Auf die Schweiz rolle eine Pleitewelle zu, die Konkurse würden in die Höhe schiessen oder es kreise der Pleitegeier: Die Medien zeichneten nach der Covid-19-Pandemie ein düsteres Bild. Tatsächlich haben die Konkurse im vergangenen Jahr zugenommen. Laut dem Gläubigerverband Creditreform gab es 2022 rund 33% mehr Firmeninsolvenzen als im Vorjahr. Doch solche Beobachtungen sind primär einem statistischen Basiseffekt geschuldet: Das Wachstum fällt gross aus, weil im Vergleichsjahr 2021 die Zahl der Konkurse ungewöhnlich niedrig war. Im langfristigen Vergleich lagen die Konkurse weiterhin unter den Erwartungen – nun deutet sich aber eine Trendwende an.
Einbruch der Konkurse wegen Stützungsmassnahmen
Zu Beginn der Covid-19-Pandemie hat der Staat der leidenden Privatwirtschaft massiv unter die Arme gegriffen. So wurde flächendeckend Kurzarbeit eingeführt, Konkurse wurden gestundet, und es wurden zinsfreie Darlehen in Milliardenhöhe verteilt. In der Folge überlebten nicht nur gesunde Firmen, sondern auch solche, die in normalen Zeiten aus dem Markt ausgeschieden wären. Was auf den ersten Blick in einer Pandemie kurios schien, war den grossen Summen an öffentlichen Geldern geschuldet: Die Zahl der Konkurse brach in den ersten 12 Monaten der Covid-19-Krise regelrecht ein. Gleichzeitig kam es unter anderem wegen neuer Geschäftsmöglichkeiten zu einem Gründungsboom.
Intuitiv wäre zu erwarten gewesen, dass nach dem Auslaufen der staatlichen Liquiditätsspritzen ein Aufholeffekt stattfände – also, dass die Konkurse wieder anziehen. Allerdings zeigte sich auch in den ersten 24 Monaten der Covid-19-Pandemie das gleiche Bild: Die Zahl der Konkurse lag hinter der historisch zu erwartenden Entwicklung zurück.
Damals konnte das teilweise noch mit der Existenz gewisser Massnahmen und einem Nachhallen der umfassenden staatlichen Hilfen erklärt werden. Auch wenn gewisse Unterstützungsgelder für Kulturschaffende noch weit ins 2023 fliessen (z.B. im Kanton Freiburg), wurden 2022 fast alle Covid-19-Unterstützungen heruntergefahren. Mit dem Zuklappen des staatlichen Rettungsschirms wäre es nun logisch, dass die Konkurse wieder anzögen würden. Was zeigen die jüngsten Daten dazu?
Ein Aufholeffekt hat eingesetzt
Ein Blick in die Statistik zeigt, dass ein solcher Effekt mittlerweile eingesetzt hat. Vergleicht man die Entwicklung der Konkurszahlen über die vergangenen 36 Monate mit jener der 36 Monate vor Ausbruch der Covid-19-Pandemie, lässt sich eine Trendumkehr beobachten: Seit November 2022 melden deutlich mehr Firmen Konkurs an.
Noch wurde allerdings die unterdurchschnittliche Konkursentwicklung während der Pandemie nicht ausgeglichen (vgl. Abbildung). In den drei Jahren seit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie gingen beinahe 1200 Firmen weniger Konkurs als in den drei Jahren davor. Erst wenn dieser ungewöhnliche Konkursrückstand abgebaut ist, kann von einer übermässigen Entwicklung – also einer «echten» Konkurswelle – gesprochen werden.
Was es bei den Daten zu beachten gilt
In der Abbildung wurden die Konkurse für jeden Monat seit Ausbruch einer Krise mit dem Durchschnitt des jeweils gleichen Monats der drei Vorkrisenjahre verglichen und die Differenzen kumuliert. Waren die Konkurse in einem beliebigen Krisenmonat tiefer als man das mit Blick auf die Vergangenheit hätte erwarten dürfen, sinkt die Kurve – im umgekehrten Fall steigt sie.
Bei der Interpretation der Daten muss berücksichtigt werden, dass die meisten Firmen, die aus dem Markt ausscheiden, nicht Konkurs gehen. Im Jahr 2019 wurden beispielsweise über 30’000 Firmen aus dem Handelsregister gelöscht, während es im selben Zeitraum zu rund 4600 «klassischen» Konkursen nach SchKG kam. Bis eine Firma allerdings aus dem Handelsregister gelöscht wird, vergehen oft Monate, wenn nicht Jahre. Die Konkursstatistik bietet sich deshalb als zeitnaher Indikator für das Ausscheiden von Firmen aus dem Markt an.
Dieser Blogbeitrag ist damit als eine frühe deskriptive Analyse der aktuellen Entwicklungen in der Schweizer Firmenlandschaft zu verstehen. Eine vertiefte empirische Untersuchung würde neben den Löschungen aus dem Handelsregister idealerweise auch das allgemeine Trendwachstum berücksichtigen. Allerdings fällt ein solcher Trend bei den Konkursen zumindest seit der Jahrtausendwende schwach aus. Die Kurven würden sich nur leicht verschieben. An der grundlegenden Einschätzung dürfte sich demnach wenig ändern: Die Covid-19-Pandemie hat sich stark und anders als frühere Krisen auf die Firmenlandschaft ausgewirkt – und die Effekte auf die Firmendemografie sind auch drei Jahre nach Ausbruch der Pandemie noch deutlich sichtbar.
Eine Art wirtschaftspolitisches «Long Covid»
In der Schweizer Firmenlandschaft ist der Effekt der Covid-19-Massnahmen also weiterhin zu erkennen. Die Konkurse dürften demnach über die kommenden Monate weiter anziehen – darauf deuten neben der angespannten konjunkturellen Lage auch die derzeit sich abzeichnenden Verwerfungen im Finanzsektor. Im kurzfristigen Vergleich könnten dabei die Wachstumszahlen der Konkurse eindrückliche Ausmasse annehmen.
Wie oben erläutert, ist es dabei allerdings zentral, das grosse Ganze im Blick zu haben. Viele Konkurse sind eine Langzeitfolge der umfassenden staatlichen Hilfsgelder. Firmen, die in normalen Zeiten längst aus dem Markt ausgeschieden wären, wurden künstlich am Leben erhalten. Eine künftige Konkurswelle ist damit nicht nur, aber auch eine Langzeitfolge der Stützungsmassnahmen – also eine Art wirtschaftspolitisches «Long Covid».