Tages-Anzeiger: Wieso wollen Sie die Volksinitiative reformieren?
Lukas Rühli: An der Volksinitiative wird oft Kritik geübt, wenn jemand mit einem Abstimmungsresultat nicht zufrieden ist. Aber es gibt auch Kritik, die sich auf die Funktionsweise des Instruments bezieht. Uns geht es um diese. Problematisch ist vor allem, dass die Volksinitiative langfristig an Verbindlichkeit verliert.
Ist das so?
Schon heute wird fast keine Volksinitiative so umgesetzt wie von den Initianten beabsichtigt. Das Parlament versucht, die Anliegen meist so umzusetzen, dass sie niemandem richtig wehtun. Das ist ein Problem aus Sicht der Demokratie,aber auch für die Glaubwürdigkeit des Instruments an sich. Im Wissen darum, dass das Parlament Initiativen wohl nur in abgeschwächter Form umsetzt, werden die Stimmbürger nicht zögern, immer radikalere Forderungen zu stellen. Das schwächt letztlich das Instrument, während die einzelnen Initiativen jeweils Unruhe mit sich bringen, weil man nie genau weiss, was am Ende rauskommt. Das schafft eine Umgebung der Unsicherheit und führt so zu Schwierigkeiten für die Wirtschaft und für die Zusammenarbeit mit dem Ausland.
Sie schlagen vor, die Zahl der nötigen Unterschriften mehr als zu verdoppeln. Was bringt das?
Es gibt auch andere Vorschläge, um die Anzahl der Initiativen zu vermindern, wie zum Beispiel die Aufstellung inhaltlicher Schranken. Wir halten diese für nicht sehr tauglich. Das führt uns zur inhaltlich neutralen Massnahme, den Preis der Initiative zu erhöhen. Dieser war in der Vergangenheit viel höher und sinkt immer weiter. Während bei der Einführung 1891 fast 8 Prozent der Stimmberechtigten das Volksbegehren unterschreiben mussten, sind es heute wegen des starken Bevölkerungswachstums noch 1,9 Prozent.
Sie schlagen vor, das nötige Quorum auf 4 Prozent festzulegen. Für die Gewerkschaften oder die SVP dürfte es kein Problem sein, 210000 Unterschriften zu sammeln. Läuft Ihr Vorschlag aber nicht auf eine Benachteiligung von Komitees hinaus, die weniger potent sind?
Das ist ein Einwand, den ich nicht mit Bestimmtheit entkräften kann. Meine Vermutung geht aber in die andere Richtung. Wenn ein Anliegen da ist, das unter den Nägeln brennt, sollten die Unterschriften zu sammeln sein. Die Erhöhung dürfte gerade professionelle Organisationen eher abschrecken, weil diese die Sammlung von Unterschriften dann eben mehr kostet. Bei Freiwilligen besteht dieses Problem nicht.
Um Ihre Vorschläge umzusetzen, müsste die Verfassung geändert werden. Wieso sollten die Stimmberechtigten freiwillig ihre Rechte einschränken?
Unser Bündel von Vorschlägen führt nicht zu einer Einschränkung der Volksrechte. Wir schlagen die Einführung einer Gesetzesinitiative vor, die mit den Unterschriften von 2 Prozent der Stimmberechtigten lanciert werden könnte also mit praktisch gleich vielen Unterschriften wie heute die Verfassungsinitiative. Mit der Möglichkeit zur Änderung von Gesetzen hätten die Stimmbürger noch viel stärker als heute einen Einfluss auf die Rechtsetzung. Ich glaube, dass die Stimmbürger durchaus bereit sind, einer Verbesserung des heutigen Systems zuzustimmen.
Würde die Gesetzesinitiative nicht an den gleichen Problemen kranken wie die Verfassungsinitiative?
Eine Gesetzesinitiative muss verfassungskonform sein, darf also nicht gegen darin festgelegte Grundsätze verstossen und darf auch nur regeln, was in der Verfassung schon angelegt ist. Die grössten Probleme sind für mich heute die Unverbindlichkeit und die Radikalität der Volksinitiativen. Beides wird sehr gut bekämpft, wenn eine verfassungskonforme Gesetzesänderung weniger kostet als eine Verfassungsänderung.
Wer soll überprüfen, ob eine Initiative verfassungskonform ist?
Dies ist meiner Meinung nach der einzig schwierige Punkt an der Gesetzesinitiative. Wir finden, dass grundsätzlich bei der Verfassungs- wie bei der Gesetzesinitiative die Bundeskanzlei die Gültigkeit des Volksbegehrens prüfen sollte, damit das Parlament nicht wie bis anhin die Doppelaufgabe hat, die juristische Korrektheit und die politische Wünschbarkeit gleichzeitig beurteilen zu müssen. Dies würde aber zu einer Asymmetrie führen, da Gesetze aus dem Parlament nicht auf ihre Verfassungskonformität geprüft werden. Die Alternative wäre, dass weiterhin das Parlament die Gültigkeit überprüft.
Sie sprechen in Ihrer Analyse auch jene Initiativen an, die sich nicht ohne die Verletzung von Grundrechten umsetzen lassen. Hierzu legen Sie aber keinen Lösungsvorschlag vor. Wieso?
Die Gesetzesinitiative brächte meiner Meinung nach hier durchaus eine Verbesserung, weil jede Regelung auf Gesetzesstufe verfassungskonform sein muss. Auf Verfassungsebene hingegen wäre es grundsätzlich unlogisch, inhaltliche Einschränkungen zu machen, weil man mit einer Volksinitiative ja per Definition die Verfassung ändert.
Die meisten Parteien nutzen die Volksinitiative heute als Marketinginstrument. Darauf dürften sie nicht verzichten wollen.
Es ist zum Glück nicht unsere Aufgabe, zu überlegen, wie unsere Vorschläge politisch durchzubringen sind, das tun wir auch bei anderen Themen nicht. Die Reform einer Institution ist in der Tat schwierig, weil sie sich in ihrer jetzigen Form zu einer Änderung entschliessen muss. Man sieht aber, dass die Frage einer Erneuerung des Initiativrechts in den letzten zwei Jahren sehr intensiv diskutiert wurde. Dazu liefern wir Vorschläge – und hoffen, dass diese bei den Stimmberechtigten auf Anklang stossen.
Dieser Artikel erschien im «Tagesanzeiger» vom 8. April 2015. Mit freundlicher Genehmigung des «Tagesanzeiger». Weitere Informationen finden Sie im Diskussionspapier «Die Volksinitiative - durch Fokussierung zu mehr Erfolg».