Wenn am Digital Day vom 3. September 2019 die Experten wieder darüber sinnieren, ob uns die Roboter die Arbeit stehlen werden, stehen die Chancen gut, dass ihre Aufmerksamkeit einzig der bezahlten Arbeit gelten wird. Doch mit 24 Stunden pro Woche beansprucht die unbezahlte Haus- und Familienarbeit in der Schweiz fast so viel Zeit wie die Erwerbsarbeit (27 Stunden im Durchschnitt). Liegt das geringere Interesse der Digitalisierungsspezialisten vielleicht daran, dass diese Tätigkeiten zu 62 Prozent von Frauen erledigt werden?
Gerade hinsichtlich der Gleichstellung wäre die Frage nach der Zukunft der unbezahlten Arbeit höchst relevant. Im 20. Jahrhundert eröffnete die Elektrifizierung den Weg für den Einzug der Haushaltsgeräte in die Wohnungen. Waschmaschine, Kühlschrank und Geschirrspüler übten einen wesentlichen Einfluss auf die Beschäftigung der Frauen aus. Solange sie endlose Stunden in der Küche und im Kinderzimmer verbringen mussten, liessen sie sich nicht so leicht ins Erwerbsleben locken – und dies trotz steigendem Bildungs- und Lohnniveau. So wird geschätzt, dass die Zunahme der Erwerbsquote zwischen 1900 und 1980 zur Hälfte auf den technischen Fortschritt zurückgeführt werden kann. Wenn die Analyse stimmt, ist der entscheidende Impuls zur feministischen Revolution nicht in den Parlamenten oder in besetzten Hörsälen zu finden, sondern in den Garagen der Tüftler.
Mit der Digitalisierung hat eine neue Welle des technologischen Wandels unsere Wohnungen erreicht. Staubsaug- und Rasenmähroboter, Onlineshopping und virtuelle Assistenten haben den Alltag noch etwas effizienter gemacht. Der zusätzliche Zeitgewinn bleibt jedoch bisher marginal. Früher hatte die Waschmaschine den Waschtag ersetzt – was ersetzt heute die sprachgesteuerte Glühbirne?
Vor allem eine Aktivität belastet unbeirrt die Zeitbudgets: der Schlaf. Gut die Hälfte der Zeit, die wir zu Hause verbringen, geht auf dessen Konto. Hier war der Fortschritt – wenn man dies so nennen kann – noch bescheidener. Es besteht zwar ein schwach negativer Zusammenhang zwischen Schlafzeit und Einkommen. Wir schlafen aber nur ein paar Dutzend Minuten weniger als unsere (ärmeren) Vorfahren. Alle Versuche, die Schlafzeiten zu verkürzen, sind kläglich gescheitert.
Dass der Abbau der Zeitnot vieler Familien etwas ins Stocken geraten ist, liegt aber nicht etwa an einem verlangsamten technischen Fortschritt oder an unüberwindbaren biologischen Gegebenheiten, sondern auch am Verhalten der Familien selbst. Sämtliche Zeitgewinne, die in den letzten drei Jahrzehnten im Putzen oder bei der Essensvorbereitung gemacht wurden, sind in die Kinderbetreuung investiert worden.
Gemäss Daten des Bundesamtes für Statistik wenden heute sowohl Mütter wie auch Väter wöchentlich rund vier Stunden mehr für die Betreuung ihrer Kinder auf als noch 1997. Dabei haben vor allem das Spielen mit den Kindern und die Unterstützung bei den Hausaufgaben an Bedeutung gewonnen. Diese Tätigkeiten dürften vom Grossteil der Eltern nicht direkt als «Arbeit» angesehen werden, sind jedoch trotzdem sehr zeitintensiv.
Im Vergleich zu den 1990er Jahren entlasten Väter ihre (vermehrt arbeitstätigen) Partnerinnen stärker bei der Haus- und Familienarbeit. Mit fast 8 Stunden pro Woche hat ihr Engagement für die Familie innerhalb dieser relativ kurzen Periode um einen Drittel zugenommen. Damit hat der Geschlechterunterschied in der Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit weiter abgenommen. Verrichteten verheiratete Frauen in den 1960er Jahren in den USA gut sieben Mal mehr Hausarbeit als ihre Ehegatten (entsprechende Daten gab es für die Schweiz nicht), ist das Verhältnis heute auf «nur» 1,8 Mal geschrumpft.
Für die letzte Meile der Gleichstellung wird es wohl etwas mehr als die Digitalisierung brauchen. Sie wird nur dann überwunden werden, wenn Mütter nicht alleine für die Haus- oder Familienarbeit verantwortlich sind, sondern sie an die Väter übertragen oder an Dritte auslagern können. Dabei spielt auch der Staat eine wichtige Rolle: Es müssen weitere Hürden abgebaut werden, die Frauen an einer höheren Arbeitsmarktpartizipation hindern oder die Auslagerung der Hausarbeit erschweren. – Die gute Nachricht? Der Mix an politischen Massnahmen, der dafür notwendig ist (Individualbesteuerung, Ausbau des Angebots an Kitas und Tagesschulen, Elternurlaub, aber auch steuerliche und administrative Erleichterungen beim Outsourcing der Hausarbeit), würde eigentlich für fast jede politische Ausrichtung etwas bieten. Man muss nur wollen.
Dieser Beitrag ist am 1. September 2019 in der «NZZ am Sonntag» erschienen.