Globale Mindeststeuer, ungeklärte Beziehungen mit der EU, Fachkräftemangel, Bankenkrise: Die Risiken für den hiesigen Standort scheinen mannigfaltig. Seit Jahren wird vor einer Verschlechterung der Rahmenbedingungen gewarnt – auch Avenir Suisse stimmt gelegentlich mit ein. Doch wie steht es um die Standortqualität und die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz wirklich?
Eine wichtige Informationsquelle diesbezüglich stellen Länderrankings dar. Diese basieren jeweils auf einer Vielzahl von unterschiedlichen Indikatoren, die gewichtet zu einem Gesamtindex aggregiert werden. Die Informationsreduktion auf eine leicht verständliche Rangliste erleichtert den globalen Vergleich und lässt sich gut einer breiten Öffentlichkeit kommunizieren. Es überrascht deshalb nicht, dass neben Regierungen und NGO gerade auch Medien den Rankings regelmässig grosse Aufmerksamkeit schenken.
Die Zahl solcher (Länder-) Vergleiche ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten sprunghaft angestiegen. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein neues Ranking veröffentlicht wird: Wo leben die glücklichsten Menschen? Welche Länder sind korrupt? Wo befindet sich die teuerste Stadt? Alles wird bewertet und in eine Rangliste verpackt.
Während die einen primär mit einem hohen Unterhaltungswert punkten, sind andere von grosser (inter-)nationaler Tragweite: So dürften Bildungsverantwortliche auf der ganzen Welt alle drei Jahre schlaflose Nächte haben, wenn die OECD ihre einflussreiche Pisa-Studie veröffentlicht. Ein schlechtes Abschneiden der Schülerinnen und Schüler erhitzt landesweit die Gemüter, Bildungsreformen werden gefordert und Gelder anders verteilt.
Wie die Welt die Schweiz bewertet
Auch in Sachen Wettbewerbsfähigkeit und Standortqualität wird jährlich eine Fülle an internationalen Gesamtindikatoren publiziert. Wir haben nachfolgend 22 der bedeutendsten und meistdiskutierten Rankings bis ins Jahr 2000 zurückverfolgt. Von Innovation über Korruption bis hin zum allgemeinen Glücksempfinden: Wie schneidet die Schweiz in unterschiedlichen Sachverhalten ab? Verliert sie über die Jahre an Boden?
Wie die Tabelle zeigt, erreicht die Schweiz – seit Jahren – in vielen Rankings Spitzenplatzierungen. Unangefochten an der Spitze steht das Land insbesondere bei der Innovationsfähigkeit und der Attraktivität für Talente – wobei sich beide Platzierungen bis zu einem gewissen Grad gegenseitig bedingen dürften. Obschon die Schweiz vereinzelt auch Plätze eingebüsst hat, ist kein genereller Abwärtstrend zu erkennen.
Weniger erfreulich schneidet die Schweiz in Sachen Unternehmensregulation ab («Doing Buisness»-Report; vgl. nachfolgende Diskussion sowie hier). Luft nach oben besteht ebenso bei den Zukunftstechnologien: Das Land zählt (noch) nicht zu den führenden Nationen im Bereich der künstlichen Intelligenz. Ferner gehören die Lebenshaltungskosten hierzulande zu den höchsten der Welt («Cost of Living»-Index) – der Schweizer Erfolg hat seinen Preis.
Welche methodischen Probleme Rankings aufweisen
Ein eingehender Blick auf die einzelnen Indizes und die zeitlichen Veränderungen offenbart indes nicht nur Interessantes über die Schweiz, sondern auch über die Rankings selbst. Und er zeigt, warum solche Ranglisten nicht überinterpretiert werden sollten.
Während die besten Indizes auf akribischer und sorgfältiger Datenarbeit aufbauen, beruhen andere auf eher wackeligen Zahlen. Nicht immer messen Indikatoren in allen Ländern das Gleiche; «harte» Statistiken werden mit Umfragen und Einschätzungen ergänzt. Die verwendeten Indikatoren stellen dabei immer auch eine subjektive Selektion dar. Zudem wird die Auswahl der Indikatoren, deren Gewichtung oder die Anzahl der berücksichtigen Länder über die Zeit oft angepasst. Solche Änderungen erschweren es, Vergleiche über die Zeit anzustellen.
