Will man in der Schweiz eine Kapitalgesellschaft gründen, verlangt das Gesetz ein minimales Kapital – 20 000 Fr. bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) und 100 000 Fr. bei der Aktiengesellschaft (AG) (vgl. Box). Diese Summen werden in der Regel mit dem Gläubigerschutz begründet: Wer in eine Beziehung mit einer Firma tritt, soll je nach Rechtsform wissen, wie viel Gründerkapital eingebracht wurde.
Was auf den ersten Blick einleuchtend klingt, entpuppt sich auf den zweiten als Augenwischerei.
Das Mindestkapital wird nämlich nur bei der Gründung überprüft und ist auch nur dann bindend. Diese Anforderung darf somit nicht mit einer Eigenkapitalvorschrift verwechselt werden, wie sie bei Banken gang und gäbe ist. Das liberierte Kapital muss zwar bei der Gründung vorhanden sein, nachher kann die Gesellschaft aber über dieses Kapital mehr oder weniger nach eigenem Gutdünken verfügen – gerade die 20 000 Fr. bei der GmbH können innert kürzester Frist aufgebraucht werden. Ein gesetzliches Mindestkapital bei der Gründung ist denn auch kaum geeignet, den Gläubigerschutz effizient und effektiv zu stärken.
Wie die Anforderungen an das Gründungskapital ausgestaltet sind
Bei einer GmbH bezeichnet das Stammkapital das Total der von den Gründern eingebrachten Einlagen, bei der Aktiengesellschaft spricht man von Aktienkapital. Bei der AG muss nur 20%, aber mindestens 50 000 Fr. des Aktienkapitals liberiert (also effektiv eingezahlt) sein – für das nicht liberierte Kapital besteht eine Nachschusspflicht der Aktionäre. Das Gründungskapital muss zudem nicht zwingend in bar einbezahlt werden, sondern kann auch in Form von Sacheinlagen (z.B. Maschinen, Fahrzeuge, Warenlager etc.) eingebracht werden.
Im Kern geht es um Informationsasymmetrien
Hinter dem juristischen Konzept des Gläubigerschutzes steckt das ökonomische Konzept der Informationsasymmetrie. Dieses beschreibt einen Zustand, in dem verschiedene Personengruppen nicht über den gleichen Wissensstand verfügen. So wissen beispielsweise die Eigentümer eines Unternehmens mehr über die Rentabilität ihrer Firma als ihre Gläubiger.
In einer solchen Situation können Fehlanreize («moral hazard») entstehen: Die Firmeneigentümer haben einen Anreiz, Informationen vorzuenthalten oder Handlungen vorzunehmen, die nicht im Interesse der Gläubiger sind. Da das die Gläubiger voraussehen, verlangen sie entweder mehr Sicherheiten oder treten gar nicht erst in eine Geschäftsbeziehung ein – das wegen Informationsasymmetrien beeinträchtigte Vertrauen reduziert damit die Gesamtwohlfahrt.
Ein effektiver Gläubigerschutz zielt deshalb darauf ab, diese Fehlanreize zu minimieren, indem die Informationsasymmetrien reduziert werden. Sowohl freiwillige Massnahmen als auch gesetzliche Pflichten können hier eine Rolle spielen. Meist wird dabei eine Erhöhung der Transparenz angestrebt.
Gerade bei gesetzlichen Transparenzvorschriften ist die Umsetzung derweil nicht trivial. So kosten Aufarbeitung und Bereitstellung von vorgeschriebenen Informationen Ressourcen. Zudem kann es auch gute Gründe für den Schutz der Privatsphäre eines Unternehmens geben, beispielsweise zur Geheimhaltung von privaten Informationen wie innovativen Produktionsmethoden. Schliesslich können zur Interpretation der offengelegten Informationen zusätzliche private Informationen notwendig sein, womit die Pflicht in der Praxis an Relevanz verlieren kann.
Unter Juristen ebenfalls umstritten
Auch in der Rechtsliteratur wird über die Sinnhaftigkeit eines minimalen Gründungskapitals schon lange diskutiert. Interessant ist, dass weder die kantonalen Gesetze des 19. Jahrhunderts noch das 1883 in Kraft getretene Obligationenrecht (OR) eine diesbezügliche Vorschrift enthielten. Erst bei der OR-Revision von 1936 wurde eine Minimalerfordernis an das Gründungskapital eingeführt.
