Spätestens seit der Lancierung von ChatGPT gehört künstliche Intelligenz für die breite Bevölkerung zum Alltag. So gaben in einer Umfrage unter Computernutzern 61 Prozent der Befragten an, die Technologie für ihre Arbeit zu nutzen (Deloitte 2023). Im ersten Teil dieser Blogreihe haben wir untersucht, welche Auswirkungen KI auf verschiedene Berufsgruppen in der Schweiz hat. Dabei haben wir zwischen vier Arten von Berufsgruppen unterschieden: Jene, die von KI profitieren, jene, die durch sie begünstigt werden, jene, die nur geringfügig von ihr betroffen sind und schliesslich diejenigen, deren Stellung durch die KI gefährdet ist.

Im zweiten Teil wird diese Analyse vertieft. Wir fragen uns, wie stark Erwerbstätige mit unterschiedlichen Charakteristiken von der KI tangiert werden. Wir schliessen die Analyse mit einigen Empfehlungen an die Politik.

Ein Akademikertitel schützt nicht vor Strukturwandel

Es scheint naheliegend, dass der Nutzen von KI mit der Höhe des Bildungsabschlusses steigt. Rund die Hälfte der Personen mit Hochschulabschluss gehört nach unserer Schätzung denn auch zur Gruppe der Profitierenden, 68 Prozent sind es inklusive der Begünstigten. Mit einem höheren Berufsabschluss beträgt die Wahrscheinlichkeit hingegen noch 50 Prozent, dass KI unterstützend wirkt. Im Gegensatz dazu wird die Mehrheit der Erwerbstätigen, deren höchster Abschluss die obligatorische Schule ist, kaum von KI tangiert.

Der Zusammenhang zwischen Bildungsabschluss und «KI-Vorteil» ist allerdings nicht linear: Einerseits finden sich auch Geringqualifizierte, die von KI profitieren. Anderseits bietet ein hoher formeller Bildungsabschluss allein keinen vollkommenen Schutz vor der (potenziellen) Konkurrenz durch KI: Jeder Vierte Erwerbstätige mit Hochschulabschluss und fast jeder Dritte mit einer abgeschlossenen höheren Berufsbildung wird tendenziell durch KI konkurrenziert.

Weil Bildungsniveau und Einkommen auf dem Arbeitsmarkt korreliert sind, dürften jene, die bereits heute überdurchschnittlich gut verdienen, von der KI stärker profitieren. Das Medianeinkommen der «profitierenden» Erwerbstätigen liegt mit 52 Franken pro Stunde denn auch deutlich über dem Gesamtdurchschnitt von 38 Franken pro Stunde. Bei den «wenig tangierten» Erwerbstätigen, von denen die Mehrheit der Erwerbstätigen nur über einen tiefen Bildungsabschluss verfügt, liegt der Medianstundenlohn dagegen bei rund 30 Franken.

Der positive Zusammenhang zwischen dem beruflichen KI-Vorteil und der Lohnhöhe zeigt sich denn auch, wenn man alle Personen in vier Lohnklassen einteilt (vgl. Tabelle unten): Über die Hälfte der Erwerbstätigen in der höchsten Lohnklasse gehört zu den Profitierenden und Begünstigten. Im Gegensatz dazu arbeiten 53 Prozent der Erwerbstätigen aus der niedrigsten Lohnklasse in jenen Berufen, die durch KI kaum tangiert werden. Eine Sache ist dabei allerdings zu berücksichtigen: Wie ein höherer Bildungsabschluss schützt auch ein höherer Lohn nicht immer vor KI-Konkurrenz. Über ein Drittel in den beiden höchsten Lohnklassen befindet sich potenziell in einem Wettbewerbsverhältnis zur KI.

Das Geschlecht ist relevanter als das Alter

Während der erreichte Bildungsabschluss für das KI-Nutzungspotenzial durchaus eine Rolle spielt, scheint das Alter von geringerer Relevanz zu sein. Die älteren Erwerbstätigen zwischen 55 und 64 Jahren unterscheiden sich bezüglich KI-Einfluss nicht grundlegend von ihren jüngeren Kolleginnen und Kollegen (vgl. Tabelle). Entscheidender als das Alter ist das Geschlecht: Frauen sind in personenbezogenen Dienstleistungstätigkeiten ebenso in der Überzahl wie in Büro- und Sekretariatsberufen. Übersetzt in unsere KI-Gruppen gehören deshalb 32 Prozent der Frauen zu den «wenig Tangierten», während 27 Prozent bei den «Gefährdeten» angesiedelt sind. Auf den ersten Blick trifft KI damit Frauen negativer als Männer (vgl. Tabelle).

Die nachteilige Lage der Frauen relativiert sich allerdings, wenn man sich auf die jüngeren Kohorten konzentriert. Sie entscheiden sich zunehmend für Tätigkeitsbereiche, in denen die «Konkurrenzgefahr» durch KI tiefer ist. Die abnehmende berufliche Segregation der Geschlechter, die Avenir Suisse kürzlich dokumentiert hat, könnte folglich zu einer weiteren Angleichung der geschlechtsspezifischen «KI-Profile» führen.

