Die Bundesversammlung hat sich seit den 1970er-Jahren professionalisiert. Darauf deutet neben gestiegenem Arbeitsaufwand, längerer Verweildauer oder steigender Entschädigung auch der Wandel des beruflichen Hintergrunds der Parlamentarier hin.
Der berufliche Hintergrund ist ein aufschlussreiches Merkmal von Parlamentariern. Zum einen lässt nicht jede berufliche Tätigkeit die nötige zeitliche, finanzielle und organisatorische Flexibilität zu, die ein politisches Amt verlangt. Zum anderen ist der Professionalisierungsgrad eines Parlaments umso tiefer, je mehr Parlamentarier im Fall einer Nichtwiederwahl problemlos wieder in den früheren Beruf zurückkehren könnten.
Über die Hälfte der amtierenden Ständeräte in der 49. Legislatur sind Vollzeitpolitiker in der Legislative. Dies zeigt nicht nur der seit den 1970er-Jahren steigende Arbeitsaufwand, sondern auch die Angaben zum Beruf (siehe Tabelle). Es gab zwar bereits in den 1970er-Jahren Vollzeitpolitiker im Ständerat, doch diese waren in der Regel Regierungsräte, die ihren Kanton gleichzeitig im Ständerat vertraten. Diese Ämterkumulation ist praktisch nicht mehr zu bewältigen: Amtierende Regierungsräte oder Stadträte, die in den Ständerat gewählt werden, treten meist aus der Exekutive zurück. Ein wichtiger Grund dafür, dass dennoch fast jeder zweite Ständerat vor der Wahl nach Bern einer kantonalen Exekutive angehörte, sind die Ruhegehaltsregelungen für ehemalige Exekutivmitglieder in den Kantonen. Sie erlauben es den früheren Regierungsratsmitgliedern, vollzeitlich in der Legislative des Bundes tätig zu sein.
Technische Spezialisten und Angestellte auf dem Rückzug
Auch im Nationalrat hat sich die Situation stark verändert. In der grossen Kammer sind zwar immer noch mehr Berufe und Berufsgruppen vertreten als in der kleinen Kammer, doch der Anteil der Nationalräte, die ausschliesslich in der Politik tätig sind, liegt bei über 30%. Die Legislativpolitiker machen unter den Parlamentariern die grösste Berufsgruppe aus. Die zweitgrösste Gruppe sind die selbständig Erwerbenden und die Unternehmer. Dies ist nicht erstaunlich, denn zeitliche Flexibilität ist für politisch Ambitionierte die wichtigste Voraussetzung, um sich engagieren zu können. Wenn zudem auf bereits bestehende Mitarbeiter für administrative Aufgaben oder Recherchetätigkeiten zurückgegriffen werden kann, ist dies ebenfalls ein Vorteil für die politische Karriere. Auch die Landwirte kann man zu dieser Gruppe zählen. Für angestellte Führungskräfte mit grosser Verantwortung in einem Unternehmen ist es hingegen praktisch nicht mehr möglich, ein politisches Amt auf nationaler Ebene auszuüben. Ihr Anteil ist in beiden Kammern deutlich zurückgegangen. Betrug er in den 1970er-Jahren noch 15% beziehungsweise 19%, sind inzwischen nur noch 4% der Parlamentarier höhere Angestellte in einem Unternehmen.
Der Anteil der «soziokulturellen Spezialisten» – Lehrer, Ärzte, Pfleger, Sozialarbeiter und Journalisten – blieb über die Jahre konstant. Technische Spezialisten wie Ingenieure oder Architekten finden sich hingegen nur noch im Nationalrat. Arbeiter und Angestellte auf unteren Stufen sind in der Bundesversammlung praktisch nicht mehr anzutreffen. In den 1970er-Jahren gehörte immerhin noch fast ein Fünftel der Nationalräte zu den Angestellten oder qualifizierten Handwerkern. Zudem sassen damals auch einige Hausfrauen und Rentner sowie Personen aus dem Kunst- und Kulturbetrieb im Parlament. Bei den Personen aus den übrigen Berufen handelt es sich in der 49. Legislatur vor allem um junge Parlamentarier, die am Anfang ihrer beruflichen und politischen Karriere stehen und darum noch keiner anderen Gruppe zugeteilt werden können.
Mehr zu diesem Thema erfahren Sie in dem Buch «Bürgerstaat und Staatsbürger – Milizpolitik zwischen Mythos und Moderne» (Kapitel Sarah Bütikofer: S. 83-102).