Mit einem Mindestkapital für die AG von 50 000 Fr. wollte man einerseits gegen Missbräuche vorgehen und andererseits die AG von der damals neu eingeführten GmbH abgrenzen. Von Befürwortern einer Minimalerfordernis an das Gründungskapital wird auch heute noch der Gläubigerschutz als Argument ins Feld geführt.
Die Kritiker streichen demgegenüber hervor, dass es sich um eine volkswirtschaftlich kostspielige und ineffiziente Art des Gläubigerschutzes handle. Es wird argumentiert, dass eine Mindestkapitalvorschrift lediglich eine nicht vorhandene Sicherheit vorspiele. Zudem sei es für Betrüger ein Leichtes, der Gesellschaft das Gründungskapital rasch wieder zu entziehen. Und schliesslich sei es empirisch nicht belegt, dass ein (höheres) Mindestkapital zu tieferen Konkursquoten oder geringeren Gläubigerverlusten führe.
Hohe Verluste trotz Minimalerfordernissen an das Gründungskapital
Laut Konkursstatistik des BFS betrug der Verlust aus ordentlichen oder summarischen Konkursverfahren in der Schweiz zwischen 2010 und 2019 durchschnittlich 2,2 Mrd. Fr. pro Jahr. Das ist ein satter Betrag. Er entspricht etwa dem Gesamtaufwand eines mittelgrossen Kantons wie Solothurn oder Neuenburg.
Allerdings werden diese Kosten nicht nur von Firmenkonkursen, sondern auch von natürlichen Personen verursacht. Dessen ungeachtet dürfte die offizielle Statistik die tatsächlichen Verluste stark unterschätzen. Über die Hälfte der Konkursverfahren werden mangels Aktiven eingestellt, und diese Verluste werden in der Statistik nicht erfasst – grobe Schätzungen des wirtschaftlichen Schadens übertreffen die Zahlen der Konkursstatistik denn auch um ein Vielfaches.
Auch wenn die effektiven Gläubigerverluste schwer festzumachen sind, sie dürften in die Milliarden gehen. Offenbar kommt es Jahr für Jahr zu so hohen Verlusten trotz Minimalerfordernissen an das Gründungskapital. Natürlich könnten die Verluste ohne Anforderungen noch höher sein. Dagegen spricht allerdings, dass sich Gläubiger gegen Verluste mit ganz anderen Strategien zu schützen suchen.
So hat im unternehmerischen Alltag das Gründungskapital kaum eine Relevanz für Gläubiger. Überhaupt sind viele für den Handelsverkehr wichtige Informationen nicht in das Handelsregister eingetragen. Wenn es daher um die Aufnahme von Geschäftsbeziehungen zu einer Firma geht, kommen in der Regel spezialisierte Dienstleister zum Zug. Diese sammeln Informationen bezüglich Zahlungsverhalten von Firmen und Privatpersonen. Solche privat hergestellte Transparenz – und nicht die Vorschriften an das Gründungskapital – erhöhen den Gläubigerschutz.
Was nun zu tun ist
Dass ein hohes Gründungskapital nicht mehr Gläubigerschutz bedeutet, hat sich international bereits herumgesprochen. So ist es in den meisten Ländern der Welt möglich, eine Kapitalgesellschaft ohne nennenswertes Mindestkapital zu gründen – und es werden immer mehr. Während 2004 noch 124 Länder ein festgelegtes Mindestkapital bei der Unternehmensgründung vorschrieben, hat sich diese Zahl bis 2019 halbiert.
Nicht nur die Theorie, sondern auch die im Ausland gelebte Praxis spricht also dafür, bei den Gründungsanforderungen und den damit verbundenen Prozessen über die Bücher zu gehen. Wer sich mit dem Thema intensiver auseinandersetzt erkennt, dass gerade der technische Fortschritt in diesem Bereich neue und bessere Lösungen erlaubt. Wie eine solche aussehen könnte, haben wir jüngst in einer Analyse erarbeitet. Mehr Informationen dazu finden Sie in unserer Publikation «Eine digitale Mini-GmbH für die Schweiz».
Teile dieses Beitrags sind der am 07.09.2021 veröffentlichten Studie «Eine digitale Mini-GmbH für die Schweiz» entnommen.