Ähnlich wie bei Corona fallen in der Klimadebatte vor allem die extremen Stimmen auf: Auf der einen Seite die «Klimapaniker» – beispielsweise jüngst wieder: Extinction Rebellion – , gemäss denen wir am besten sofort alles stehen und liegen lassen sollen, um die Erde vor der Vernichtung durch den Menschen zu retten. Auf der anderen Seite die «Klimaskeptiker», die den Ernst der Lage oder sogar den menschgemachten Klimawandel als Ganzes negieren. Wir widmen uns diese Woche Letzteren, um uns nächste Woche mit Ersteren zu beschäftigen.
Die Skepsishierarchie
Die Klimaskeptiker sind überzeugt davon, dass die Menschheit keine (nennenswerten) Anstrengungen gegen den Klimawandel unternehmen sollte. Interessanterweise hört man dafür sehr unterschiedliche Begründungen – die sich zwar nicht im eigentlichen Sinne widersprechen, bei denen man sich aber fragt, warum das eine Argument überhaupt ins Feld geführt wird, wenn doch schon das andere zutreffen soll. Grob kategorisiert:
- Die Erde erwärmt sich gar nicht. Das «Klimawandel» ist Ergebnis eines statistischen Artefakts – das zahlreiche Cleantech-Lobbyisten geschickt nutzen, um die Politik zu ihren Gunsten zu beeinflussen.
- Der Klimawandel ist nicht menschgemacht und der Mensch kann ihn – auch wenn er wollte – ohnehin nicht beeinflussen. Hier wird also implizit eingeräumt: Die Erde erwärmt sich.
- Der Klimawandel hat unter dem Strich keine negativen Auswirkungen auf unsere Zivilisation. Hier wird also implizit eingeräumt: Die Erde erwärmt sich und der Grund ist der anthropogene THG-Ausstoss).
Eine gewisse Berechtigung haben eigentlich nur Argumente der dritten Kategorie: Kosten und Nutzen des Klimawandels. In der Tat neigt der Mensch mit seinem Status-quo-Denken dazu, jegliche Änderung als unnatürlich und nachteilig zu werten und daher auf negative Aspekte des Klimawandels zu fokussieren. Eine pragmatische Analyse der Konsequenzen des Klimawandels ist wünschenswert: Nicht alle Länder werden gleichermassen darunter leiden, einige werden womöglich sogar davon profitieren. Allerdings ist eben auch der Wandel per se mit Herausforderungen verbunden. Besonders betroffen sind die Küstengebiete. Der Meeresspiegel der Ozeane würde bei Ausbleiben jeglicher Klimamassnahmen bis 2300 um 2 bis 5 Meter steigen und die Versetzung der Behausung von Milliarden Menschen erfordern.
Beliebte Argumente der Klimaskeptiker
Im Folgenden werden einige von Klimaskeptikern aus der ersten beiden Kategorien besonders gerne vorgebrachte Argumente zitiert und diskutiert.
«Während alle über den Klimawandel reden, hat die Erde heimlich, still und leise aufgehört, sich zu erwärmen.» Bis vor einigen Jahren hörte man diesen Einwand oft. Die Skeptiker bezogen sich mit dieser Aussage auf eine 15-jährige Phase von 1998 bis 2013, in der sie – getrennt vom Rest betrachtet – keinen Temperaturanstieg feststellten. Das liegt allerdings schlicht und einfach daran, dass sie mit 1998 ein Startjahr wählten, das ausserordentlich warm war und von dem aus daher wegen der jährlich im Vergleich zum langfristigen Trend relativ stark schwankenden Temperaturen kein solcher erkannt werden konnte. Spätestens die sehr warmen Jahre 2015 und 2016 widerlegten dann aber diese Behauptung. Betrachtet man die Kurve über den gesamten Zeitverlauf, käme man schon gar nicht auf die Idee, zwischen 1998 und 2013 irgendeine Stagnation festzustellen (vgl. Abb. 5 unseres Buches «Wirkungsvolle Klimapolitik»).«Grönland trägt seinen Namen, weil die Wikinger die Insel «Grünes Land» nannten, als sie sie im Mittelalter entdeckten. Das heisst, es war damals viel wärmer als heute!» Um 1000 n. Chr. besiedelten aus Island auswandernde Wikinger Grönland und gaben ihm seinen noch heute gültigen Namen. Tatsächlich lag die damalige Jahrtausendwende in der sogenannten mittelalterlichen Klimaanomalie. Damals herrschten regional – ganz besonders in Grönland – erhöhte Temperaturen – allerdings nicht gegenüber heute, sondern gegenüber den sonstigen Temperaturen vorindustrieller Zeit. Sonderlich grün war Grönland allerdings auch damals nicht. Der Begriff ist wohl eher als Euphemismus zu interpretieren, bei dem der Wunsch Vater des Gedankens war. Ebenso ist beispielsweise der Pazifik, also der «Stille» Ozean, überhaupt nicht still, sondern ganz im Gegenteil ziemlich unberechenbar.
