Wer in Zürich einen grossen Ball für 1000 Gäste organisieren möchte, stösst schnell an unerwartete Grenzen. Ganz anders als in Wien, wo die prunkvollen Redouten-, Zeremonien- und Konzertsäle gleich dutzendweise sinnvoll bewirtschaftet sein wollen, wo man das Taufzimmer der Maria Theresia für das Managerseminar mieten kann und wo die Debütantinnen jedes Jahr in marionettenhafter Manier den Festsaal erstrahlen lassen, sind in der Stadt der Zünfte und der protestantischen Bescheidenheit grosse Prunksäle überaus rar. Schon gar in historischen Gebäuden. Wozu hätte diese republikanische «Handwerkerstadt» auch solche Symbole absoluter Macht brauchen können?
Ein Grund für Traurigkeit? Keineswegs! Auf ihr 1848 institutionalisiertes republikanisches und föderalistisches Wesen inmitten eines für die längste Zeit monarchisch geprägten Europa darf die Schweiz mit Fug und Recht stolz sein. Das hier gepflegte genossenschaftliche und bürgernahe Staatsverständnis und der damit verbundene ausgeprägte Bürgersinn haben sich für die Schweiz als Glücksfall herausgestellt. Während Monarchien zwar steinerne Zeugen ihrer Macht bauten, aber dennoch untergingen, hat der «Sonderfall Schweiz» überdauert und ist noch heute modern, erfolgreich und zukunftsträchtig.
Zum Bürgersinn im helvetischen Staat gehört die Milizidee, also die Vorstellung, dass Bürger und Bürgerinnen sich neben dem Stimm- und Wahlzettel auch mit der Übernahme von Ämtern einbringen sollen. Auf diese Weise bestellt die Schweiz ihre Parlamente und weitgehend auch die Spitzenpositionen in der Armee. Diese Form der Mitbestimmung und der direkten Teilhabe am Staat ist alles andere als selbstverständlich. Die Schweizer sind keine Untertanen, sondern aktive Mitgestalter ihres Landes.
Gleichwohl kommt diese Art des Bürgersinns angesichts von Individualisierung und Globalisierung unter Druck. Dem gilt es entgegenzuwirken. Wenn es nicht gelingt, die Bereitschaft zum Milizengagement auch bei den kommenden Generationen zu mobilisieren, wird die Schweiz ihr Staatswesen an den internationalen Mainstream anpassen müssen. Sie würde damit mutwillig auf ihre DNA verzichten und ein Alleinstellungsmerkmal gefährden. Genauso, wie das einzigartige schweizerische Politikmodell nicht auf andere Länder übertragbar ist, würde nämlich umgekehrt auch die Übernahme eines anderen politischen Systems in der Schweiz kaum zum Erfolg führen.
Ideen für die Weiterentwicklung des Schweizer Milizsystems bietet die neue Avenir-Suisse-Publikation «Bürgerstaat und Staatsbürger». Lesen Sie nächste Woche, warum ihre Offenheit die Schweiz prosperieren lässt.