Bringt KI einen Produktivitätsschub in der Verwaltung?

Lenkt man den Blick auf die Branchen, scheint das Potenzial für Produktivitätssteigerungen bei der öffentlichen Hand besonders hoch: Rund 30 Prozent der Verwaltungsangestellten gehören zu den Profitierenden und 20 Prozent zu den Begünstigten. 40 Prozent der Staatsangestellten sind dagegen Teil der Gefährdeten. Effizienzsteigerungen könnten den ausgeprägten (und oft kritisierten) Stellenzuwachs in der Verwaltung bremsen oder gar Ressourcen freisetzen, die für ein Arbeitsengagement in der Privatwirtschaft verfügbar wären.

Hier zeigt sich das Potenzial der KI, den Fachkräftemangel zu lindern: So hatten beispielsweise 38 Prozent der Dienstleistungsbetriebe im Jahr 2023 Schwierigkeiten bei der Personalsuche. Noch ausgeprägter war der Personalmangel in der Finanz- und Versicherungsbranche (42%) und der Informations- und Kommunikationsbranche (48%). Dies sind zwei Wirtschaftszweige, in denen über die Hälfte der Erwerbstätigen der Gruppe der KI-Gefährdeten zugeordnet wird. Diese Resultate deuten also darauf, dass die KI das Potenzial hat, den Personalengpass zu mildern.

«Neuere» Zuwandernde haben ein ähnliches KI-Profil wie Schweizer

Zugewanderte Erwerbstätige spielen eine wichtige Rolle für den Schweizer Arbeitsmarkt. Von den ausländischen Erwerbstätigen, die sich seit mehr als sieben Jahren in der Schweiz aufhalten, sind 42 Prozent Teil der «wenig Tangierten». Unter der jüngeren Kohorte der Zugewanderten finden sich hingegen deutlich mehr Profile, die von den KI-Entwicklungen profitieren dürften: 24 Prozent der Ausländer mit einer Aufenthaltsdauer bis sieben Jahren gehören der Gruppe der Profitierenden an (bei den Ausländern mit einer Aufenthaltsdauer von acht Jahren und mehr sind es nur 15%). Das KI-Profil der «neuen Zuwanderung» ist folglich demjenigen der Schweizer Erwerbstätigen sehr ähnlich. Darin zeigt sich nicht zuletzt das steigende Qualifikationsprofil der Einwanderer aus der EU.

Unsere Analyse ergibt somit: KI kann im Büro ebenso eine Wirkung entfalten wie im Flughafen-Tower oder Operationssaal. Der Einfluss beschränkt sich also nicht nur auf wenige Spezialisten; KI erfasst einen grossen Teil der Erwerbstätigen. Damit stellt sich die Frage, wie sich die Politik gegenüber dieser Entwicklung verhalten soll.

Was soll die Politik mit Blick auf KI tun?

Weiterbildung bleibt Privatsache
Inwiefern KI jemanden produktiver macht oder die Person stattdessen ersetzt, hängt massgeblich von den Betroffenen selbst ab. Wichtig ist hierbei das Bildungs- und Weiterbildungsverhalten. Personen mit höherem Bildungsstand neigen eher dazu, sich aktiv neues (formelles) Wissen anzueignen als jene mit geringeren Qualifikationen. So nehmen 32 Prozent der Erwerbsbevölkerung mit Tertiärabschluss an mindestens vier Weiterbildungen pro Jahr teil; bei Personen mit Sekundarstufe II-Abschluss (Matura, Lehre) waren es 21 Prozent. Umfragen zeigen, dass über die Hälfte der Erwerbstätigen in der Schweiz bereit ist, sich weiterzubilden, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Im Gegensatz zur obligatorischen Schule, die positive externe Effekte für die ganze Volkswirtschaft hat, profitieren von Weiterbildungen und dem Lernen am Arbeitsplatz (Stichwort informelles Lernen) vor allem die Erwerbstätigen selbst. Staatliche Investitionen sind daher nicht vorrangig. Stattdessen liegt es bei den Unternehmens- und Berufsverbänden, den Handlungsbedarf im Ausbildungs- und Weiterbildungsbereich zu erkennen. Die kaufmännische Lehre wurde im Zug der Digitalisierung kürzlich umfassend reformiert. Technologie nimmt dabei einen eigenen Platz im Ausbildungsplan ein. Es bleibt abzuwarten, wie stark hierbei KI integriert wird.

Keine KI-Steuer einführen
Die meisten Hochschulabsolventen dürften zu den Profitierenden der KI-Revolution zählen. Dadurch könnte KI jene Erwerbstätigen besserstellen, die sich bereits in einer komfortablen (Ausgangs-)Lage befinden. Auch der Internationale Währungsfonds äusserte kürzlich die Sorge, dass KI die Einkommensungleichheit in den Ländern verschärfen könnte. Eine breitangelegte Studie zu den Benutzern von ChatGPT in Dänemark zeigte kürzlich, dass – trotz des Potenzials der KI, Arbeiter mit weniger Fachkenntnissen zu unterstützen – Nutzer von ChatGPT bereits vor dessen Einführung leicht mehr verdienten.

