Wie soll sich die Schweiz künftig im globalen Standortwettbewerb behaupten? Diese Frage stellt sich spätestens seit der Annahme der OECD-Mindeststeuer im vergangenen Juni. Wie wir in der vorliegenden Blog-Serie gezeigt haben, gäbe es eine naheliegende Massnahme: die Einführung des «Qualified Refundable Tax Credit» (QRTC) – eine Steuergutschrift, die zu Auszahlungen an begünstigte Unternehmen führen kann (vgl. Teil 1 der Blog-Serie).
Grund dafür ist die Behandlung des «Qualified Refundable Tax Credit» im neuen OECD-Regelwerk. Weil sich die Steuerbelastung mit dem QRTC im Vergleich zu bestehenden Steuererleichterungen stärker unter die 15%-Schwelle senken lässt (vgl. Teil 2), verspricht das Instrument, einen Teil des eingebüssten Wettbewerbsvorteils wettzumachen. Dementsprechend interessant ist es für ein Land mit heute tiefen Gewinnsteuern wie die Schweiz.
Zahlreiche Hürden
Eine Einführung des QRTC würde der Schweiz indes aus mehreren Gründen nicht gut anstehen. Erstens mahnt der bisherige Umgang mit Subventionen hierzulande zur Vorsicht – und nichts anderes ist der QRTC bei genauerem Hinschauen (vgl. Teil 1). So fehlt es in der Schweiz im Zusammenhang mit der Vergabe von Subventionen und Beihilfen heute schon an Transparenz. Sinnbildlich dafür: Bis heute existiert nicht einmal eine rudimentäre Berichterstattung zu den durch Steuererleichterungen entgangenen Einnahmen.
Besonders auf Kantonsebene, wo die QRTC vermutlich gesprochen würden, befindet sich die Öffentlichkeit in Sachen Subventionen mehr oder weniger im Blindflug.[1] Gefragt wäre zumindest eine aggregierte Zusammenstellung der Steuererleichterungen zugunsten von Unternehmen, wie sie für F&E-Steuergutschriften etwa in Grossbritannien seit Jahren veröffentlich wird.
Problematisch ist zweitens, dass das neue OECD-Regelwerk Anreize setzt, in volkswirtschaftlich fragwürdige Förderbereiche vorzudringen. Dies umso mehr, weil nicht alle von der Mindeststeuer betroffenen Firmen Forschung und Entwicklung (F&E) betreiben – der heute etablierteste Förderbereich. Regierungen könnten also zum Beispiel Unternehmen mittels QRTC steuerlich begünstigen, wenn diese die Digitalisierung vorantreiben oder die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessern.
Fraglich ist in diesem Zusammenhang gerade auch, ob dem Einfallsreichtum der Standortförderer durch die WTO-Regeln oder das EU-Beihilferecht adäquate Grenzen gesetzt sind. Besonders für staatliche Beihilfen zur Beschleunigung der Dekarbonisierung hat die EU die Hürden jüngst weiter gesenkt.[2]
Subventionen in den genannten Bereichen wären mit grosser Wahrscheinlichkeit marktverzerrend und würden wohl mit hohen Mitnahmeeffekten einhergehen. Will heissen: Der Staat subventioniert eine Aktivität der Unternehmen, die diese auch ohne QRTC unternommen hätten. So dürfte primär der Wettbewerbsdruck Firmen ohnehin dazu bewegen, in die Digitalisierung zu investieren oder die Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmer mit Familien zu verbessern. Und selbst wer staatliche Familienpolitik befürwortet, sollte sich eingestehen: Dieses Ziel mittels Subventionen an einzelne Unternehmen zu verfolgen, ist kaum ein effizienter Weg.
Risiken der betrieblichen F&E-Förderung
Zurückhaltung ist drittens auch bei der erwähnten steuerlichen F&E-Förderung angebracht. So wäre ein QRTC auf F&E-Ausgaben – wie in der Modellrechnung in Teil 2 dargestellt – am ehesten denkbar. Denn von neu generiertem Wissen kann nicht nur das Unternehmen selbst profitieren, sondern die Gesellschaft als Ganzes. Dieser «Spillover-Effekt» wird vom einzelnen Unternehmen jedoch in der Regel zu wenig berücksichtigt, und die F&E-Ausgaben fallen tiefer aus als im gesellschaftlichen Optimum.
Soweit die Theorie. Ob die betriebliche F&E-Förderung auch in der Praxis verbreitete «Spillover-Effekte» generiert, ist allerdings offen. Einerseits gibt es dazu nur wenige gute Studien (vgl. z.B. hier). Andererseits sind die nachgewiesenen «Spillover-Effekte» – etwa in Grossbritannien – stark auf jene Technologiebereiche konzentriert, in denen vergleichsweise wenige Firmen Patente anmelden. Mit anderen Worten: Je mehr Unternehmen im gleichen Bereich forschen, umso kleiner die Chance eines begünstigten Unternehmens, die Innovationsleistung anderer Unternehmen in diesem Bereich positiv zu beeinflussen.
Generell müssen zusätzliche F&E-Ausgaben, die durch den QRTC ausgelöst würden, nicht direkt zu mehr Forschung oder Innovation führen. Etwa, weil einige Firmen Auslagen fälschlicherweise als F&E-Ausgaben bezeichnen oder weil es lediglich zu einer Verlagerung von F&E-Ausgaben vom einen zum anderen Standort kommt. Entsprechend ist bei einer solchen Förderpolitik höchste Vorsicht angezeigt.
QRTC für Standortattraktivität nicht entscheidend
Nicht zuletzt müsste ein solches Instrument fairerweise allen Firmen zur Verfügung stehen. Den QRTC kleineren Unternehmen vorzuenthalten, wäre eine Wettbewerbsverzerrung zugunsten der von der Mindeststeuer betroffenen Konzerne. Damit würde suggeriert, Subventionen seien entscheidend für die Standortentscheidung der Konzerne und damit ein probates Mittel zur Stärkung der Standortattraktivität.
Zumindest für eine kleine offene Volkswirtschaft wie die Schweiz wäre es langfristig viel wichtiger, gute Rahmenbedingungen für alle Unternehmen aufrechtzuerhalten: der Zugang zu ausländischen Märkten, genügend Fachkräfte, ein flexibler Arbeitsmarkt, eine gute Infrastruktur, Rechtssicherheit, stabile öffentliche Finanzen etc.
Die Einführung eines QRTC stünde im Kontrast zum Schweizer Weg, diese Rahmenbedingungen zu pflegen. Ausserdem gilt es in Erinnerung zu rufen, dass die Schweiz seit langem zu den innovativsten Ländern der Welt zählt. Und das, obwohl die steuerliche Begünstigung von F&E-Ausgaben hierzulande bis vor wenigen Jahren ein Schattendasein fristete – oder vielleicht gerade deswegen.
Führt die Mindeststeuer die Standortförderung in unbekannte Gewässer? (Teil 1/3)
Wie Steuersätze unterhalb von 15% trotz Mindeststeuer möglich sind (Teil 2/3)
[1] Unter diesen Umständen würde das Problem der Transparenz mit dem QRTC nur in dem Masse entschärft, in dem es aufgrund von zu geringen Steuerschulden zu Auszahlungen kommt. Diese müssten nämlich in der Staatsrechnung transparent gemacht werden.
[2] Stellen Subventionen an betroffene Konzerne eine direkte Kompensation für die höheren Steuern dar, sind sie der OECD zufolge nicht zulässig. Ob ein solcher Sachverhalt juristisch einwandfrei identifiziert werden kann, ist allerdings offen.