Pro Jahr wird jede zehnte Arbeitsstelle neu besetzt. Zudem wächst die Anzahl Personen mit mehreren Jobs: Waren 1991 erst 4,1% der Arbeitnehmer mehrfach angestellt, sind es knapp drei Jahrzehnte später bereits 7,9%. Die Berufsbiografien entwickeln sich weniger linear als früher, entsprechend individueller werden die Vorsorgebedürfnisse.
Die berufliche Vorsorge wurde aber für lineare Berufsbiografien konzipiert: Nach dem Eintritt ins Erwerbsleben in jungen Jahren stiegen die Arbeitnehmer die Karriereleiter beim gleichen Unternehmen bis zur Pensionierung immer höher hinauf. Der Arbeitgeber sorgte als Patron für das Wohl seiner Arbeiterschaft – er war verantwortlich für die berufliche Vorsorge seiner Angestellten und eine gute Deckung bei Unglücksfällen, so dass seine Mitarbeitenden auf dem Höhepunkt ihrer Karriere in den Ruhestand gehen konnten. Diese Arbeitswelt der 1970er Jahre bildet das BVG trotz einer Revision im Jahr 2003 immer noch ab. Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen wurden nur bruchstückhaft nachvollzogen.
Neue Arbeitsstelle, neue Pensionskasse
Wer jedoch eine von den erwähnten zehn neuen Arbeitsstellen antritt, die jährlich frei werden, ist meist zu einem Pensionskassenwechsel gezwungen. Der Arbeitnehmer wird also nicht nur mit einem wechselnden Umfeld und neuen Lebensumständen konfrontiert, sondern auch mit neuen Vorsorgekonditionen, auf die er kaum Einflussmöglichkeiten hat. Die Pensionskassen verfolgen für ihre Versicherten oft eine einheitliche Anlagestrategie. Je grösser der Versichertenkreis ist, desto schwieriger ist es für Stiftungsräte, individuelle Lebensumstände und persönliche Bedürfnisse zu berücksichtigen. Nur Vorsorgeeinrichtungen, die ausschliesslich Einkommen über 127’980 Fr. versichern, dürfen ihren Kunden eine breitere Palette an Anlagestrategien anbieten (Art. 1 Abs. 2 BVV 2). Von solchen Beletage-Lösungen profitieren aber nur Kaderangestellte.
Mehrfachbeschäftigte benachteiligt
Die 7,9% der Arbeitnehmer mit mehreren Jobs, deren Gesamteinkommen die BVG-Eintrittsschwelle oft überschreitet, leisten tiefere oder gar keine Beiträge an die zweite Säule, weil der Koordinationsabzug zwei- oder dreifach abgezogen wird. Das kann zu problematischen Vorsorgelücken führen. Obwohl es mit Hilfe der Arbeitgeber theoretisch möglich wäre, Einkommen aus verschiedenen Quellen zu kumulieren und bei einer einzigen Pensionskasse zu versichern, machen aufgrund des erheblichen Koordinationsaufwands nur wenige von dieser Möglichkeit Gebrauch.
Freie Pensionskassenwahl als Antwort auf nichtlineare Berufsbiografien
Durch den Wandel der Erwerbsbiografien sind die Bedürfnisse individueller geworden. Warum also nicht die entsprechenden Schlüsse daraus ziehen und den Arbeitnehmern erlauben, selber ihre Pensionskasse auszuwählen? Die freie Pensionskassenwahl würde es den Angestellten erlauben, die Vorsorgeeinrichtung unabhängig von ihrer beruflichen Karriere oder von Erwerbsunterbrüchen zu wählen. Die arbeitgeberunabhängige Pensionskassenwahl würde nicht nur die berufliche Vorsorge für die 354’000 mehrfach Angestellten vereinfachen, die dann ihr gesamtes Einkommen bei einer einzigen Institution versichern könnten, sondern viele weitere Vorteile bieten: So würde das Verantwortungsgefühl der Arbeitnehmer durch die aktive Auseinandersetzung mit der eigenen Vorsorge anlässlich der Pensionskassenwahl gestärkt. Ausserdem könnten sie ihre Altersvorsorge gemäss den persönlichen Bedürfnissen gestalten. So hätten sie etwa die Möglichkeit, den Leistungsumfang ihrem Bedarf anzupassen und die Anlagestrategie anhand der eigenen Risikobereitschaft zu variieren. Auch könnte die Pensionskassenwahl vom Beratungsangebot und der finanziellen Stabilität der Vorsorgeinstitution abhängig gemacht werden und die Beachtung ethischer oder ökologischer Investitionsstandards in den Wahlentscheid einfliessen.
Anpassung an individuelle Bedürfnisse
Eine solche Reform würde den Wettbewerb zwischen den Pensionskassen erhöhen und sie dazu zwingen, ihre Produkte den Kundenbedürfnissen anzupassen. Dadurch käme es zweifellos zu einer Konsolidierung der Branche. Ein Grossteil der 1550 «kleinen» Vorsorgeeinrichtungen, die nur 20% der Bilanzsumme verwalten, würde verschwinden. Durch Grössendegression könnten Führungs- und Administrativkosten gespart werden.
Eine stärkere Individualisierung bei der beruflichen Vorsorge würde die Sozialpartnerschaft nicht schwächen, sondern im Gegenteil sogar stärken. Heute wenden die paritätischen Kommissionen viel Zeit für die Wahl der Anlagestrategie, bei der Festlegung des technischen Zinses und der notwendigen Reserven auf. Würden die vom Arbeitnehmer gewählten Pensionskassen die Guthaben verwalten, bliebe den Sozialpartnern mehr Zeit, um sich mit personalpolitisch wichtigen Fragen rund um die Themen Rekrutierung, Weiterbildung, Gesundheit am Arbeitsplatz sowie neuen Arbeitsformen auseinanderzusetzen.
Dieser Beitrag ist in französischer Sprache in der 2019-Sonderausgabe «Prévoyance professionnelle suisse» der Zeitschrift «Schweizer Personalvorsorge» erschienen.