Der Schweiz droht erneut die US-Anklagebank. Nachdem ihr im Frühling der erfolgreiche Sprung weg von der amerikanischen Beobachtungsliste der Währungsmanipulatoren gelungen ist, zeichnet sich bereits einige Monate später die Rückkehr ab. Die Rede ist diesmal nicht nur davon, die Schweiz wieder auf die Beobachtungsliste zu setzen, sondern – gar schlimmer – entsprechende Gegenmassnahmen zu ergreifen.
Gemäss dem letzten Bericht des US-Finanzministeriums «verstiess» die Schweiz nur gegen eines der drei Beurteilungskriterien (vgl. dazu hier) – weil ihr Leistungsbilanzüberschuss 3% des BIP übertrifft. Nun droht aber der seit Jahren ansteigende Schweizer Exportüberschuss mit Waren, der im Jahr 2018 nur noch knapp unter dem vorgegebenen Maximalbetrag von 20 Mrd. $ lag, das Fass zum Überlaufen zu bringen. Dabei greift der US-Fokus auf den Exportüberschuss gleich in dreifacher Hinsicht zu kurz:
- Erstens sollte bei der Beurteilung auch die Entwicklung des Dienstleistungsverkehrs berücksichtigt werden. Der Austausch von Dienstleistungen hat sich in den letzten Jahren nämlich klar «zugunsten» der USA verschoben. Der einstige Exportüberschuss der Schweiz im Dienstleistungshandel hat sich nicht nur stark reduziert, sondern drehte zuletzt (2017) gar in ein Defizit von 0,2 Mrd. Fr.
- Zweitens zeigt die Sicht auf die Leistungsbilanz nur eine Seite der Medaille. Denn betrachtet man die Kapitalbilanz, insbesondere die Direktinvestitionen, verfügt die Schweiz über einen aus US-Sicht kaum zu bemängelnden Leistungsausweis: Mit einem Bestand an Direktinvestitionen von über 300 Mrd. Fr. sind Schweizer Unternehmen die siebtwichtigsten Investoren in den USA. Umgekehrt liegen die Direktinvestitionen der USA in der Schweiz lediglich bei rund 130 Mrd. Fr. Von den gegenseitigen Investitionen profitieren heute rund 320’000 Arbeitsplätze in den USA und 90’000 in der Schweiz. Zum Vergleich: der erwähnte Leistungsbilanzüberschuss von rund 20 Mrd. Fr. entspricht einem Äquivalent von rund 6000 Arbeitsplätzen. Netto betrachtet dreht sich die Geschichte somit zu Gunsten der USA.
- Drittens ist eine Wirtschaftspolitik, die sich der Exportmaximierung verpflichtet, längst überholt. Bereits David Ricardo hat mit seinem Konzept des «komparativen Vorteils» den nutzengenerierenden Effekt von Importen aufgezeigt, indem Produkte günstiger bezogen werden können, als wenn sie im Inland selber hergestellt würden. Davon profitieren sowohl Unternehmen, über den Bezug günstigerer Vorleistungen, als auch die Konsumenten.
Aus US-Sicht sollte die Antwort auf den steigenden Exportüberschuss der Schweiz somit nicht in einer Erhöhung von Zöllen oder anderer Strafmassnahmen liegen. Sie wirken sich schädlich auf die wirtschaftliche Entwicklung beider Länder aus und gefährden beidseits des Atlantiks Arbeitsplätze.
Stattdessen sollte vielmehr der Abschluss eines bilateralen Freihandelsabkommens vorangetrieben werden. Denn damit würde ein Instrument geschaffen, um den heutigen Schweizer Exportüberschuss langfristig zu reduzieren oder gar in ein Defizit zu drehen. Modellrechnungen von Avenir Suisse zeigen, dass ein Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und den USA fünf Jahre nach Inkrafttreten zu massgeblichen Veränderungen der gegenseitig ausgetauschten Warenhandelsvolumina führen würde – dies unter der Annahme, dass ein Abkommen zwischen der Schweiz und den USA mit anderen Abkommen, welche die Länder in der Vergangenheit abgeschlossen haben, vergleichbar wäre. Insgesamt würde der Wert der ausgetauschten Waren fünf Jahre nach Abschluss des Abkommens um mehr als 14 Mrd. Fr. höher liegen. Interessant dabei ist die Verteilung: So würden die Exporte der USA mit beinahe 10 Mrd. Fr. deutlich stärker steigen als die Exporte der Schweiz mit knapp 5 Mrd. Fr., weshalb sich der heutige Überschuss der Schweiz reduzieren würde. Geht man von einer konstanten Fortführung der errechneten Wachstumsraten aus, würde sich der Schweizer Warenüberschuss bis im Jahr 2031 sogar in ein Defizit drehen.
Und nicht nur das: ein Freihandelsabkommen würde auch die Rechtssicherheit zwischen den beiden Ländern erhöhen, was die Attraktivität von Direktinvestitionen zu steigern vermag. Dies schlägt sich mittel- bis langfristig in den Zahlen zum Bestand an Direktinvestitionen nieder und könnte die bereits hohe Bedeutung der Schweiz als Direktinvestor in den USA weiter stärken und somit zusätzliche Stellen generieren.
Entweder beschreiten die USA den konfrontativen Weg und bewegen sich auch mit der Schweiz in Richtung eines Handels- und Währungskonflikts. Damit könnten sie sich jedoch auch selber Steine in den Weg legen, indem man nicht nur wirtschaftliche Verluste riskiert, sondern auch die Beziehung zu einem wichtigen Handelspartner leichtfertig aufs Spiel setzt. Eine klassische Lose-lose-Situation. Oder die USA schlagen einen partnerschaftlichen Weg ein, bei dem mittels eines Freihandelsabkommens die wirtschaftlichen Beziehungen weiter vertieft und beidseitig zusätzliche Arbeitsplätze generiert werden. Eine klare Win-win-Situation.
Mehr zum Thema: «Win-win: Freihandel Schweiz-USA».