Politiker und Ökonomen fast jeglicher Couleur sind sich einig: Die Schweiz ist eine Hochpreisinsel. Nicht wenige Schweizerinnen und Schweizer haben daraus ihre Konsequenzen gezogen. Sie versuchen, sich den hohen Preisen mit zunehmendem Einkaufstourismus ins benachbarte Ausland zu entziehen. Populäre Statistiken bestätigen das Preisgefälle.
Teure Markenprodukte
Im Big-Mac-Index belegt die Schweiz seit Jahren Spitzenplätze. Die vom britischen «Economist» erhobene Kennzahl versucht, das Preisniveau verschiedener Länder anhand des Preises eines weltweit extrem standardisierten Produktes, nämlich des Big Mac, abzubilden. 2014 war dieser nur in Norwegen noch teurer. Im iPad-Mini-Index liegt die Schweiz sogar auf Platz 1. Viele andere Studien kommen zum gleichen Ergebnis. Absolut identische Produkte sind in der Schweiz zum Teil massiv teurer als im benachbarten Ausland. Besondere mediale Aufmerksamkeit erhielten etwa die Nivea-Handcrème oder der Brotaufstrich Nutella.
Vier Verirrungen
Die oft emotional aufgeladene Debatte über bekannte Güter des täglichen Bedarfs führt indessen in viererlei Richtung in die Irre: Angesichts des Bekanntheitsgrades solcher Markenartikel wird meist deren Bedeutung für das allgemeine Preisniveau stark überschätzt. Beispielsweise machen Nahrungsmittel und nichtalkoholische Getränke zusammen nur 7% des für unsere Darstellung relevanten Warenkorbes aus. Da fällt ein einzelner Brotaufstrich kaum stark ins Gewicht.
Viele Leute scheinen zu glauben, nur die importierten Güter seien «überteuert», aber selbstverständlich verkaufen auch Schweizer Hersteller ihre Produkte im Ausland billiger als in der Schweiz.
Oft hört man, die hohen Preise seien den hohen Löhnen geschuldet. Insofern Kosten die Preise beeinflussen, sind es aber nicht die Löhne, sondern die Lohnstückkosten, also Lohnkosten (inkl. Lohnnebenkosten) pro Leistungseinheit, die zählen. Hier bewegt sich die Schweiz in Franken sogar etwas unter dem Durchschnittsniveau der EU. Schliesslich lenkt die Diskussion über gängige Konsumartikel davon ab, dass in der Schweiz nicht nur die Güter des täglichen Bedarfs teurer sind, sondern ebenso jene Güter und Dienstleistungen, die wir kollektiv beim Staat «kaufen». Das zeigt die aufgeführte wirtschaftspolitische Grafik, die das Preisniveau in der Schweiz relativ zu jenem in der EU abbildet.
In ihr wird ersichtlich, dass man im letzten Jahr in der Schweiz für den gleichen Konsum 63% mehr berappen musste als im Durchschnitt der 28 EU-Länder. Einen beträchtlichen Anteil daran hatte die Wechselkursentwicklung. War die Schweiz 2007 nämlich nur um rund 30% teurer, betrug die Preisdifferenz 2013 das Doppelte. Da in dieser Zeit weder die Preise in der Schweiz stark gestiegen noch jene in der EU entsprechend gesunken sind, dürfte der Anstieg weitgehend die Wechselkursentwicklung reflektieren. Darauf deutet auch die Stabilisierung des relativen Preisniveaus seit Einführung der Wechselkursuntergrenze im Jahr 2011 hin.
Hohe Relevanz des Staates
Auffällig ist, dass die staatlichen Güter und Dienstleistungen viel stärker überteuert sind als die privaten. Gemeint sind hier sowohl die staatlichen Leistungen, die nicht gegen direkte, leistungsbezogene Ausgaben der Bürger wie Gebühren oder Eintrittspreise erworben, sondern hauptsächlich über Steuern finanziert werden (etwa öffentliche Sicherheit, Umweltschutz oder allgemeine Verwaltung), als auch jene staatlichen Leistungen, die von den Haushalten individuell konsumiert und bezahlt werden (wie der nichtsubventionierte Kostenanteil eines Theaterbesuchs oder Spitalaufenthalts). Beide zusammen waren selbst im Tiefstpunkt fast 50% teurer als im Ausland, im letzten Jahr erreichte die Differenz dann gar 90%. Ausserdem ist ihr Preisniveau gemessen an dem der EU in den letzten zehn Jahren fast doppelt so rasch gestiegen wie das des privaten Bereichs.
Der Anteil der staatlichen Konsumgüter und Konsum-Dienstleistungen am Gesamtverbrauch dürfte ungefähr 17% ausmachen. Nur die Auslagen für das Wohnen haben in der Schweiz noch grösseres Gewicht, während Bekleidung und Schuhe mit 3% Anteil am Verbrauch vernachlässigbar sind. Trotzdem geben «überhöhte» Preise einer internationalen Kleidermarke viel mehr zu reden als die viel wichtigeren «Preise» des schweizerischen Staates. Weder Konsumentenschützer noch Wirtschaftskreise nehmen den Staat ins Gebet und fordern, dass die Schweiz wenigstens im staatlichen Bereich keine Hochpreisinsel ist.
Teure Fleischprodukte
Das wäre auch deshalb angebracht, weil der Staat mit seinem Agrarprotektionismus, mit Zöllen, Handelshemmnissen und Regulierungen, wesentlich zu den hohen Preisen im privaten Bereich beiträgt. Die gerne verteufelte EU belegt Agrarprodukte im Durchschnitt mit 14% Zoll, die angeblich liberale Schweiz mit 60%. Kein Wunder, dass Fleischprodukte 2013 in der Schweiz beinahe 120% teurer waren.
Wer die Hochpreisinsel Schweiz auf Kosmetika, Nahrungsmittel oder Kleider reduziert, übersieht den Staat als grössten Preistreiber. Dieser treibt mit hochpreisigen Gütern und Diensten das Preisniveau in der Schweiz nach oben und baut mit zahlreichen Regulierungen, einem ungenügenden Kampf für Wettbewerb und der Abschottung der Landwirtschaft wesentlich an der Hochpreisinsel Schweiz mit.
Dieser Artikel erschien in der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 30.8.2014.
Mit freundlicher Genehmigung der «Neuen Zürcher Zeitung».