«So kann man mit dem Schweizer Volk nicht umspringen», ärgerte sich Altbundesrat Adolf Ogi Ende 2023, als das Internationale Olympische Komitee (IOC) Winterspielen 2030 in der Schweiz eine Absage erteilte. Doch ist der Schweiz hier tatsächlich eine grosse Chance entgangen?

Gewiss, wenn in diesem Sommer Fussball-Europameisterschaft sowie die Olympischen Spiele in Paris über die Bildschirme flimmern, wünschen sich hiesige Sportfans wieder einmal ein solches Grossereignis vor der eigenen Haustüre zu haben. Die Schweizer Bevölkerung als Ganzes ist jedoch eher kritisch eingestellt. Seit 1997 endeten alle Volksbefragungen zur Durchführung Olympischer Spiele mit einem Nein. Als Hauptargument werden immer wieder die zu hohen Kosten genannt.

Eine Kulturindustrie

Bei Olympischen Spielen war es lange selbstverständlich, dass das Gastgeberland den Event finanziert, denn die Ausgaben waren überschaubar. Dies änderte sich in den 1960er Jahren. Seitdem können solche Grossanlässe weltweit via Fernsehen übertragen werden. Dies eröffnet den Ländern die Chance, «Soft Power» zu demonstrieren. Damit stiegen aber auch die Ansprüche an die Spielstätten. Die kanadische Grossstadt Montréal erlitt daraufhin 1976 ein enormes Defizit, das die Steuerzahlenden jahrzehntelang belastete.

Die Kommerzialisierung der Olympischen Spiele erreichte ab den 1980er Jahren eine neue Stufe, als der Verkauf der Fernsehrechte richtig Fahrt aufnahm. Mittlerweile muss eine potenzielle Gastgeberregion allein für die Kandidatur 50 bis 100 Mio. US-Dollar einplanen. Die Kosten für die Austragung werden im Milliardenbereich angesiedelt. Auch für die Fussball-WM müssen mittlerweile mehrere Milliarden Dollar kalkuliert werden.

Der Verband gewinnt (fast) immer

Vor und während eines Grossanlasses fallen beim Veranstaltungsort diverse Kosten an. Die Infrastruktur stellt oft den grössten Ausgabenblock dar, je nachdem, wie viele zusätzliche Stadien, Hotels, Verkehrsverbindungen oder gar Flughäfen gebaut werden müssen. Das bekannte «Vogelnest» der Architekten Herzog & de Meuron, das anlässlich der Olympischen Spiele 2008 in Peking gebaut wurde, verschlang beispielsweise umgerechnet 480 Mio. US-Dollar. Weitere Kosten entstehen für den Betrieb während des Ereignisses, z.B. für Sicherheit. Die Gesamtausgaben sind je nach Veranstaltung und vor allem nach Austragungsort sehr unterschiedlich. Die Fussball-WM in Katar war mit 220 Mrd. Dollar mit Abstand die teuerste Weltmeisterschaft, während Deutschland 2006 nur 3,2 Mrd. Dollar ausgegeben hatte.

Diesen Ausgaben stehen jedoch Einnahmen gegenüber. Relevant sind dabei vor allem Ticketeinnahmen, Sponsoringverträge und Fernsehübertragungsrechte. Allein für letztere wurden bei den Olympischen Sommerspielen in Rio de Janeiro knapp 3 Mrd. US-Dollar eingenommen. Eine Studie der Universität Lausanne von Müller et. al (2022), welche die Finanzergebnisse Olympischer Spiele sowie von Fussballweltmeisterschaften seit den 1960er Jahren untersucht, kommt aber zum Schluss, dass trotzdem nur wenige Veranstaltungen schwarze Zahlen schreiben (vgl. Grafik).

Für die Gastgeber kommt noch dazu: Die internationalen Sportorganisationen schöpfen grosse Teile der Gewinne ab, ohne sich wesentlich an den Kosten zu beteiligen. Je nach Ereignis verbleiben zum Beispiel die Einnahmen aus Übertragungsrechten oder Sponsoring bei der Organisation. Sie sind zudem Kostentreiber, indem sie den Gastgebern Hunderte Seiten an Vorgaben machen.