So mass der «Global Competitiveness»-Report des Weltwirtschaftsforums (WEF) bis 2019 jährlich die Wettbewerbsfähigkeit der Länder im globalen Standortwettbewerb. Über Jahre hinweg führend, rutschte die Schweiz 2018 und 2019 bis auf den fünften Rang ab. Grund dafür war nicht zuletzt eine methodische Anpassung.
Die Methodik war auch immer wieder Thema beim «Doing Business»-Report der Weltbank, der das regulative Umfeld für Unternehmen untersuchte. Die Wahl der Zielgrössen, die ungewöhnliche Stabilität vieler Indikatoren oder die Zuverlässigkeit der Datenerhebung – vieles gab über die Jahre Anlass zu Kritik. Die Schweiz fiel in diesem Ranking über die Jahre immer weiter zurück und befand sich 2020 noch auf Platz 36. Eine Analyse der einzelnen Jahre zeigt: Der Rückfall der Schweiz war relativer Natur. Das regulatorische Umfeld hat sich in der Beobachtungszeit hierzulande kaum verändert; andere Länder konnten sich jedoch verbessern und an der Schweiz vorbeiziehen.
Welche Anreize mit Rankings verbunden sind
Wo den Rankings grosse Bedeutung beigemessen wird, können sie (perverse) Anreize setzen. Anstatt sich den relevantesten Schwachstellen anzunehmen, wird das Augenmerk auf die am einfachsten zu beeinflussenden Indikatoren gerichtet. Praktisch, dass gewisse Ranking-Anbieter auch gleich noch entsprechende Beratung anbieten. Wenn sich Entscheidungsträger durch Rankings leiten lassen, können Ranglisten mitunter selbsterfüllenden Charakter annehmen: Rankings geben dann die Realität nicht nur wieder, sondern zementieren (und homogenisieren) ein vorgegebenes Ideal gleich selbst.
Die Anreizproblematik zeigt sich bei den einflussreichen Hochschulrankings – in denen insbesondere die ETH Zürich glänzt. Die Rankings werden oft dafür kritisiert, dass sie den Fokus zu stark auf den messbaren Output (z.B. Anzahl Publikationen) legen und qualitative Faktoren (z.B. Qualität der Lehre) vernachlässigen. Was dazu führen kann, dass Universitäten etwa teure Kooperationen mit auswärtigen Spitzenforschern eingehen (den Publikationszahlen wegen) oder übermässig internationale Studenten anwerben (da deren Anteil positiv ins Ranking einfliesst). Auch aus diesen Gründen hat sich die Universität Zürich unlängst entschieden, aus dem «Times Higher Education»-Ranking auszusteigen.
Die Anreize können aber auch bei den Ranking-Anbietern selbst seltsame Blüten treiben. So wiesen die zuvor bereits angesprochenen «Doing Business»-Berichte der Weltbank nicht nur methodische Schwächen auf: 2021 wurde der Index wegen Daten-Manipulationen und der Einflussnahme Dritter sogar eingestellt.
Warum man Rankings dennoch nicht ignorieren kann
Man kann Rankings folglich kritisieren. Doch ignorieren kann man sie nicht. Trotz berechtigter Kritik erfüllen sie wichtige Funktionen. Sie reduzieren Komplexität und ermöglichen damit erst Vergleiche über Grenzen hinweg. Im zunehmenden Wettbewerb der Länder und Institutionen sind solche Informationen umso wichtiger. Sie bieten Orientierung und erlauben es, Fort- und Rückschritte besser zu erkennen und die Politik in die Verantwortung zu nehmen.
Damit stimulieren Rankings im Optimalfall den Wettbewerb und provozieren Verbesserungen. Genau das beabsichtigt Avenir Suisse mit regelmässigen Kantons- oder Städtemonitorings sowie dem jährlich erscheinenden «Freiheitsindex». Diese Vergleiche sollen Kantone und Gemeinden dazu anregen, vom Beispiel anderer zu lernen.
Der Standort Schweiz hat über die Jahre kaum an Attraktivität eingebüsst. Das ist erfreulich und gefährlich zugleich: Erfolg und Wohlstand machen satt, sind aber vergänglich. Gute Platzierungen können dazu verleiten, Probleme kleinzureden und Reformen auf die lange Bank zu schieben. Im internationalen Wettbewerb bedeutet Stillstand jedoch Rückschritt. So war der Abstand zu den Mitstreitern in diversen Rankings früher oft grösser. Das erkennt jedoch nicht, wer seinen Blick nur auf die Platzierung richtet.