In der gegenwärtigen Klimadebatte wird viel von Verantwortung und Schuld gesprochen. Die Schweiz trage als wohlhabendes Land eine besonders grosse Verantwortung – umso mehr als sie in der Vergangenheit weit mehr Kohlendioxid (CO2) pro Kopf ausgestossen habe als andere Länder.
Nun kann man natürlich das Konzept einer «CO2-Schuld» generell für fraglich halten: Die Errungenschaften der industriellen Revolution (die überhaupt zur Verbrennung fossiler Energieträger führten) haben weltweit erheblichen Wohlstand erzeugt. Insofern könnte man ebenso gut behaupten, die restlichen Länder stünden in der Schuld des Westens. Dem könnte man aber wiederum die Schuld der Kolonialisierung entgegenhalten. Kurz: Die Argumentation über «Schuld» ist in der Klimadebatte wenig zielführend. Trotzdem ist eine genauere Analyse der CO2-Schuld interessant, wenn auch nicht so sehr zur Klärung moralischer Verantwortung, sondern schlicht um des statistischen Sachverhalts selbst willen.
Zur Beurteilung der CO2-Schuld des Westens müssen die historischen Emissionsanteile ins Verhältnis zur (damaligen) Einwohnerzahl gesetzt werden.
Weltweit beträgt für die Periode von 1850 bis 2018 der jährliche einwohnergewichtete[1] CO2-Ausstoss pro Kopf 3,19 Tonnen (vgl. Abb. 1). Einige Weltregionen weisen deutlich weniger auf: Für Afrika und Indien liegt dieser Wert unter 1 Tonne. Auch China, das restliche Asien und Südamerika liegen deutlich unter dem weltweiten Mittelwert. Europa anderseits weist historisch gesehen fast die doppelten Pro-Kopf-Emissionen im Vergleich zum globalen Mittel auf. Mit riesigem Abstand «in Führung» liegt Nordamerika (USA und Kanada) mit historischen jährlichen Durchschnittsemissionen von 17 Tonnen pro Kopf.
Abbildung 1: Pro-Kopf CO2-Ausstoss seit 1850
Quelle: Eigene Berechungen basierend auf https://ourworldindata.org/co2-emissions
Die Differenzen zwischen dem tatsächlich kumulierten CO2-Ausstoss der Weltregionen und jenem Wert, den sie aufweisen müssten, wenn ihr historischer jährlicher Pro-Kopf-Schnitt dem genannten weltweiten Mittel entsprochen hätte, sind in Abbildung 2 dargestellt. Diese Werte (in Milliarden Tonnen) entsprechen der historischen «Schuld» (positive Werte) bzw. dem historischen «Guthaben» (negative Werte), die bzw. das eine Region gegenüber der Weltgemeinschaft hat. Eine historische Schuld baut sich auf, wenn ein Land in einem Jahr einen höheren Treibhausgas-Ausstoss pro Kopf aufweist als der weltweite Durchschnitt, und sie baut sich ab im gegenteiligen Fall.
Abbildung 2: Die historische CO2-Schuld
Quelle: Eigene Berechungen basierend auf https://ourworldindata.org/co2-emissions
Teilt man diesen Wert durch die aktuelle Bevölkerungszahl einer jeweiligen Region, erhält man ein etwas greifbareres Resultat: Pro Einwohner müssten die USA und Kanada eine historische Schuld von über 1000 Tonnen abbauen – oder anders formuliert: Würde Nordamerika seinen CO2-Ausstoss sofort auf 0 senken, könnte der Rest der Welt noch 216 Jahre lang die gegenwärtigen 4,8 Tonnen pro Kopf ausstossen, bis die nordamerikanische «Schuld» getilgt ist. Europas CO2-Schuld beträgt 332 Tonnen. Indien hätte dagegen pro Kopf 153 Tonnen «zugute», und auch Afrika und China befinden sich über 100 Tonnen im Haben.
Abbildung 2: Die historische CO2-Schuld pro Kopf
Quelle: Eigene Berechungen basierend auf https://ourworldindata.org/co2-emissions
Die schweizerische CO2-«Schuld»
Wie schneidet die Schweiz historisch im Vergleich zum weltweiten Durchschnitt ab, was den CO2-Ausstoss betrifft? Abbildung 4 und die dargestellten Zahlen geben Aufschluss: Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts stiegen die jährlichen Pro-Kopf-Emissionen über das globale Mittel (wobei dieses wohl sehr stark durch die frühe Industrialisierung Grossbritanniens nach oben verzerrt war). Mit Ausnahme der – unrealistisch[2] – starken Einbrüche des 1. und 2. Weltkriegs blieb das dann lange so, mit dem Höhepunkt 1973, als die schweizerischen Emissionen 7 Tonnen pro Person übertrafen. Seit 2005 sinken sie deutlich, 2018 lagen sie noch bei 4,3 Tonnen pro Person und damit unter dem globalen Mittel (4,8 Tonnen).
Abbildung 4: Der historische Pro-Kopf-CO2–Ausstoss der Schweiz
Quelle: Owid (2021c), eigene Berechnungen.
Kumuliert über die gesamte Zeit seit 1850 trug die Schweiz 0,183% zu den weltweiten CO2-Emissionen bei. Um zu beurteilen, wie weit die Schweiz in der «Schuld» steht, ist aber auch für die kumulierte Betrachtung aller historischen Emissionen eine Pro-Kopf-Betrachtung hilfreicher. Der gewichtete langjährige Durchschnitt der jährlichen Pro-Kopf-CO2-Emissionen liegt in der Schweiz bei 3,76 Tonnen, im Vergleich zu 3,19 Tonnen pro Kopf weltweit. Die Schweiz hat also überproportional zum weltweiten CO2-Ausstoss beigetragen, aber nicht so stark überproportional, wie man vielleicht angesichts des sehr hohen Wohlstands hierzulande hätte befürchten müssen. Das liegt wesentlich daran, dass die Schweiz (auch historisch) verhältnismässig energieeffizient ist und einen CO2-armen Energiemix verwendet. Dass der schweizerische Pro-Kopf-Ausstoss mittlerweile unter dem weltweiten liegt, ist ein eindrücklicher Hinweis darauf, dass die Treibhausgasemissionen durchaus vom Wirtschaftswachstum entkoppelt werden können.
Weiterführende Informationen zum Thema finden Sie in unserer Studie «Wirkungsvolle Klimapolitik».
[1] Der mit der Einwohnerzahl eines jeweiligen Jahres gewichtete Durchschnitt aller Werte des jährlichen CO2-Austosses pro Kopf. Das entspricht folgendem Quotienten: kumulierter CO2-Ausstoss (1850–2018) / kumulierte Einwohnerzahl (1850–2018). [2] Das Ausmass der Einbrüche dürfte teilweise fehlender Datenverfügbarkeit geschuldet sein.