Die Schweiz ist ähnlich innovativ wie das kalifornische Silicon Valley, wenn auch Risikokapital wesentlich spärlicher fliesst. Deshalb gehen viele Innovationen von bestehenden Firmen aus, während Start-up-Unternehmen wenig neue Arbeitsplätze schaffen. 

Von der dunklen Garagenwerkstätte zum Weltmarktführer: Apple steht wie keine andere Firma für den Innovations- und Unternehmergeist im kalifornischen Silicon Valley. Die Region um San Francisco wird von der ganzen Welt bewundert für ihren wirtschaftlichen Erfolg: Doch was genau macht den Erfolg des Silicon Valley aus?

 

Innovation: In internationalen Patentvergleich liegt die Schweiz weit vorn (Avenir Suisse)

Im Silicon Valley treffen junge Forscher mit Pioniergeist auf Risikokapital und unternehmerische Erfahrung. Weil Erfolg im Silicon Valley reich macht, wirkt die Region wie ein Magnet für Talentierte und Ehrgeizige aus allen Ländern. Es ist gerade dieses Zusammentreffen von Erfindergeist, Risikokapital und dem kommerziellen Know-how, das das Silicon Valley so einzigartig und erfolgreich macht.

Oft kopiert – kaum erreicht

Es gibt kaum ein Land, das nicht versucht hätte, das Innovationsmodell des Silicon Valley zu kopieren und seine eigene Innovationspolitik nach den folgenden fünf kalifornischen Erfolgsfaktoren auszurichten:

  • Hervorragende Universitäten, sowie eine marktnahe, angewandte Forschung
  • Technologietransfer von den Universitäten zum Markt
  • Technologieparks oder anderen Inkubatoren in geographischer Nähe zu den Forschungslabors der Universitäten
  • Ein Umfeld, das Unternehmertum und Wettbewerb lebt, lernt und fördert
  • Aufbau einer eigentlichen Risikokapital-Industrie

Aus heutiger Sicht hat die staatliche Innovationspolitik vieler Länder nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Dagegen belegt die Schweiz in den internationalen Innovationsvergleichen regelmässig einen Spitzenplatz. Aber ist es wirklich bloss die naturgetreue Kopie des kalifornischen Erfolgsmodells, das die Schweiz zu einem der innovativsten Länder der Welt werden liess?

Fehlendes Risikokapital

Vergleicht man die fünf Merkmale des kalifornischen Innovationsmodells mit dem der Schweiz, so zeigen sich viele Parallelen, aber auch wichtige Unterschiede: Die Schweiz hat  im internationalen Vergleich ausgezeichnete Universitäten und Hochschulen. Auch der Technologietransfer  von den Hochschulen in die Wirtschaft funktioniert. Der Austausch zwischen den Branchen, vor allem zwischen der Medizinaltechnik und der Präzisionsindustrie, hat viel zum Erfolg der Schweizer Wirtschaft beigetragen. Die jungen Forscher und angehenden Unternehmer können auch auf fachliche Unterstützung zählen  – aber nicht unbedingt auf Geld, denn ein Element des kalifornischen Erfolgsmodells fehlt in der Schweiz: Das Risikokapital.

Eine Folge davon ist, dass zwar genügend Start-up-Unternehmen gegründet werden, diese im internationalen Vergleich auch verhältnismässig lange leben, aber Mühe haben, zu wachsen. Der Anteil neugegründeter Unternehmen, die im Verlauf ihrer Karriere den Schritt an die Börse wagen werden (sog. IPO), ist im internationalen Vergleich gering. Ausserdem schaffen Schweizer Jungunternehmen vergleichsweise wenig neue Stellen.

Teure Patente

Es gibt in der Schweiz keinen staatlichen Innovations-Masterplan. Anders als in Deutschland, Frankreich, Grossbritannien oder den USA lanciert der Staat keine grossangelegten Programme in der Raumfahrt, im Verkehrswesen, in der Nukleartechnologie oder in erneuerbaren Energien. Innovationen gehen von den Akteuren selbst aus (Bottom-up-Ansatz), der Staat beschränkt sich weitgehend darauf, günstige Rahmenbedingungen zu schaffen. Öffentliche Gelder fliessen in die Hochschulen und Universitäten, nicht aber in die Privatwirtschaft. Das dürfte mit ein Grund sein, dass aus der Schweiz mehr inkrementelle Neuerungen als der grosse, kapitalintensive Technologiewurf zu erwarten sind. Die Ausnahmen bilden hier die Pharmaindustrie und Medizinaltechnik, in diesen Branchen sind auch die wenigen Risikokapitalgeber in der Schweiz präsent.

Grosse Firmen im Vorteil

Obwohl die Schweiz nur 0,1% der Weltbevölkerung ausmacht, tauchen zwölf Schweizer Unternehmen auf der Liste der weltweit 500 grössten Firmen auf. Dies hat einen grossen Einfluss darauf, wie und wo Innovationen entstehen. So ist die Schweiz auch bei der Anzahl Patente Weltspitze. Der Grund dafür: weil sie teuer sind, verfügen oft nur grosse, börsenkotierte Unternehmen über die finanziellen Mittel, zahlreiche Patente zu registrieren. Dasselbe gilt für den Aufbau eigener Forschungsabteilungen und -programme. Damit übernehmen die Unternehmen Aufgaben, die in anderen Ländern vom Staat wahrgenommen werden.

Der Spitzenplatz auf der Innovationsrangliste täuscht jedoch darüber hinweg, dass die Schweiz punkto Unternehmergeist nicht mit dem kalifornischen Vorbild mitzuhalten vermag: Im Vergleich zur Gesamtzahl Unternehmen pro Kopf fällt sie weit hinter die USA zurück. Das duale Bildungssystem, hohe Löhne und hohe Preise, die florierende Wirtschaft und dadurch tiefe Arbeitslosigkeit dürften allesamt dazu beitragen, dass die bereits etablierten Unternehmen das vorhandene Humankapital weitgehend für sich beanspruchen – und dass viele Berufseinsteiger die sichere Anstellung bei einem bekannten Arbeitgeber dem unsicheren Schritt in die Selbständigkeit vorziehen.

Dieser Artikel erschien am 18. April in «Le Temps»
unter dem Titel «Le modèle suisse de l'innovation».