Angesichts der Ungleichheitsdiskussion ist anzunehmen, dass die Forderung nach einer besonderen Besteuerung bestimmter Technologien (wie der KI) wieder auf das politische Parkett kommt. Es gibt jedoch gute Gründe, auf solche Instrumente zu verzichten:

  1. Die Bemessungsgrundlage ist schwierig zu definieren. Denn wo liegt die Grenze zwischen KI und «gewöhnlichem» technologischen Fortschritt? Zur Einnahmensicherung müsste das Steuerrecht ständig an die neueste Form des technischen Fortschritts angepasst werden. Das scheint wenig praktikabel.
  2. Steuern verzerren die Investitionsentscheidungen. Wenn die Abgaben ausgerechnet die produktiveren Anlagen belasten, setzen Unternehmen nicht mehr auf die effektivste Technologie, sondern je nach dem auf die am wenigsten besteuerte. Mögliche Produktivitätsgewinne bleiben dadurch aus, was zulasten der gesamten Volkswirtschaft geht. Ein geringeres Wirtschaftswachstum würde sich wiederum in einem tieferen Lohnwachstum widerspiegeln.
  3. Die Gewinne, die durch Anlagen und Maschinen für ihre Eigentümer erzielt werden, unterliegen bereits der Gewinnsteuer. KI-Anwendungen werden deshalb bereits besteuert. Eine spezifische Steuer würde zu einer Doppelbelastung führen.

Auf den flexiblen Arbeitsmarkt setzen
In Zeiten eines raschen, technologiebedingten Strukturwandels ist ein anpassungsfähiger Arbeitsmarkt unverzichtbar. Erwerbstätige und Unternehmen in der Schweiz zeichnen sich durch ihre grosse Flexibilität aus. Jährlich gehen rund 16 Prozent der Arbeitsplätze verloren – und noch mehr werden geschaffen. Zwischen 2002 und 2022 wurden 14,5 Mio. Stellen neu angetreten und 13,7 Mio. Arbeitsstellen aufgelöst. Auf Seite der Unternehmen sind nach fünf Jahren nur noch die Hälfte der einstigen Neugründungen am Markt aktiv – einschliesslich der Firmen im IKT-Bereich.

Die strukturellen Veränderungen widerspiegeln sich dabei direkt in der Zusammensetzung der Gesamtbeschäftigung: Der Anteil der Informations- und Kommunikationstechnologie-Spezialisten (IKT) ist laut Bundesamt für Statistik (BFS) innert zehn Jahren von 4,7 auf 5,7 Prozent gestiegen. Damit liegt er ein Stück über dem EU-Durchschnitt, ist aber dennoch deutlich geringer als in Ländern wie Finnland und Schweden, die Anteile von rund 8 Prozent erreichen. Auch die Firmen setzen vermehrt KI-Kompetenzen bei ihren Bewerbern voraus. War dies 2019 noch bei 0,25 Prozent der Online-Ausschreibungen in der Schweiz der Fall, lag der Anteil 2022 bereits bei 0,45 Prozent. Natürlich ist dieser Anteil immer noch gering. Allerdings liegt die Schweiz unter den untersuchten Ländern im vorderen Drittel – hinter den angelsächsischen Ländern. In den USA ist der Anteil der Stellenausschreibungen, in denen KI-Kompetenzen verlangt werden, doppelt so hoch wie in der Schweiz (Borgonovi et al., 2023).

Gleichzeitig befindet sich der Schweizer Arbeitsmarkt heute in einer guten Verfassung, um Herausforderungen in Zusammenhang mit der KI zu meistern. Hinzu kommt, dass sich aufgrund des demografischen Wandels die Problematik des Fachkräftebedarfs sowohl in der Schweiz als auch in Gesamteuropa weiter akzentuiert, und dementsprechend gerade technologischen Entwicklungen (wie der KI) eine wichtige Rolle zukommen könnte, um den Personalmangel zu verringern.

Eines ist jedoch sicher: Es ist unmöglich, sämtliche Rückkoppelungen und Konsequenzen einer technologischen Revolution, wie sie sich mit der KI abzeichnet, vorherzusagen. Das ist durchaus nichts Neues. Die Technologie hat sich auch im vergangenen Jahrhundert rasant weiterentwickelt – und den Arbeitsmarkt entsprechend transformiert. Heute sind 60 Prozent der Arbeitnehmer in Berufen tätig, die es 1940 noch gar nicht gab (Autor et al., 2024). Wie viele der neuen Tätigkeitsfelder man sich damals hätte vorstellen können, ist nicht bekannt – die Zahl dürfte bescheiden sein.

Teil 1: Zukunftssichere Berufe? Wie KI den Schweizer Arbeitsmarkt beeinflusst