Topthema an Lehrmeistertagen und gewerblichen Bildungsanlässen ist derzeit die zunehmende Schwierigkeit, geeignete Lehreinsteiger zu rekrutieren. Der Rückgang der Jugendjahrgänge hat eingesetzt, der «Kampf um die Talente» ist vom Schreckgespenst zur Realität geworden. Obwohl diese Entwicklung lange absehbar war, trifft sie viele Betriebe mehr oder weniger unvorbereitet. Zwischen den Lehrberufen gibt es allerdings sehr grosse Unterschiede. Schwierig ist die Situation bei den technischen Berufen in der Industrie und im Gewerbe, wo sich gemäss Lehrstellenbarometer 2011 nur noch fünf Bewerber für eine Lehrstelle melden, während KV- und IT-Lehrbetriebe noch immer unter 20 Anwärtern wählen können.
Nur die Frauen lassen die Maturaquote steigen
Die Anziehungskraft der Gymnasien ist tatsächlich ungebrochen. Das äussert sich unter anderem in steigenden Anmeldungen an die Aufnahmeprüfungen. Im Kanton Zürich versuchten in diesem Jahr fast 3‘600 Jugendliche den Sprung ins Langzeitgymnasium, das entspricht immerhin 28% des Jahrgangs. Allerdings wurde nur gut die Hälfte davon aufgenommen. Das Interesse manifestiert sich jedoch – entgegen anders lautender Behauptungen – nicht in einer drastischen Zunahme der Maturitätsquote. Sie hat sich im Schweizer Mittel innert 10 Jahren eher gemächlich der 20%-Marke genähert. Im Kanton Zürich ist die Entwicklung seit 1998 eher rückläufig. Die wahre Zäsur fand in den 1980er Jahren und Anfang der 1990er Jahre statt.
Ins Auge sticht aber die sich öffnende Geschlechterschere. Der Anstieg der Quote seit etwa Mitte der 1990er Jahre ist ausschliesslich darauf zurückzuführen, dass sich immer mehr Mädchen für eine längere Allgemeinbildung entscheiden. Die Männerquote liegt mit 16,4% (2010) hingegen noch immer auf dem Stand von 1994.
Ursachenforschung tut not
Diese Zahlen zeigen, dass die Mittelschulen nicht generell für den Lehrlingsmangel verantwortlich gemacht werden können. Trotz aller Anstrengungen für mehr weibliche MINT-Fachkräfte ist der technisch-industrielle Nachwuchs noch immer fast ausschliesslich männlich. Angesichts der konstanten Quote der Männer kann nicht argumentiert werden, dass die männliche Jugend von der Berufsbildung an die Gymnasien abwandert. Die Gründe liegen anderswo. Möglich ist, dass sich die Vorlieben der Jugendlichen in Richtung der Dienstleistungen verschieben. Zu hören ist auch, dass sich in den anspruchsvollen Berufen eine Lücke zwischen Anforderungen und Vorwissen auftut. Unklar bleibt aber, von welcher Seite sich der Spalt öffnet.
Kein Trendbruch zu erwarten
Das Hauptszenario des Bundesamtes für Statistik prognostiziert eine Fortschreibung des gegenwärtigen Trends: Die Maturitätsquoten werden weiterhin leicht steigen, keineswegs aber in einem dramatischen Ausmass. Im Jahr 2020 werden gemäss dieser Rechnung 21% erreicht sein, ein Alternativszenario sieht die Quote dann bei gut 22%.
Fazit: Die verständlichen Nachwuchssorgen vieler Lehrbetriebe – besonders in den technischen und gewerblichen Berufen – haben weniger mit den Mittelschulen zu tun als angenommen. Neben dem rein quantitativen Effekt der rückläufigen Jugendkohorten dürften Verschiebungen in den Präferenzen und Reibungsverluste am Übergang zwischen Sekundarschule und Berufslehre am Werk sein. Hier gilt es anzusetzen.