte sich sogar leicht. Das Kostenwachstum ging zwar leicht zurück, konnte jedoch nicht, wie ursprünglich erwartet, gebremst werden. Auch die gewünschte Spezialisierung der Spitäler auf einzelne Leistungsgruppen ist ausgeblieben. Wenig Transparenz über die Qualität der Leistungen, restriktive Aufnahmekriterien für die Spitallisten und intransparente Subventionen der Kantone zählen zu den Ursachen dieser Entwicklung. Das neue Avenir Suisse-Strategiepapier von Jérôme Cosandey, Noémie Roten und Samuel Rutz plädiert deshalb für eine dreiteilige Therapie im Spitalwesen:
- Mehr Transparenz bei den Subventionen: Der Vergabeprozess der sogenannten gemeinwirtschaftlichen Leistungen (GWL) muss transparenter und fairer gestaltet werden, sei dies durch Ausschreibungen oder die explizite Zustimmung des jeweiligen kantonalen Parlaments. Allein 2015 wurden durch die Kantone 1,8 Mrd. Fr. Subventionen in der Form von GWL vergeben, bei teils sehr unterschiedlichen kantonalen Vorgehensweisen. Während der Kanton Zug 2015 nur 8 Fr. pro Einwohner ausgab, waren es 947 Fr. im Kanton Genf. 97% der GWL kamen öffentlichen Spitälern zu Gute, was nicht zuletzt den Wettbewerb zwischen Privatspitälern und öffentlichen Spitälern verzerrt.
- Aktiver Einbezug der Patienten: Patienten – also die Endkunden – sollen mitreden dürfen. Mit neuen Versicherungsmodellen, bei denen die Krankenkassen ihre Patienten vor Spitaleingriffen beraten, werden die Versicherten für Qualitäts- und Kostenunterschiede sensibilisiert. Wählen sie ein günstigeres, aber qualitativ gleichwertiges Angebot, werden sie für die resultierenden Kosteneinsparungen mit einer Gutschrift oder tieferen Prämien belohnt.
- Abschaffung der kantonalen Spitallisten: Schweizweit gültige Qualitätsstandards sollen die kantonalen Spitallisten ersetzen. Sie werden auf wissenschaftlicher Basis durch eine finanziell und politisch unabhängige Organisation – eine Schweizer Agentur für Spitalqualität – ermittelt und kontrolliert. Alle Spitäler, die die Kriterien erfüllen, dürfen ihre Leistungen der Krankenkasse und dem Wohnkanton des Patienten verrechnen. Der Bund legt explizit nicht fest, wo welche Spitäler zu betreiben sind. Die Kantone bleiben aber für die Versorgung zuständig, wie es bereits in anderen Bereichen der Gesundheitspolitik erfolgreich praktiziert wird (Apotheken, Arztpraxen, Spitex). Sofern der Markt die gewünschten Leistungen in ihrem Einzugsgebiet nicht hervorbringt, können die Kantone subsidiär auf regionale Bedürfnisse mit der Vergabe von gemeinwirtschaftlichen Leistungen eingehen.
Beweglichkeit für öffentliche Spitäler
Verlieren die Kantone die Möglichkeit, die eigenen Spitäler vor der Konkurrenz zu schützen und verschärft sich der Wettbewerb durch zunehmende Transparenz sowie ein höheres Kostenbewusstsein der Patienten, drängt sich eine Verselbständigung und letztlich eine Privatisierung der öffentlichen Spitäler auf. Diese brauchen mehr unternehmerische Flexibilität, um sich in einem zunehmend kompetitiven Umfeld behaupten zu können. Verselbständigung bedeutet dabei primär die Schaffung von klaren Corporate-Governance-Strukturen, in erster Linie eine Entpolitisierung der Aufsichtsgremien und Geschäftsleitungen. Auch die Wahl der Rechtsform kann einen Beitrag zur Verselbständigung leisten. Wichtig ist zuletzt, dass die Spitäler frei über ihre Immobilien verfügen und ihre Betriebsstandorte selber definieren können.