In Bern sein Geld verdienen, aber seine Steuern in Zollikofen bezahlen. In Zug den Lohn, in Steinhausen die Steuern. Wäre es nicht gerechter, einen (kleinen) Teil der Steuern am Arbeitsort abzuliefern? Regelmässig wird das sogenannte «Steuersplitting» zum Thema – derzeit propagiert die Denkfabrik Avenir Suisse diese Idee.
Dafür (Lukas Rühli, Avenir Suisse):
Beim Vorschlag, einen Teil der Steuern am Arbeitsort statt am Wohnort abzuliefern, geht es nicht einfach nur darum, die Zentren für ihre Zentrumslasten zu entschädigen. Das wäre auch mit entsprechenden Finanzausgleichsinstrumenten möglich. Vielmehr soll durch ein Steuer- und Stimmrechtsplitting die Übereinstimmung der Personen, die von einer staatlichen Leistung profitieren, mit jenen, die darüber entscheiden und das Ganze bezahlen – in der Fachsprache nennt man dies «fiskalische Äquivalenz» – erhöht werden.
Die Menschen sind in den letzten 100 Jahren viel mobiler geworden. In der Schweiz, mit ihren kleinen Kantonen und Gemeinden, führt dies dazu, dass ein nennenswerter Teil der staatlichen Leistungen ausserhalb der Wohngemeinde oder gar des Wohnkantons beansprucht wird – Leistungen, die die Pendler nicht bezahlen und über die sie kein Mitspracherecht haben. Das verletzt die fiskalische Äquivalenz, wodurch wiederum die Vorteile von Föderalismus und Gemeindeautonomie gefährdet sind.
Ein einfaches Gedankenspiel verdeutlicht dies: Eine Person, die alle kommunalen Leistungen ausserhalb ihrer Wohnsitzgemeinde beansprucht, wird für letztere einen Steuerfuss von 0 und Leistungen von 0 anstreben. Wären alle Einwohner in dieser Situation, dann würde letztlich keine Gemeinde mehr Leistungen anbieten.
So unrealistisch dieses Szenario sein mag: Es zeigt, wo das Steuer- und Stimmrechtsplitting zwischen Wohn- und Arbeitsort den Hebel ansetzt und was es bezweckt. Damit soll nicht in erster Linie die Gerechtigkeit zwischen Gebietskörperschaften gewährleistet, sondern die Funktionsweise des Föderalismus als Ganzes verbessert werden.
Dagegen (Peter Hegglin, Finanzdirektor des Kantons Zug):
Am Wohnort bezahle ich Einkommens- und Vermögenssteuern, Unternehmen schulden Steuern am Unternehmensstandort. Die grössten Kosten entstehen der öffentlichen Hand am Wohnort durch Schul-, Sozial-, Gesundheitswesen, Kultureinrichtungen und die Versorgung mit Gütern sowie deren Entsorgung. Durch Firmen verursachte Kosten werden durch Unternehmenssteuern am Firmenstandort abgegolten. Zusätzlich werden Zentrumskantone und Kernstädte via Finanzausgleich durch den Soziodemografischen Lastenausgleich unterstützt.
Diese Aufteilung hat sich bewährt. Pendelnde verursachen den Zentren nicht nur Kosten, sie konsumieren am Arbeitsort und kaufen vor Ort ein. Um zusätzliches Steuersubstrat für die Zentrumskantone zu generieren, wird eine Pendlersteuer vorgeschlagen.
Die Pendlersteuer führt einerseits zu einer erheblichen Umverteilung der Finanzflüsse und andererseits zu einer massiven Verkomplizierung des Steuersystems. So müssten das persönliche Einkommen und natürlich die möglichen Abzüge nach Arbeitsort aufgeteilt werden. Unter diesen Voraussetzungen wäre eine Steuerveranlagung nicht mehr mit vernünftigem Aufwand vollziehbar. Es entstünden viele neue Fragestellungen: Wo sind etwa Aussendienstmitarbeitende oder Mitarbeitende der SBB steuerpflichtig?
Um das System schmackhaft zu machen, sollen Pendlerinnen und Pendler am Arbeitsort mitbestimmen dürfen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, wie das bei Pendelnden mit Klein- und Kleinstpensen gestaltet werden soll. Wäre ich an mehreren Orten stimmberechtigt, müssten Gemeinden neben dem Einwohnerregister noch ein Arbeitendenregister mit entsprechenden Meldepflichten führen? Deshalb Nein zu diesem Vorschlag!
Dieser Artikel erschien (ohne Grafik) im Magazin «Zeitlupe» (04/2013).