Als der Gesetzgeber das Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) 1982 verabschiedete, hat er nicht nur eine Versicherung für Millionen von Angestellten zur Pflicht erklärt. Er dachte auch an diejenigen, die zwischen Stuhl und Bank fallen könnten. Dafür wurde 1983 die Stiftung Auffangeinrichtung BVG sowohl für Arbeitgeber als auch für Angestellte eingerichtet, die bei keiner anderen Pensionskasse unterkommen. 40 Jahre nach der Gründung ist es Zeit für eine Zwischenbilanz.
Auffangnetz für Arbeitgeber und Arbeitnehmer
Zum einen bietet die Auffangeinrichtung Lösungen für Arbeitgeber, die im freien Markt keine andere Vorsorgeeinrichtung finden. Dies passiert zum Beispiel, weil ihr Risikoprofil zu wenig attraktiv ist, oder weil für sie die resultierenden Risikoprämien zu hoch sind. Dabei handelt es sich oft um kleine Betriebe, die proportional viele ältere Mitarbeiter beschäftigen, oder um Handwerks- und Gewerbebetriebe mit besonders riskanten Tätigkeiten. Neben diesem freiwilligen Angebot versichert die Auffangeinrichtung Arbeitgeber zwangsweise, die ihrer Versicherungspflicht in der beruflichen Vorsorge für ihre Mitarbeiter nicht nachkommen. Schliesslich bietet die Institution Selbständigen eine BVG-Lösung an. Selbständige sind zwar der BVG-Pflicht nicht unterstellt, sie können sich aber freiwillig einer Pensionskasse oder einer Versicherung auf dem Markt anschliessen oder der Auffangeinrichtung beitreten.
Zum anderen bietet die Auffangeinrichtung Lösungen für Arbeitnehmer. So verwaltet die Stiftung deren Freizügigkeitskonti nach Austritt aus der Pensionskasse, sofern sie (noch) keine Anschlusslösung bei einem neuen Arbeitgeber haben oder über kein Freizügigkeitskonto verfügen («vergessene BVG-Gelder»). Ausserdem bietet sie Arbeitnehmern nach Ausscheiden aus der beruflichen Vorsorge, z.B. aufgrund eines Stellenverlusts, die Möglichkeit zur freiwilligen Weiterversicherung. Dafür müssen die Versicherten sowohl die Arbeitnehmer- wie auch die Arbeitgeber-Beiträge selbst finanzieren. Schliesslich können sich Personen mit mehreren Arbeitgebern der Auffangeinrichtung anschliessen, sofern sie insgesamt ein genügend hohes Einkommen erzielen, um BVG-pflichtig zu werden. Manche dieser Mehrfachbeschäftigten bleiben nämlich aufgrund der Aufteilung ihres Einkommens auf mehrere Arbeitgeber unter der Eintrittsschwelle der beruflichen Vorsorge.
Die Ausnahme bleibt die Ausnahme
Wie der Name impliziert, sollte die Auffangeinrichtung ein Sicherheitsnetz für den Sonderfall sein. Kritiker der beruflichen Vorsorge weisen jedoch auf deren wachsende Zahl von Versicherten, um das aus ihrer Perspektive krankende System anzuprangern.
Droht der Ausnahmefall also die Regel zu werden? Auf den ersten Blick scheint dies nicht völlig abwegig zu sein. Seit 2002 vervierfachte sich die Anzahl Aktiven, die bei der Auffangeinrichtung versichert sind, auf ca. 43’000 Personen per Ende 2022. Setzt man diese Zahlen allerdings in Relation zum Total aller Aktiven in der beruflichen Vorsorge, erscheint die Entwicklung alles andere als düster. 2022 betrug ihr Anteil 0,93 Prozent, gleich viel wie noch 2007 (vgl. Abbildung). Dieser Wert wurde nur 2021 (0,95%) übertroffen.
In der Grafik ist ersichtlich, dass zwei Drittel der Aktiven bei der Auffangeinrichtung aufgrund eines freiwilligen Anschlusses ihres Arbeitgebers versichert sind. Der restliche Anteil besteht vor allem aus Zwangs- und Wiederanschlüssen.
Der Anschluss von Arbeitgebern – und ihrer Versicherten – bei der Auffangeinrichtung bleibt somit immer noch der Sonderfall. Über 99 Prozent aller BVG-Versicherten sind nicht darauf angewiesen. Die Zunahme in absoluten Zahlen ist kein Zeichen eines krankenden Systems, sondern folgt lediglich der allgemein steigenden Zahl aller Versicherten in der zweiten Säule.