Keine Sommermärchen

Neben den direkten Einnahmen und Ausgaben gibt es weitere Effekte. So übernachten die Zuschauer in lokalen Hotels und konsumieren an den Austragungsorten. Dabei kommt es allerdings auch zu einer Verdrängung der sonstigen Besucher, besonders in bereits bekannten Tourismusdestinationen. In einigen Regionen (London 2012, Peking 2008, Salt Lake City 2002) waren die Besucherzahlen während der Olympischen Spiele sogar rückläufig.

Regionen, die noch nicht auf der touristischen Landkarte zu finden sind, könnten wohl zusätzliche Besucher anziehen. Paradoxerweise sind aber gerade dort die Infrastrukturkosten für neue Austragungsstätten in der Regel so hoch, dass die volkwirtschaftliche Bilanz sich meist nicht durch zusätzliche Hotelübernachtungen und Gastronomieeinnahmen retten lassen.

Untersuchungen zu den kurzfristigen Auswirkungen von Grossanlässen können verständlicherweise immer nur Teilaspekte abdecken, da die zahlreichen Wechselwirkungen nur schwer zu quantifizieren sind. Eine Metastudie des DIW-Berlin, die fünf Studien zur Fussball-WM 2006 verglich, kommt jedoch zum Ergebnis, das «Sommermärchen» hätte keine wesentlichen konjunkturellen Auswirkungen gehabt.

Doping für die lokale Wirtschaft?

Die Befürworter von Mega-Events schwärmen oft davon, dass die Austragungsregionen langfristig von der Strahlkraft der Veranstaltung profitieren. Der neugewonnene Tourismus würde nicht einfach verschwinden, Arbeitsplätze blieben erhalten und nachhaltiges Wirtschaftswachstum würde initiiert. Wissenschaftliche Studien finden dafür jedoch keine Evidenz.

So weist eine Analyse der Olympischen Spiele von Firgo (2021) zwar einen kurzfristigen Effekt auf das lokale BIP-Wachstum von Plus 3-4 Prozentpunkten für Sommerspiele nach, jedoch keine Auswirkungen für Winterspiele – und langfristig erhöhte sich die Wirtschaftsleistung weder an Austragungsorten für Sommer- noch für Winterspiele. Eine weitere Studie von Billings & Holladay (2011), die das Wirtschaftswachstum der Gastgeberstädte mit Städten vergleicht, die sich auf Olympische Spiele beworben haben, aber nicht zum Zug kamen, findet ebenfalls keine statistisch relevanten Unterschiede in der BIP-pro-Kopf-Entwicklung.

Dabeisein ist alles

Als die Schweiz im Juni 1999 Turin den Zuschlag für die Winterspiele 2006 überlassen musste, sprach der eingangs zitierte damalige Bundesrat von einem «Chlapf a Gring». Aus einer ökonomischen Warte kann aber kaum von einer Ohrfeige gesprochen werden. Einerseits sind sportliche Grossanlässe für den Austragungsort wie oben ausgeführt kaum je eine Möglichkeit, grosse Gewinne zu erzielen. Anderseits dürfen die Opportunitätskosten nicht vergessen werden. Gerade staatliche Mittel könnten bei klassischen Staatsaufgaben wohl mehr Wirkung entfalten.

Natürlich: Olympische Spiele und Fussball-Welt- und Europameisterschaften sind nicht rein wirtschaftliche Angelegenheiten. Der Sport lebt von Emotionen und vom Mitfiebern der Zuschauer, die Veranstaltungstickets sind oft ausverkauft, Millionen strömen in die Stadien. Die Bevölkerung kann darum einen emotionalen Wert darin sehen, der über den rein monetären Aspekt hinausgeht. Doch die oft gehörten wolkigen Versprechen eines langanhaltenden volkswirtschaftlichen Gewinns für den Austragungsort sind mehr als kritisch zu sehen.

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