Uneinige Eidgenossen streiten miteinander in einem gesitteten Rahmen: Was echte Konkordanz bedeutet, zeigte sich an der Buchvernissage für die Studie «Konkordanz in der Krise» von Michael Hermann, zu der Avenir Suisse ein Podiumsgespräch mit Alt-Bundeskanzlerin Annemarie Huber-Hotz, SVP-Präsident Toni Brunner und Politologie-Professor Wolf Linder veranstaltete.
Was bringt Alt-Bundesrätin Elisabeth Kopp, SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli und Geschichtsprofessor Georg Kreis dazu, sich im selben Raum aufzuhalten, obwohl sie nicht miteinander streiten dürfen? «Das ist gelebte Konkordanz», freute sich Michael Hermann. Der Sozialgeograf, der sich als Politanalytiker einen Namen gemacht hat, feierte die Vernissage seines Buches «Konkordanz in der Krise». Der Anlass in den stimmungsvollen Räumen von Spectraseis und Vitra, im selben Industrieblock wie Avenir Suisse, stiess auf grosses Interesse bei einem Publikum, das sich im Politalltag im Streit verbunden fühlt.
Der Bundesrat stolperte in Krisen
An diesem schwülen Sommerabend war kaum mehr etwas zu spüren von der «sehr speziellen Stimmung» vor zwei, drei Jahren: Aufgrund des Drucks auf die Schweiz wegen des Bankgeheimnisses, der Geiselnahme in Libyen und der Skandale um Armeechef Roland Nef oder die «Atomschmuggler»-Familie Tinner «stolperte der Bundesrat von einer Krise in die nächste», wie es Michael Hermann ausdrückte. Der bekannte Politgeograf bekam deshalb vom damaligen Avenir-Suisse-Direktor Thomas Held den Auftrag, Vorschläge zu erarbeiten, wie sich die Führung des Landes krisenfester machen liesse.
Bei der Arbeit und durch den Direktoriumswechsel bei Avenir Suisse verschob sich der Fokus der Studie. «Sie ist konkordanzfreundlicher geworden», stellte der neue Direktor Gerhard Schwarz fest. Avenir Suisse sehe die politischen Institutionen als wesentlich für die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes: «Es geht darum, Bewährtes zukunftstauglich zu machen.» Auch Michael Hermann pries «die Schönheit unseres politischen Systems» als Erfolgsmodell: So sei es gelungen, die Schuldenbremse einzuführen – diese half der Schweiz beim Bewältigen der Krise und dient jetzt international als Vorbild.
Führung des Landes stärken
«Die Integrationskraft der Konkordanz hat nachgelassen», erkannte der Autor jedoch. «Alle wollen mitregieren – niemand will Regierungsverantwortung übernehmen.» Die Konkordanz habe ihre Selbstverständlichkeit verloren, das sei aber gerade ihre grosse Stärke. Und das «ausgeklügelte System der Machtteilung», das die Schweizer lieben, erweise sich in der Krise – also etwa bei Druck aus dem Ausland – als anfällig.
Mit seinen Vorschlägen will Michael Hermann die Führung des Landes stärken, indem sie ihre Legitimation vom Volk bekommt. Erstens sollen sich die Bundesräte gleichzeitig mit dem Parlament zur Wahl stellen müssen: Wer das absolute Mehr übertrifft, ist wiedergewählt, wer es nicht erreicht, muss sich von der Bundesversammlung bestätigen lassen. Zweitens soll ein achter Bundesrat, «mit einem Präsidialdepartement wie in einigen Städten, also nicht als Regierungschef», für die Koordination der sieben Departementschefs sorgen, als Sprecher der Landesregierung und als Führungsperson in Krisen auftreten. Und drittens soll das Volk entscheiden, wenn sich Nationalrat und Ständerat bei einer Vorlage nicht einigen können, statt dass das Geschäft wieder in der Schublade landet.
Sinn für Zusammenarbeit geht verloren
Was taugen diese Vorschläge? Und steckt die Konkordanz wirklich in der Krise? Diese Fragen diskutierte ein Podium mit Alt-Bundeskanzlerin Annemarie Huber-Hotz, SVP-Präsident Toni Brunner und Politologie-Professor Wolf Linder, geleitet von Francesco Benini, Ressortchef der NZZ am Sonntag.
«Der Sinn für das Zusammenarbeiten geht verloren», stellte Wolf Linder fest. Das habe aber inhaltliche Gründe: In wichtigen Fragen – Europa, Zuwanderung, Stadt-Land-Gegensatz – sei die Gesellschaft gespalten, «die Konflikte unter den Leuten haben zugenommen». Gar eine «Krise des Vertrauens» und deshalb eine «Krise der Politik in der westlichen Welt» sah denn auch Annemarie Huber-Hotz: «Man kann sich nicht mehr auf eine Marschrichtung einigen.» Die ehemalige Bundeskanzlerin betonte aber, das «Grundgeschäft» funktioniere immer noch: «95 von 100 Geschäften an einer Bundesratssitzung gehen ohne Diskussion über die Bühne.»
Fehler bei den Bundesratswahlen
Dagegen rief Toni Brunner dem Publikum hartnäckig in Erinnerung, dass es schon immer schwere Spannungen in der Landesregierung gab und dass das Parlament gerne nicht von ihren Parteien vorgeschlagene Bundesräte wählte. Heute fehle die Kraft, die Konkordanz wirklich zu leben, betonte er immer wieder: Parteivertreter in den Bundesrat zu wählen, die ihre Parteien tatsächlich vertreten, also nicht mit dem Kompromiss anfangen, sondern in konstruktiven Auseinandersetzungen den Kompromiss erarbeiten.
Im Prinzip erntete der SVP-Chef damit einige Zustimmung. «Man hätte sich viel erspart, wenn 2000 ein offizieller SVP-Kandidat statt Samuel Schmid gewählt worden wäre», meinte Michael Hermann. Dass die Bundesversammlung die Fehler von 2003 und 2007 im Dezember korrigiert, wollte aber vor den Parlamentswahlen vom Oktober niemand voraussagen. Immerhin verteidigte Annemarie Huber-Hotz die BDP-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf, deren Sitz wackelt: Das Parlament solle nicht ausgerechnet die Besten abwählen.
Kommt es auf die Personen an?
Welche Änderungen braucht das Schweizer Politsystem? Für einen Wechsel zum Konkurrenzsystem konnte sich niemand erwärmen: «Die Volksrechte zwingen uns zur Konkordanz», erklärte Wolf Linder. Und die Volkswahl des Bundesrates stiess auch auf einige Skepsis, weil dies zu einem «vierjährigen Wahlkampf» und zu noch verschärften Spannungen im Kollegium führen würde, wie Annemarie Huber-Hotz mahnte. Den Vorschlag, dass sich die Bundesräte einer Vertrauensabstimmung stellen müssen, hielt aber auch sie für einen Versuch wert. «Die Regierung muss rausgehen und zeigen, was sie gemacht hat», sagte Michael Hermann.
Letztlich komme es auf die Personen und die Parteien an, lautete der Kehrreim von Toni Brunner. Dass sich Reformvorschläge umsetzen lassen, schätzten alle Diskutierenden skeptisch ein. «Vorher», witzelte Moderator Benini, «schwört Gerhard Schwarz dem Liberalismus ab.»