Eine Bewährungsprobe wurde der zweiten Säule 2019 nach dem Ausstieg der AXA-Versicherung aus dem Vollversicherungsgeschäft gestellt. Bei der AXA waren viele kleine KMU mit zum Teil ungünstigen Altersstrukturen und wenig überobligatorischem Kapital angeschlossen, die für viele andere Versicherer und Pensionskassen wenig attraktiv waren. Es bestand die Befürchtung, diese Kleinbetriebe hätten im Markt Schwierigkeiten, eine neue Anschlusslösung zu finden und deshalb bei der Auffangeinrichtung landen würden. Diese Befürchtung hat sich offensichtlich nicht erfüllt (vgl. rote Fläche in Grafik).
Geringes Interesse der Selbständigen und Mehrfachbeschäftigen
Individuelle Anschlüsse sind bei der Auffangeinrichtung selten (vgl. schwarze Fläche in der Grafik). Angebote für Selbständige und Mehrfachbeschäftige werden kaum nachgefragt, nicht nur im Verhältnis zu den anderen Versicherten, sondern auch in absoluten Zahlen. Bei der Auffangeinrichtung waren per Ende 2022 lediglich 453 Selbständige (0,07% von ca. 651’000 Selbständigen in der Schweiz) und 243 Mehrfachbeschäftige angeschlossen (0,07% von 348’000 Mehrfachbeschäftigen).
Die Ursachen für das fehlende Interesse an Lösungen der Auffangeinrichtung können vielfältig sein. Erstens ist das Angebot der Auffangeinrichtung wenig bekannt. Als Akteur mit einem Bundesauftrag in einem privaten Markt verzichtet die Auffangeinrichtung auf Werbung, um Marktverzerrungen zu vermeiden. Zudem bietet sie als «Pensionskasse of last resort» nur minimale Lösungen an, zu Konditionen, die aufgrund des Risikoprofils der freiwilligen und zwangsweisen versicherten Arbeitgeber wenig attraktiv sind. Selbständigen, die sich freiwillig der beruflichen Vorsorge unterstellen (33% aller Selbständigen) tun es in der Regel ausserhalb der Auffangeinrichtung (BFS 2018). Zudem wählen weitere 31 Prozent der Selbständigen eine Vorsorgelösung in der dritten statt in der zweiten Säule. 24 Prozent der Selbständigen schliesslich verfügen weder über eine zweite noch eine dritte Säule. Der Privatmarkt deckt offensichtlich die Bedürfnisse der Selbständigen genügend ab.
Die Gründe für die niedrige Zahl von versicherten Mehrfachbeschäftigen liegen hingegen weniger bei der Auffangeinrichtung, sondern sind eher systemisch bedingt. Bei vielen Mehrfachbeschäftigen in Niedriglohnsegmenten (z.B. Reinigung oder Gastronomie) ist der Wunsch der Arbeitnehmer oft gering, sich freiwillig der beruflichen Vorsorge zu unterstellen. Viele ziehen höhere kurzfristige Nettolöhne einer langfristig besseren Vorsorge vor. Auch üben manche Arbeitgeber in diesen Sektoren Druck auf ihre Angestellten aus, auf einen solchen freiwilligen Anschluss zu verzichten, weil sonst die Lohnbeiträge zunehmen würden. Schliesslich schrecken viele Mitarbeiter davor zurück, die Löhne ihrer verschiedenen Arbeitsstellen einer einzelnen Institution anzuvertrauen – obwohl die Pensionskassen (wie auch die Auffangeinrichtung) die einzelnen Löhne den anderen Arbeitgebern von Gesetzes wegen nicht mitteilen dürfen. Eine Senkung des Koordinationsabzugs bzw. des Schwellenwertes für die verpflichtende Unterstellung der beruflichen Vorsorge wäre vermutlich eine pragmatische Lösung, um Mehrfachbeschäftigte besser zu versichern.
Ein Zeichen der Stabilität
40 Jahre nach Einführung der Auffangeinrichtung zeigt die Analyse, dass die Institution ein wichtiges Puzzleteil der beruflichen Vorsorge war und bleibt. Sie nimmt ihre Funktion wahr und fängt Fälle auf, die durch die Maschen fallen. Damit erwies sich der Gesetzgeber 1983 sehr weitsichtig.
Mit einem konstant niedrigen Marktanteil von weniger als 1 Prozent aller Aktiven in der 2. Säule bleibt die Auffangeinrichtung aber ein Sonderfall. Selbst bei einer hypothetischen Verdoppelung dieses Marktanteils bliebe die Auffangeinrichtung immer noch eine Ausnahme, wobei es keinen Hinweis für eine solche Entwicklung gibt. Dies ist ein gutes Zeichen für die Stabilität der 2. Säule.