«Die sogenannten 97%.» 2013 publizierten Cook et al. eine Metastudie, in der sie feststellten, dass 97% aller Klimawissenschafter der Theorie des menschgemachten Klimawandels zustimmen. Diese Zahl wurde von den Skeptikern gerne zerpflückt: «97% von wem? Warum nur publizierte Studien? Warum nur Klimawissenschafter? Die sind doch inhärent voreingenommen!» Das sind seltsame Einwände. Will jemand den aktuellen Kenntnisstand zum Thema. Quantenfluktuationen erfahren, macht er dazu auch nicht eine Umfrage unter Geologen oder beim Bäcker von nebenan. Der Konsens (unter Klimawissenschaftern) beträgt gemäss einer neueren Untersuchung übrigens sogar 99,94%.
«Die CO2-Konzentration ist Folge des Temperaturanstiegs, nicht deren Ursache.» Das stimmt tatsächlich für frühere Klimazyklen: Diese wurden in erster Linie durch die Position der Erdachse und Erdumlaufbahn verursacht (sogenannte Milankovic-Zyklen). Auf einen Anstieg der Temperaturen folgte erst mit zeitlicher Verzögerung auch ein Anstieg der CO2-Konzentration[1] – der dann wiederum die Temperaturen erhöhte. Dass CO2 als Treibhausgas wirkt, ist jedoch schon seit dem 19. Jahrhundert bekannt – und an der Erdbahn hat sich in den letzten Jahrzehnten nichts verändert. Der heutige, sehr rasche Temperaturanstieg ist definitiv die Folge, nicht die Ursache der erhöhten CO2-Konzentration.
«Dieser kleine Rülpser des Ätna hat mehr CO2 in die Luft geblasen als die gesamte Menschheit während ihres Daseins.» Ein Foto eines Vulkanausbruchs mit dieser Bildunterschrift ging 2019 in den Sozialen Medien viral. Das waren schlicht und einfach Fake News. Aktuell setzt die gesamte (weltweite) vulkanische Aktivität etwa 180 bis 440 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr frei. Das sind weniger als 1% des anthropogenen CO2-Ausstosses von knapp 40 Mrd. Tonnen CO2 jährlich.
«Die Erderwärmung ist Folge der Sonnenaktivität.» Eine weitere oft gehörte Behauptung. Umfassend dargelegt 2012 im Buch «Die kalte Sonne», und seither oft wiederholt – obwohl die von den Autoren gemachte Prognose, bis 2020 falle die globale Durchschnittstemperatur aufgrund sinkender Sonnenaktivität um 0,2°C gegenüber den Nuller-Jahren, von der Realität nicht stärker hätte widerlegt werden können.
Diskreditierungsversuche gegenüber Wissenschaft und IPCC
Oft äussern Klimaskeptiker den Verdacht, hinter dem Narrativ des menschgemachten Klimawandels stecke eine mächtige Cleantech-Lobby, die sich damit Staatsgelder und vorteilhafte Regulierungen sichern wolle. Dass Lobbyisten gerne mal Gefälligkeitsstudien finanzieren und beim Staat um Subventionen buhlen, ist nicht unwahr. Allerdings ist es ziemlich realitätsfern anzunehmen, dass ausgerechnet die Cleantech-Industrie – die noch kein grosses Volumen hatte vor Ankunft des Klimawandels im gesellschaftlichen Bewusstsein – es schaffen soll, systematisch und flächendeckend wissenschaftliche Ergebnisse zu ihren Gunsten zu beeinflussen, während die bestens etablierte und massiv finanzstärkere Erdöllobby offenbar gänzlich darin versagt haben müsste.
Diese Diskreditierungsversuche nahmen in der Vergangenheit auch schon kriminelle Züge an: 2009 verschafften sich Klimaskeptiker durch Hacking Zugang zum gesamten E-Mail-Verkehr der Klimaforschungseinheit der Universität East Anglia, die für eine der globalen Temperaturreihen verantwortlich zeichnet. Sie durchforsteten hunderte Mails nach kompromittierenden Aussagen. Diese «fanden» sie auch in Sätzen wie «I’ve just completed Mike’s Nature trick of adding in the real temps to each series for the last 20 years (…) to hide the decline», die sie völlig aus dem Zusammenhang gerissen[2] diversen Medien zuspielten, um damit ein eigentliches «Climategate» zu inszenieren. Das löste tatsächlich den Einsatz mehrerer offizieller Untersuchungskommissionen aus. Sie alle kamen jedoch zum Schluss, dass keinerlei wissenschaftliches Fehlverhalten der Forscher vorlag.
Auch die Arbeit des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) selbst war immer wieder Ziel von Diskreditierungsversuchen. Obwohl keiner davon explizit Erfolg hatte, blieb in Teilen der öffentlichen Wahrnehmung doch der Eindruck haften, die Arbeit des Klimarates bewege sich eher auf der alarmistischen Seite. Dabei ist, wenn überhaupt, das Gegenteil der Fall:
- Das IPCC publiziert keine Prognosen, sondern bloss Szenarien. Sämtliche Aussagen sind mit Wahrscheinlichkeitsangaben quantifiziert und für hohe und sehr hohe Wahrscheinlichkeiten wird wiederum auf einer qualitativen Skala (von «very low» bis «very high» confidence) angegeben, wie gross die Gewissheit der Forschung in dieser Sache ist.
- Wer die Berichte des IPCC liest, wird schnell feststellen, dass sie nüchtern akademisch daherkommen und überhaupt nicht darauf aus sind, Emotionen zu schüren. In den drei 2018 und 2019 publizierten Sonderberichten zu «Globale Erwärmung um 1,5°C» (IPCC 2018), «Klimawandel und Land» (IPCC 2019a) und «Ozean und Kryosphäre im Klimawandel» (IPCC 2019b) folgt auf ein Kapitel mit 100 Seiten Text und Grafiken nicht selten ein Literaturverzeichnis, das sich über 40 Seiten erstreckt.
- Die für die IPCC-Szenarien verwendeten Klimamodelle berücksichtigen nur Prozesse, die unter den heutigen klimatischen Bedingungen erforscht werden konnten. Nicht berücksichtigt sind Dinge, von denen man zwar weiss, dass die passieren könnten – beispielsweise beim Überschreiten gewisser Kipppunkte – die sich aber nicht seriös simulieren lassen. Insofern bewegen sich die IPCC-Berichte eher auf der konservativen Seite.
Tatsächlich kam die Empirie in den vergangenen Jahren verschiedentlich zum Schluss, dass gewisse Veränderungen schneller als erwartet verliefen, beispielsweise die Erwärmung der Arktis und entsprechend das Abschmelzen des arktischen Meereises. Im kürzlich erschienen ersten Beitrag zum nunmehr sechsten IPCC-Sachstandsbericht wurden denn auch einige Zahlen nach oben korrigiert. Innerhalb der Wissenschaft wird zunehmend eine Abkehr von der bisherigen Zurückhaltung in der Kommunikation gefordert.
Der Alarmismus kommt also nicht vom IPCC, sondern von Klimaaktivisten und vielen Medienschaffenden. Diese zitieren – um aufzurütteln oder Klicks zu generieren – gerne ohne jegliche Einordnung die Klimafolgen der schlimmsten (aber unwahrscheinlichen) CO2-Ausstossszenarien und suggerieren Gewissheit, wo die Wissenschaft Bandbreiten und Grade der Ungewissheit angibt. Ihnen widmen wir uns in einem Blog der nächsten Woche.
Weiterführende Informationen zum Thema finden Sie in unserem Buch «Wirkungsvolle Klimapolitik».
[1] Dieser ist in erster Linie Folge der Erwärmung der Ozeane. Wärmeres Wasser hat eine geringere CO2-Löslichkeit, weshalb CO2 aus den Ozeanen in die Atmosphäre entweicht. [2] In Wirklichkeit ging es hierbei um eine rein technische Diskussion zum Umgang mit Zeitreihen paläoklimatischer Daten, und der «Rückgang» bezog sich gar nicht auf Temperaturen, sondern auf das Wachstum von Baumringen. Siehe Wikipedia (2021b) für umfassende Information zum Vorfall.